Projekt mit Zündstoff:Pläne für Fahrradstraße in Freising spalten die Gemüter

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Nach dem Beschluss des Planungsausschusses, den Umbau der Kammergasse zu prüfen, liefern sich Befürworter und Gegner Wortgefechte in den sozialen Medien.

Von Thilo Schröder, Freising

Dass ein Teil der Kammergasse in Freising zur Fahrradstraße umgebaut werden soll, hat zwischen Fahrradenthusiasten und Autofahrern erbitterte Wortgefechte in den sozialen Medien ausgelöst. Die einen wollen eine autofreie Innenstadt, die anderen sehen genau darin eine Gängelung. Der Planungsausschuss des Stadtrats hatte sich zuvor für die weitreichendste Variante zur Umgestaltung der Kammergasse mit Sperrung eines Teilstücks für den Autoverkehr entschieden; die Stadt Freising lässt das jetzt prüfen. Kommunalpolitiker sehen parteiübergreifend zwar Handlungsbedarf beim Radwegausbau; wie weit die Maßnahmen aber reichen sollen, darüber gehen die Meinungen auseinander.

"Für die Anwohner wäre das eine echte Verbesserung", schreibt Christine Lauber auf Facebook über die Pläne für die Kammergasse. "Was da teilweise für ein Tempo gefahren wird, ist unglaublich rücksichtslos." Alexej Reyre stimmt ihr zu: "Es braucht endlich räumlich von anderen Verkehrsteilnehmern abgetrennte Fahrradstraßen. Das würde alle Verkehrsteilnehmer entlasten und zur Sicherheit beitragen."

Nur mit Schutzengel

"Ein lückenloses Fahrradnetz in Freising wäre super", schreibt Lion Vötterl. Michaela Götz kommentiert: "Ich fahre da fast tagtäglich mit dem Fahrrad, früher auch mit Fahrradanhänger, und bei manchen Rasern vertraue ich mein Leben und das meiner Kinder voll und ganz den Schutzengeln an." Mancher sieht in der Konsequenz keinen Platz für Autos in der Innenstadt. "In Freising kann mensch das Rad benutzen oder den Bus (der dafür weiter ausgebaut werden müsste)", schreibt Facebooknutzer Mario Muraro. "Und die anderen können ja dann die tollen Umgehungsstraßen benutzen, die alle so toll finden", ergänzt er.

Unterstützung bekommen die Befürworter einer Fahrradstraße von Michael Stanglmaier (Grüne), dem Kreissprecher des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Fahrradstraßen seien eine "sinnvolle Einrichtung, um die Sicherheit für Fahrradfahrer zu erhöhen", sagt er. In der Kammergasse liege aber eine hohe Verkehrsbelastung vor. "Man muss sehen, wie das in der Praxis funktioniert, ob sich der Autoverkehr dort reduziert. "Einen Versuch ist es auf alle Fälle wert." Statt Einzelmaßnahmen sei aber ein "vernünftiges Netz" nötig.

"Wenn man im Stau steht, ist man der Stau"

Skeptischer äußert sich Robert Weller, langjähriger Verkehrsreferent im Freisinger Stadtrat. Man müsse immer auch für Autofahrer eine Lösung anbieten, sagt er. Wegebeziehungen müssten dafür erhalten bleiben. Es sei deshalb sinnvoller, Fahrradwege zu ergänzen. Über reine Fahrradstraßen in der Innenstadt könne man erst reden, wenn andere, den Innenstadtverkehr entlastende Projekte wie die Westtangente fertiggestellt seien. "Eine völlig autofreie Innenstadt wäre natürlich schön", räumt er ein, "aber ich verstehe auch die Älteren, die bis vor die Arztpraxis oder die Läden fahren." Weite Fußwege bei Einführung einer Fahrradstraße kritisiert auch Facebooknutzerin Felicia Eßmann, allerdings mit Bezug auf eine andere Zielgruppe: "Mütter mit Kinderwägen laufen dann fünf Kilometer zu Fuß bis zum Kinderarzt, weil die tollen Stadtbusse mit genau zwei Kinderwägen ja schon überfordert sind...", schreibt sie. Der Umbau der Kammergasse könnte zudem noch mehr Stau zu den Hauptverkehrszeiten produzieren, glaubt sie. Auch diese Aussage ruft Widerspruch hervor. "Steht irgendwo das Recht festgeschrieben, dass jeder überall staufrei mit dem Auto fahren darf und dieses am Besten noch kostenlos abstellen darf?", kommentiert Oliver Fell. "Wenn man im Stau steht, ist man der Stau. Autofahren in oder durch ein Stadtzentrum muss einfach teuer und unattraktiv werden."

Andere sind skeptisch, ob eine Fahrradstraße überhaupt genug genutzt würde. "Ich bin zwar auch (überwiegend) Radfahrer, kann mir allerdings nicht vorstellen, dass die Kammergasse so stark von Radfahrern frequentiert ist, dass es diese massive Einschränkung des Pkw-Verkehrs rechtfertigen würde", schreibt Facebooknutzer Christian Niedermeier.

Wie sich eine autofreie Innenstadt auf die Geschäfte auswirkt, auch darüber gehen die Meinungen auseinander. "Verkehrsberuhigte Bereiche machen die Innenstadt und die Läden dort attraktiver", sagt Michael Stanglmaier mit Verweis auf die Kaufinger Straße in München, deutschlandweit eine der umsatzstärksten Einkaufsmeilen und seit 1972 Teil einer Fußgängerzone. "Wenn eine Innenstadt attraktiv ist, dann nimmt man auch längere Fußwege auf sich", glaubt er. Man müsse dann aber den ÖPNV ausbauen. "Wenn ich alle Autos aus der Innenstadt rausnehme, ist das gefährlich für die Geschäftswelt", sagt dagegen Weller. "Dann werden die Geschäfte in der Stadt alle sterben", schreibt Facebooknutzerin Bianca Tatjana. "Das stimmt nicht", antwortet Mario Muraro. "Es gibt viele Gründe, warum die Geschäfte sterben, steigende Mieten und Konkurrenz durch Konzernfilialen beispielsweise. Eine autofreie Innenstadt gehört sicher nicht dazu. Im Gegenteil. Die meisten Erfahrungen zeigen, dass es dem Umsatz zuträglich ist. Und der Lebensqualität auch."

© SZ vom 02.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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