Neues Unternehmen in Freising:Bewerbung mit veränderter Reihenfolge

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Der heute 36-jährige Alexander Grossmann hat die Recruiting-Firma 2012 gegründet. (Foto: Marco Einfeldt)

Alexander Grossmann lässt Personal-Chefs neuerdings Podcasts aufnehmen, um die Jobvermittlung attraktiver und fairer zu gestalten.

Von Thilo Schröder, Freising

"Spannend ist vor allem das viele Reisen im In- und Ausland. Du besucht also regelmäßig unsere Hotels und arbeitest intensiv mit den Teams vor Ort zusammen. Du hast flexible Arbeitszeiten und Orte und arbeitest dadurch unabhängig und eigenverantwortlich." So bewirbt der Vertreter einer Hotelkette eine Vollzeitstelle in München. Das Besondere daran: Er tut dies über einen sogenannten Jobcast, eine auf der Website Ohrbeit.de abrufbare dreiminütige Audiodatei. Die Idee, das Bewerbungsgespräch umzudrehen und zunächst den Personaler vorsprechen zu lassen, stammt von einer Freisinger Firma.

Deren Büro in der Unteren Hauptstraße hat noch etwas vom Charme der Wohnung, die es vor dem Einzug der Fair Recruitment GmbH war. Es stehen jetzt eben höhenverstellbare Schreibtische neben dem Sofa und hängen Flipcharts neben den Leinwandbildern. Sie visualisieren Inhalte der Datenschutzgrundverordnung und den Spirit des Unternehmens: "Wer bin ich und wenn ja, wie viele?", steht auf Kartonkarten. "Sozialleben", "Realistische Erwartungen" und "Freude durch Arbeit".

"Ich will's fairer machen als der Rest"

Alexander Grossmann hat die Recruiting-Firma 2012 gegründet. Als Jugendlicher wollte der heute 36-Jährige Journalist werden - "das hat aber nicht funktioniert". Also lernte er Verlagskaufmann und fing in einem Münchner Ökoverlag an, wo er Listen herunterbetete und abtelefonierte. Frustriert wechselte er erst zu einer Personalberatung in Hallbergmoos, dann zu einem Personaldienstleister in München. Um schließlich den Entschluss zu fassen: "Ich will's fairer machen als der Rest."

Zunächst habe er IT-Freiberufler in Projekte vermittelt, erzählt Grossmann, habe sich ohne Vertriebskontakte von Monat zu Monat gehangelt. Erst vor drei Jahren kam die erste Mitarbeiterin, Sarah Ludwig, heute ist das Team mit Georg Müller, Claudia Ludwig und Daniel Eisenschink auf fünf feste Mitarbeiter angewachsen. Dazu kommen Freiberufler auf Projektbasis.

Podcast statt Stellenanzeige

Das Jobcast-Portal Ohrbeit ging Mitte Dezember an den Start. Das Konzept sei über die Zeit gewachsen, sagt Grossmann. "Wir haben gemerkt: Das Problem, das die meisten haben, sind eben diese Vermittler, wie wir selber welche sind. Wir machen das zwar fair, aber ganz viele andere machen das eben nicht ganz so, wie es sich die Unternehmen wünschen, und auch nicht, wie es sich die Kandidaten wünschen."

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Ein weiteres Problem sind laut Grossmann langweilige Jobinserate. "Darum gibt's ja so viele Headhunter, die die Leute ansprechen. Stellenanzeigen sind nicht authentisch. Wir wollten halt genau da ran: den Unternehmen ein Tool geben, dass die wieder interessanter werden, quasi gezwungenermaßen."

Die Grundidee: Firmen gehen in Vorleistung, indem sie in einem Jobcast Auskunft geben über Jobinhalte, Gehalt, Arbeitszeiten, Homeoffice-Möglichkeiten und Urlaubsumfang. Mit interessierten Unternehmen führen Grossmann und seine Kollegen zuerst ein Vorgespräch, dann bekommen diese ein Podcast-Mikro zugeschickt, samt Anleitung und Fragen zum Job. Aufgenommen wird über eine App. "Zwei von fünf Fragen, die wir vorher stellen, müssen sie beantworten. Weil wir gemerkt haben, dass Unternehmen halt immer noch zu sehr in ihr Blabla verfallen", sagt Grossmann. "Wir wollen auch weg von diesem: Du musst das, das und das können. Sondern eher: Welche Rolle erwartet dich und was kannst du da lernen? Ich glaub, das interessiert die Leute viel mehr."

Die Firma arbeitet bundesweit

Ohrbeit fungiert als Plattform für eine Erstauswahl potenzieller Mitarbeiter. Ihre Daten würden in Kooperation mit einem Kölner Wissenschaftler anonymisiert, Bilder aus den Lebensläufen entfernt, sagt Grossmann. So solle der Einfluss unbewusster Denkmuster vermieden werden. "Es ist egal, wie alt du bist, wo du herkommst, wie du aussiehst. Es geht nur darum, was du bisher gemacht hast, was deine Fähigkeiten sind. Und dadurch wird auch gerechter und diverser ausgewählt."

Von Unternehmen gäbe es teilweise Widerstand, sagt er. "Aber die machen dann doch mit und sagen: Okay, wir probieren das. Es geht uns um mehr, als um das Business, es geht um die Chancengleichheit."

Ohrbeit ist als überregionales Portal konzipiert, das zeigen etwa Beiträge aus dem Rheinland. Und: Diese stammen derzeit zumeist aus dem IT-Bereich. Das solle sich aber ändern, sagt Grossmann, dessen Team unter anderem mit einer Zahntechnikerin, einem Ethnologen und einer Frisörin sehr divers besetzt ist. Es gebe Kontakt zu anderen Branchen: "Da geht's um Pflegekräfte, da geht's um Kfz-Mechaniker, da geht's um Einzelhandelskaufleute." Man wolle in Nischen vordringen, die von Headhuntern bislang noch nicht bedient würden, sagt Alexander Grossmann. Offenbar erfolgreich: Der eingangs erwähnte Hotel-Jobcast sei "unser am besten laufender".

© SZ vom 10.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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