Zwei Jahre nach der Flucht aus der Ukraine"Ich versuche einfach stark zu bleiben"

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Die Ukrainerin Svitlana Bilous kann auf dem Campus der Universität Weihenstephan leben und arbeiten. Ihre Abschlüsse wurden inzwischen anerkannt.
Die Ukrainerin Svitlana Bilous kann auf dem Campus der Universität Weihenstephan leben und arbeiten. Ihre Abschlüsse wurden inzwischen anerkannt. (Foto: Marco Einfeldt)

Svitlana Bilous ist dankbar, dass sie mit ihren beiden Kindern in Freising ein Zuhause gefunden hat und versucht, das Beste aus ihrer neuen Situation zu machen. Trotzdem schmerzt sie die schreckliche Lage in ihrem Heimatland.

Von Davida Schauer

Vor gut zwei Jahren ist Svitlana Bilous mit ihren zwei Kindern aus Kiew nach Freising geflüchtet. Die 36-Jährige unterrichtete Botanik an der Kiewer Universität. Auch ihr Ehemann, der heute Offizier in der ukrainischen Armee ist, arbeitete an der Universität und war Professor für Lebens- und Umweltwissenschaften, wie Bilous der SZ im November 2022 erzählte. Durch ihren Beruf gab es den Kontakt zu Professor Carsten Lorz von der Universität Weihenstephan. Dank ihm darf Svitlana Bilous mit ihrem elfjährigen Sohn Mikhailo und ihrer 15-jährigen Tochter Sofia seither auf dem Campus wohnen. Die SZ hat nachgefragt, wie es der Familie inzwischen geht.

Was hat sich seit dem Gespräch im November 2022 in ihrem Leben verändert?

Im vergangenen Sommer wurden meine ukrainischen Bachelors-, Masters- und Doktoren-Abschlüsse von der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen anerkannt. Seit Oktober darf ich offiziell in Teilzeit an der Fakultät für Forstwissenschaft in Weihenstephan als wissenschaftliche Hilfskraft arbeiten und bin Teil des Master-Programmes "Climate Change Management", was ein neues Forschungsgebiet für mich ist. Darüber bin ich sehr glücklich, ich habe die besten Kollegen. Sie sind eine große Unterstützung für mich, sind nachsichtig und sehr inspirierend.

Ich bemühe mich sehr, die deutsche Sprache zu erlernen und habe bereits das B1 Sprachlevel erfolgreich erreicht. Den Test "Leben in Deutschland" habe ich auch gemeistert. Das reicht mir zwar für alltägliche Dinge, wie beim Einkaufen oder bei einem Small Talk, doch nicht für meine Arbeit an der Universität. Um mich dort in Fachsprache in Deutsch unterhalten zu können, benötige ich noch etwas Übung. Somit besuche ich weiter regelmäßig die Sprachkurse. Ich wohne mit meinen Kindern immer noch in derselben Wohnung, die uns von der Universität zur Verfügung gestellt wird. Wir sind zufrieden, mit dem, was wir haben und dankbar, dass wir hier ein zu Hause haben.

Wie geht es Ihren Kindern?

Meine Kinder haben sich gut integriert, auch sie beherrschen die deutsche Sprache immer besser. Sofia besucht die zehnte Klasse der Wirtschaftsschule in Freising. Sie lernt sehr viel und macht in ihrer Freizeit Leichtathletik oder geht ins Fitnessstudio. Mikhailo ist inzwischen in der fünften Klasse einer Freisinger Realschule. Er versteht sich gut mit seinen Klassenkameraden, spielt Fußball und Gitarre. Für ihn ist es einfacher als für Sofia, mit unserer neuen Lebenssituation klarzukommen. Er hat damals eben nicht so viel mitbekommen. Dennoch gibt es Tage, an denen er zu mir kommt und viele Warum-Fragen stellt, wie "Mama, warum musste es uns treffen und warum können andere Kinder ganz normal aufwachsen?" Wir sprechen sehr viel und ich bin offen mit den Kindern. Aber ich möchte ihnen nicht jeden Tag erzählen müssen, wie schrecklich die Lage momentan in unserem Heimatland ist. Durch die Schule und ihre Freizeitaktivitäten haben sie jedoch gar nicht so viel Zeit zum Grübeln und traurig sein. Ich bin sehr stolz auf sie, dass sie unsere neue Lebenssituation so gut handeln.

Und wie geht es Ihnen selber?

Jeder von uns verarbeitet die Geschehnisse auf seine eigene Art und Weise. Ich lenke mich viel mit der Arbeit ab. In meinem Inneren schmerzt es natürlich schon, dass weiterhin Krieg herrscht, doch das verdränge ich meistens und versuche einfach stark zu bleiben. Ich gewöhne mich langsam an mein neues Leben, die deutschen Strukturen. Die Deutschen sind in meinen Augen sehr kultiviert und verständnisvoll. Die Ukraine ist und bleibt dennoch immer ein Teil von mir.

Besteht Hoffnung auf die Rückkehr in Ihr Heimatland?

Ich habe inzwischen akzeptiert, dass unser Aufenthalt in Deutschland nicht von kurzer Dauer ist und realisiert, dass es keinen Sinn macht, auf ein baldiges Ende des Krieges zu warten. Es war natürlich nicht ganz einfach, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. Doch nun versuche ich einfach positiv nach vorn zu blicken und das Beste aus meinem neuen Leben zu machen. Viele Familien sind zerbrochen, haben ihre Liebsten verloren. Auch wir haben einen Verlust in der Familie erlebt. Mein Cousin ist im Sommer im Krieg gefallen. Doch es muss weitergehen. Der Fokus muss auf die hoffentlich bessere Zukunft gesetzt werden.

Wann haben Sie das letzte Mal Ihren Mann gesehen und wie geht es ihm?

Er ist in Bachmut als Offizier stationiert. Wir versuchen immer in Kontakt zu bleiben. Es klappt leider nicht jeden Tag, dass wir telefonieren, aber zumindest bekomme ich jeden Tag ein Lebenszeichen von ihm. 2023 im Mai war ich mit meinen Kindern in Kiew für eine Woche. Da haben wir ihn getroffen. Die Lage war ziemlich angespannt, ich konnte nicht zur Ruhe kommen, aus Angst, dass es einen Anschlag gibt. Es ist nichts passiert, doch ich habe nachts kaum ein Auge zubekommen. Im August hat uns dann mein Mann in Freising besucht. Er wurde für zwei Wochen von der Armee freigestellt. Wir hatten eine gute Zeit miteinander, bis er in die Ukraine zurückmusste. Er fehlt mir sehr, vor allem an den Tagen, an denen mir alles zu viel wird, hätte ich ihn gerne bei mir. Nach fast zwei Jahren an der Front ist er sehr erschöpft. Ich fände es gut, wenn die Offiziere öfter ausgetauscht werden könnten, damit sie sich mal ausruhen können. Trotz aller Anstrengung sagt er mir immer, er wird nicht aufgeben und sein Land weiter verteidigen. Es ist wichtig, die Gebiete so weit es geht unter Kontrolle zu haben und Unterstützung aus anderen Ländern zu bekommen.

Was halten Sie davon, dass der Ukraine-Krieg in den Medien immer mehr in Hintergrund rückt?

Da immer noch viele Gebiete der Ukraine zerstört werden, Menschen sterben und die Situation an der Front weiterhin sehr hart ist, finde ich es schade, dass dem nicht mehr viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Regelmäßig gibt es noch Bombenanschläge und Luftangriffe, das sollte nicht vergessen werden. Jeder hat das Recht auf ein normales, glückliches Leben, vor allem Kinder. Vor drei Wochen gab es einen Angriff auf die ehemalige Schule meines Sohnes. So etwas ist furchtbar.

Wie sind Ihre Zukunftsaussichten?

Mein größter Wunsch ist es, bald wieder mit meiner Familie vereint zu sein. Egal, ob in der Ukraine oder in Deutschland. Bis dahin, mache ich weiter, lerne, arbeite und passe auf meine Kinder auf. Außerdem helfe ich geflüchteten Ukrainern in Deutschland anzukommen, mit meinen wenigen Deutschkenntnissen Dokumente für sie zu beantragen. Ich lasse mich täglich inspirieren und versuche stets meine Fröhlichkeit aufrechtzuerhalten. Ich danke jedem, der mich auf meinem Weg unterstützt und schätze jede Hilfe wert.

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