Süddeutsche Zeitung

Tierschutz:Das Geld im Tierheim Freising fehlt überall

Wegen Corona brechen den Betreibern des Freisinger Tierheims auch in diesem Jahr viele Möglichkeiten weg, um Spenden zu sammeln. Doch das Haus ist voll und die Sorgen sind groß.

Von Kerstin Vogel

Seit 2018 ist das lange umkämpfte Freisinger Tierheim endlich in Betrieb - und fast von Beginn an stand fest, dass es zu klein ist. Tatsächlich hat das im Juni 2016 genehmigte Gesamtkonzept aus Geldmangel nicht fertig umgesetzt werden können. Man behilft sich unter anderem bei der Quarantänestation für Hunde und Katzen mit einer Containerlösung, es fehlen mindestens vier weitere Hundezwinger. Schnell hat sich im laufenden Betrieb zudem gezeigt, dass man zusätzliche Hundeausläufe brauchen wird.

Denn abgegeben werden derzeit vor allem Schäferhunde, Herdenschutzhunde oder große Mischlinge, die sich oft mit Artgenossen nicht vertragen und in den kleinen Zwingern kaum Tierschutz-gerecht gehalten werden können, wie Joseph Popp, der Vorsitzende des Tierschutzvereins, feststellt. 2022 soll nun endlich Bewegung in die Pläne zum Weiterbau des Tierheims kommen - eigentlich. Popp erwartet dieser Tage die Baugenehmigung für den Zaun, mit dem die neuen Ausläufe samt wetterfestem Hundehaus gesichert werden sollen - und der Tierschutzverein hat eine große Erbschaft über 350 000 Euro gemacht, die zweckgebunden nur für den Ausbau der Einrichtung verwendet werden darf. Doch Popp hat trotzdem Sorgen.

Denn alle Pläne umzusetzen, dürfte mehr als die Erbschaft verschlingen, nicht zuletzt, weil die Baukosten Corona-bedingt in den vergangenen Monaten erneut massiv gestiegen sind. Gleichzeitig fallen nun wegen der Pandemie wieder alle Advents- und Christkindlmärkte sowie andere Veranstaltungen aus, bei denen der Tierschutzverein an Verkaufsständen Einnahmen generieren und Spenden sammeln kann. Zum Glück ist das Eventteam des Vereins einfallsreich, und so lagern im Versammlungsraum des Tierheims derzeit die Waren für virtuelle Weihnachtsmärkte und die große Facebook-Auktion, die an diesem Wochenende steigen und deren Erlös zu hundert Prozent an die Einrichtung gehen soll. Geld, das man dringend braucht, wie Popp bei einem kleinen Rundgang durch die Einrichtung deutlich macht.

Zu den Hunden, die von einem größeren Auslauf profitieren würden, gehört der sechsjährige Schäferhund Daemon - ein Bild von einem Hund, groß, sportlich, mit treuherzigem Blick. Doch sein Name ist ein bisschen die selbsterfüllende Prophezeiung, der Blick kann täuschen. Aus einer Leistungszucht stammend, geriet der Rüde wohl in die falschen Hände, wurde übertrieben auf Beute gedrillt und dann zusammen mit einer anderen Schäferhündin verschenkt - in einen offenbar neuerlich unpassenden Haushalt mit Kindern, in dem man seiner nicht Herr wurde und ihn schließlich samt der Hündin im Freisinger Tierheim abgab. Dort wird nun mit ihm gearbeitet, doch bis der passende Besitzer mit der nötigen Erfahrung gefunden ist, kann es dauern, da geben sich die Verantwortlichen keinen Illusionen hin.

Und Daemon ist nicht der einzige Hund dieses Kalibers, der hier wohl längerfristig einen der Zwinger belegt. Da ist Loki, ein ängstlicher Hund aus Griechenland, der erst an Menschen gewöhnt werden muss, da ist ein aufgedrehter junger Mischling, der dringend Erziehung braucht - oder die kleine Jagdterrierhündin Terry, sehr nett mit Menschen, aber leider unverträglich mit allen anderen Tieren, inklusive ihrer Artgenossen. Für diese Hunde sind Popp die neuen Ausläufe so wichtig - aber auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in den beengten Verhältnissen nicht selten größeren Gefahren im Umgang mit möglicherweise beißenden Hunden ausgesetzt sind. "In dieser Hinsicht ist der Arbeitsschutz katastrophal", sagt Popp.

Natürlich können die Hunde mit Maulkörben gesichert werden, doch ein Hund wie Daemon findet immer wieder Wege, sich den "abzubauen", wie sie es nennen. Neben den Ausläufen ist auch der noch ausstehende Anbau der Quarantänestation für Hunde und Katzen an den Hauptbau der Krankenstation eigentlich unverzichtbar, die Lösung in den Containern ist trotz professioneller Umsetzung nicht optimal, schon weil hier höchste Ansprüche an Hygiene und Desinfektion bestehen, inklusive kompletter Küchen- und Waschmaschinenausstattung in jedem einzelnen Modul. In einen dieser Container haben Helfer und Mitarbeiter eine große Vogelvoliere mit verschiedenen Abteilen gebaut.

Was kaum bekannt ist: Die gefiederten Fundtiere bringen sehr oft Krankheiten mit, müssen schon deshalb in Quarantäne, weil es sich dabei nicht selten um Zoonosen handelt; Erreger also, die von Tieren auf Menschen übertragen werden können. Aktuell sitzen zwei Nymphensittiche in der Voliere, "sie mögen sich nicht wirklich", sagt Popp, "aber das muss sein". Dafür heizt ein Radiator das Container-Modul auf angenehme Temperaturen. Fundkatzen, die im Tierheim landen, sind oft mit Parvovirose infiziert, der hoch ansteckenden Katzenseuche, die nur zu oft tödlich endet - kein Wunder also, dass die Desinfektion der verschiedenen Quarantänebereiche einem ausgeklügelten System folgt - und dass das Tierheim zusätzlich zu gut 60 000 Euro an Tierarztkosten allein für Desinfektionsmittel mehrere tausend Euro im Jahr ausgeben muss.

In der ursprünglich geplanten Quarantänestation direkt neben dem Krankentrakt wäre all dies einfacher zu handhaben. Auch die Notzwinger für die vier Polizeistationen, mit denen das Freisinger Tierheim zusammenarbeitet, sind in den Containern untergebracht. Die Beamten haben Schlüssel, damit sie auch nachts Fundtiere bringen und mit Futter und Wasser versorgen können - und dann natürlich eine SMS oder WhatsApp-Nachricht an jemanden vom Tierheim schicken, damit der Neuankömmling auch angekündigt ist und am nächsten Tag weiter versorgt werden kann. In glücklichen Fällen meldet sich der Besitzer, ansonsten landen Hund, Katze oder Vogel im Vermittlungsbereich, sobald feststeht, dass das Tier gesund ist.

Dass man hier versucht, mehr als eine reine Aufbewahrungsstation zu sein, zeigt sich im Katzentrakt, in den liebevoll mit Kletterbäumen, Spielzeug und Kuschelecken gestalteten Zwingern, an die kleine Außenbereiche angeschlossen sind. Auch bei den Katzen, die auf eine neue Familie warten, müssen die Mitarbeiterinnen natürlich sehen, wer mit wem zusammenleben kann. Außen an den Zwingern sind Einzelheiten zur Fütterung notiert oder auch andere Hinweise: "Haut gerne ab", steht etwa als Warnung neben der Tür von einem Kater namens Manuel - eine türmende Katze quer durch den Besuchstrakt verfolgen zu müssen, sei kein reiner Spaß, sagt Popp augenzwinkernd.

Auf Spenden ist das Tierheim nicht nur mit Blick auf die Baukosten angewiesen. Auch Leinen, Maulkörbe, Futter oder Mobiliar stammen zu großen Teilen aus Spenden - die Einrichtung der Futterküche überrascht deshalb mit hochwertigem Shabby-Chic und Marmorplatte: Sie hat früher dem Direktor des Marriott-Hotels gehört, wie Popp erzählt. So edel muss es sonst natürlich nicht zugehen. Doch Tierheime werden in Bayern nicht staatlich gefördert und finanzieren sich aher ausschließlich aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen und Sponsorengeld.

Für den 2022 geplanten Weiterbau der 2016 genehmigten Bauteile, der vier Hundezwinger, der Quarantänestation und von zehn Parkplätzen rechnet Popp nach den derzeitigen Kostenvoranschlägen mit 460000 Euro. Die zusätzlichen Hundeausläufe dürften weitere 79 000 Euro verschlingen. Trotz der Erbschaft müsste der Tierschutzverein in den nächsten Monaten noch etwa 140 000 Euro einwerben, um die Vorhaben 2022 wirklich umsetzen zu können, hat Popp ausgerechnet.Leicht ist das schon dann nicht, wenn keine Pandemie grassiert.

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