Gedenktag für ermordete Sinti und Roma:Ein Bewusstsein für den Schrecken schaffen

Gedenktag für ermordete Sinti und Roma: Mahnmal für die in der NS-Zeit ermordeten Sinti und Roma am Reichstag in Berlin.

Mahnmal für die in der NS-Zeit ermordeten Sinti und Roma am Reichstag in Berlin.

(Foto: Rolf Zoellner/imago/epd)

Auch in Freising erinnert man an die Deportation und Ermordung von Sinti und Roma durch die Nazis. Die neu gegründete Academia Rromai will diesen dunklen Teil der Geschichte noch mehr in den Fokus rücken.

Von Lena Meyer, Freising

Es ist ein Datum, das ein schreckliches und düsteres Kapitel markiert. Der 16. Dezember. Ein offizieller Gedenktag, der an die Ermordung unzähliger europäischer Sinti und Roma erinnert. Zehntausende von ihnen wurden in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Und der Großteil dort ermordet. Das alles geschah vor 80 Jahren, nachdem Heinrich Himmler den sogenannten "Auschwitz-Erlass" unterzeichnet hatte. Dieser sah die vollständige Vernichtung des Volks der Sinti und Roma vor. "Zigeuner". So wurde das Volk abschätzig von den Nationalsozialisten genannt. Gemeint waren mit diesem verletzenden Wort umherziehende Bettler, Tagelöhner.

Aus Anlass des diesjährigen Gedenktags fand auch ein Treffen im "Raum der Begegnung" in Freising statt. Zur Eröffnung erläuterte die zweite Vorsitzende des "Freisinger Fördervereins Raum der Begegnung", Marina Decker, die geschichtlichen Hintergründe des Tages. Gleichzeitig wurde die neu gegründete Academia Rromai, Kreisvereinigung Freising-Moosburg, vorgestellt. Im Februar 2020 wurde diese gegründet - "kurz vor dem ersten Lockdown", erinnert sich die Freisingerin Luise Gutmann von der Academia Rromai. Die Zeit während der Pandemie sei nicht einfach für den Verein gewesen, richtig anfangen konnte man erst im vergangenen Jahr, sagte sie. Luise Gutmann, Mitglied beim Bund der Antifaschisten (VVN-BdA)war erst Anfang Oktober 2022 für ihr jahrzehntelanges Engagement gegen Faschismus und Rechtsradikalismus mit dem Pax-Christi-Preis "Einspruch wagen - Preis für Zivilcourage" ausgezeichnet worden.

Ziel des Vereins sind die Integration und Inklusion der Sinti und Roma

Ziel des Vereins sei sowohl die Integration als auch die Inklusion der Sinti und Roma, sagt sie. Dabei versuche man durch bestimmte Workshops ein Verständnis für die eigene Kultur zu schaffen und zu stärken. Während eines Musikworkshops komponierten Kinder beispielsweise eigene Lieder und stellten ein Programm vor. Man wolle außerdem durch das Aufzeigen bestimmter positiver Vorbilder weg von einem stereotypischen Denken gehen. "Wir wollen nicht wieder Klischees aufrollen, in dem man sie herbeiredet", so Luise Gutmann. Stattdessen wolle der Verein gerade den Jüngeren Perspektiven und Möglichkeiten zeigen - anhand der Erfolge von berühmten Sinti und Roma. Luise Gutmann nennt diese Schritte "Empowerment". Die Veranstaltungen liefen oftmals auf deutsch ab, werden allerdings auch übersetzt. Jedoch erinnert sich Gutmann daran, dass einige Aktivitäten auf Romanes oder Rumänisch abgehalten wurden. "Da haben die Deutschen zurückstecken müssen", sagt Luise Gutmann. Den Verein sieht sie als nicht ortsgebunden und führt auf, dass sogar Treffen in Bamberg organisiert wurden.

Als Initiatoren des Vereins sieht Gutmann den KZ-Überlebenden und Sinto Hugo Höllenreiner sowie die Regisseurin Iovanca Gaspar, die den Vorsitz des Vereins inne hat. Höllenreiner überlebte mehrere Konzentrationslager, als Kind wurde er Opfer der Menschenversuche des gefürchteten KZ-Arztes Josef Mengele - und überlebte. "Die Geschichte", erinnert sich Gutmann, "war die Schlimmste, die ich je gehört habe". Höllenreiner selber berichtete an Schulen von seinen Erlebnissen, begleitet wurde er unter anderem auch von Luise Gutmann.

Sein Überleben wurde in dem Dokumentarfilm "Dui Rroma - Zwei Lebenskünstler" von Iovanca Gaspar festgehalten. 2015 verstarb Hugo Höllenreiner. Seine Geschichte allerdings hatte dafür gesorgt, dass ein Verein gegründet wurde, der ein Bewusstsein für das Volk der Sinti und Roma stärken will. Und "einen Weg zwischen Dominanzgesellschaft und der Minderheit der Sinti und Roma" schaffen will, so Gutmann.

Sinti und Roma wurden auch in Neufahrn zur Zwangsarbeiten herangezogen

Der Förderverein Raum der Begegnung freute sich, "seine Räumlichkeiten für den Gedenktag der Deportation von Sinti und Roma zur Verfügung zu stellen", sagen Marina und Andreas Decker. Ihnen sei es ein Anliegen, die geschichtlichen Ereignisse nicht zu vergessen und stattdessen ein Bewusstsein für sie und ihre Dimensionen zu schaffen. Denn Gedenktage seien wichtig, sagt Luise Gutmann. Gerade, wenn es um die Schrecken des Zweiten Weltkrieges gehe und das Leid, das die Nationalsozialisten über Europa brachten. Die Mehrheit verbindet mit dieser Zeit den Holocaust, den Völkermord an Millionen europäischer Juden. Der Völkermord an den Sinti und Roma hingegen sei im Verständnis vieler Menschen "nicht so verankert", so Gutmann. Trotz seines "wahnsinnigen Ausmaßes."

"Es ist die selbe Art von Verbrechen", hält Luise Gutmann fest. Die selbe Art von Völkermord. Und ein Verbrechen, das auch im Landkreis begannen wurde: Guido Hoyer, Vorsitzender des VVN-BdA-Kreisverbands Freising-Moosburg, merkte während des Gedenktages an, dass Sinti und Roma auch in Neufahrn zur Zwangsarbeiten herangezogen worden seien. Beispielsweise für den Bau einer militärischen Landebahn, wie Andreas und Marina Decker schreiben. Diese Art der Zwangsarbeit im Landkreis ging noch bis 1945.

Ein Bewusstsein für diesen Schrecken zu schaffen, hält Luise Gutmann für wichtig. Denn wie der Auschwitz-Überlebende Primo Levi sagte: "Es ist geschehen und folglich kann es auch wieder geschehen." Für Luise Gutmann ist es daher wichtig, "die Mehrheitsgesellschaft" auf diese Gräueltaten aufmerksam zu machen und zu sensibilisieren. Obwohl die Schrecken 80 Jahre zurückliegen, hält sie es "nach wie vor für notwendig", darüber aufzuklären.

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