Süddeutsche Zeitung

SZ-Kulturpreis Tassilo:Eine Sirene am Mischpult

Anja Winnes aus Freising ist Reggae-DJane mit Botschaft. Dafür ist sie jetzt für den Tassilo-Preis nominiert.

Von Maike Velden

"Ich bin DJane, aber das ist mehr als nur ein Hobby für mich. Das nimmt Zeit, Raum, Herz und meine Gedanken ein." Anja Winnes, von Beruf Landschaftsarchitektin mit einem eigenen Gartengestaltungsbetrieb in Freising, hegt eine Leidenschaft für Schallplatten und Reggae. Sie legt als "Siren Sisters" seit Ende der 90er-Jahre auf und organisiert selber Veranstaltungen. Jetzt ist sie für den Tassilopreis der SZ nominiert. "Ich habe schon immer gerne einfach Musik gehört. Meine Mutter konnte mich als kleines Kind einfach vor dem Radio oder dem Plattenspieler parken, mir hat das immer Spaß gemacht, zuzuhören", lacht Anja Winnes. Irgendwann sei sie gefragt worden, ob sie nicht auflegen wolle und hatte Lust dazu.

Am der Reggae-Szene mag sie vor allem den Austausch und die gute Vernetzung. "Mit meiner Musik möchte ich, dass es den Menschen nachher besser geht und sie besser drauf sind. Sie können ihre Alltagssorgen vergessen, nachdenken und auch tanzen", erklärt Anja Winnes. Musik bedeute für sie ein Miteinander. Sie wolle "eine bewusste Message" transportieren, um den Spaß am Leben hervorzuheben. "Es geht nicht um Drogen und Alkohol. Für mich bedeutet Musik auch gesellschaftliche und soziale Kritik. Außerdem ist das auch wie eine göttliche Verbindung. Musik ist ja nicht nur Musik und Klang. Für mich ist es ein starkes Mittel, um mich auszudrücken", beschreibt die 45-jährige DJane ihr Schaffen. Sie hat schon beim großen Fusion-Festival bei Müritz aufgelegt, zu dem jedes Jahr Tausende kommen, und organisiert dort seit 2009 einen eigenen Bereich mit ihrem Team.

Die Songtexte sind wichtig

Wenn Anja Winnes auflegt und sich vorher die Platten aus ihrer Sammlung sucht und eine Vorauswahl trifft, dann achtet sie ganz stark auf die Songtexte. "Gewalt und Homophobie kommen mir nicht auf den Plattenteller", sagt sie. Die Musikauswahl für Auftritte trifft sie, indem sie die Stücke anhört. "Die Musik und die Platte müssen zu mir sprechen und der Moment muss der Richtige sein, dann nehme ich die Platte mit zu einem Auftritt", erzählt sie Winnes. Die Reggae-DJane mixt dabei alte und neue Songs, um diesen eine Plattform zu bieten und sie bekannter zu machen. Die alten Sachen nimmt sie mit, weil die "einfach gut und richtig schön sind und leider oft zu unbekannt", sagt sie.

Außerdem ist ihr wichtig, dass viele Frauen spielen. "Wenn ich Veranstaltungen selber organisiere, dann bestimme ich selber die Bookings. In den vergangenen 15 Jahren habe ich ganz bewusst viele Frauen angefragt und gebucht. Künstlerinnen fragen mich nie an, aber Männer schicken mir schon Anfragen", erzählt Anja Winnes. Das liege wahrscheinlich daran, dass Frauen sich oft nicht trauen würden, im Fokus zu stehen, vermutet sie. Frauen sind ihrer Meinung nach generell unterrepräsentiert, aber in der Reggae-Szene ganz besonders.

Weibliches Potenzial fördern

Anja Winnes hat deswegen das Kollektiv "Lioness Awake" gegründet. "Das Kollektiv ist eine Möglichkeit, sich auszutauschen und die Hemmschwelle zu überwinden. Momentan sind wir zu acht oder neunt. Wenn es die Situation zulässt, legen ein paar auch mal zusammen auf, aber nicht alle gemeinsam", erklärt Anja Winnes. Die Kollektiv-Mitglieder bedienen sowohl den Plattenteller, als auch Effektgeräte und Mikrofon. Das Spektrum reicht von authentischen Roots-Reggae-Klassikern bis zu modernen Steppas mit Tiefgang. So zeigen die Frauen, dass die überwiegend männerdominierte Reggae-Szene auch sehr viel weibliches Potenzial hat. Von Sunny Red (München) bis zum "Fusion Festival", von Panoptikum (Kassel) bis JimCamp Festival - das Kollektiv beweist, dass die männerdominierte Roots-, Reggae- und Dub-Szene vielseitiger aufgestellt sein kann. Lioness Awake möchte auch andere Frauen dazu ermutigen, sich musikalisch zu verwirklichen.

Die musikalische Verwirklichung wird durch die Pandemie allerdings momentan gehemmt. Vor allem vermisst Anja Winnes den Austausch, obwohl sie ein- bis zweimal im Monat per Livestream auflegt. Logistisch sei das einfacher und günstiger, aber bei Weitem nicht mit dem Erlebnis in einem Lokal oder bei einem Festival zu vergleichen.

"Siren Sisters"

Der Name "Siren Sisters" hat zwei Ursprünge. Zum einen ist die Sirene laut Winnes ein wichtiges Instrument im Reggae, um Lieder untereinander zu mischen. Zum anderen lehne sich der Name an die Sirenen aus der griechischen Mythologie an. Die Sirenen machen verlockende und wunderschöne Musik. Außerdem hat die DJane so auch einen Bezug zum Meer geschaffen. "Im Meer gibt es Wellen, wie Klangwellen oder Soundwellen. Das macht alles organischer", betont sie. Den Tassilo-Kulturpreis hat sie ihrer Meinung nach verdient, weil sie es wert sei. "Ich engagiere mich seit Jahren ehrenamtlich für andere Künstlerinnen und Künstler und biete denen eine Plattform zum Austausch biete", erklärt sie. "Außerdem hoffe ich, dass ich auch einfach gut genug bin", fügt Anja Winnes hinzu. Von dem Preisgeld würde sie in neues Equipment und in ein Soundsystem investieren. "Vielleicht würde ich was eigenes entwickeln", überlegt sie. "Ein Teil geht bestimmt in neue Schallplatten und einen Teil würde ich spenden." Das sei ihr wichtig, denn sie arbeite auch eng mit der Organisation "Hope for Ethiopia" zusammen.

Wenn Sie eine Kandidatin oder einen Kandidaten für den SZ-Kulturpreis vorschlagen wollen, schreiben Sie bitte bis 30. April eine E-Mail an lkr-freising@sz.de oder tassilo@sz.de.

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Quelle:
SZ vom 20.04.2021
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