Süddeutsche Zeitung

Freising:Schlüsseldienst will 337 Euro für fünf Sekunden Arbeit

  • Für seinen Schlüsseldienst berechnet ein Mann in Freising extrem hohe Preise.
  • Er wird in regelmäßigen Abständen wegen Wucher, Betrug oder Nötigung angezeigt - meist ohne Erfolg, denn rechtlich bewegt er sich in einer Grauzone.
  • Im Internet wird inzwischen vor dem Schlüsseldienst gewarnt.

Von Christian Gschwendtner, Freising

Der Mann versteht etwas von seinem Handwerk. Nur anders als das seinen Kunden lieb ist. Seit mehr als 20 Jahren betreibt er in Freising einen Schlüsseldienst und hat es so zum wohl meistgehassten Handwerker zwischen Eching und Moosburg gebracht. Alle kennen ihn: die Polizei, die Richter am Freisinger Amtsgericht, die Staatsanwaltschaft in Landshut. Anhaben kann ihm niemand was.

Bei der Landshuter Staatsanwaltschaft stapeln sich die Ermittlungsverfahren gegen den 51-Jährigen. Mehr als 20 sollen es allein in den letzten Jahren gewesen sein. Der Handwerker aus dem nördlichen Landkreis wird in regelmäßigen Abständen wegen Wucher, Betrug oder Nötigung angezeigt. Fast immer ohne Erfolg.

"Wucher ist extrem schwer nachzuweisen, es gibt so gut wie keine Vorgaben für Schlüsseldienste", sagt Freisings Polizeichef Ernst Neuner. Viele Schlüsseldienste bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone - das weiß auch Neuner. Dank findiger Anwälte und jahrelanger Erfahrung mit den Behörden wissen sie mittlerweile sehr genau, wie weit sie beim Aufsperren von fremden Türen gehen können.

Notsituation wird mit dubiosen Zuschlägen ausgenutzt

Moralisch gesehen ist es für Neuner eine Sauerei, dass da eine subjektive Notsituation der Betroffenen gnadenlos ausgenutzt wird. Aus rechtlicher Sicht sind ihm und der Staatsanwaltschaft meistens die Hände gebunden. Für den Gesetzgeber ist der Tatbestand des Wuchers nur dann erfüllt, wenn die besondere Zwangslage eines anderen ausgebeutet wird. In der Realität ist das schwer nachzuweisen. "Es reicht zum Beispiel nicht aus, sich an einem warmen Sommertag auszusperren", sagt die Landshuter Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl.

Der Schlüsselmann aus dem Landkreis mag den Bogen oft überspannt haben, wegen Wuchers wurde er offenbar noch nie belangt. Nur zwei Fälle sind dokumentiert, in denen ihn das Freisinger Amtsgericht zu einer Geldstrafe verurteilt hat. Einmal, weil er einen erzürnten Kunden aus Eching als "blöden, illegalen Ausländer" beleidigt haben soll. Zuvor musste der Mann vom Schlüsseldienst bereits einmal wegen Erpressung ins eigene Portemonnaie greifen. Ein zweijähriges Mädchen hatte sich versehentlich in der Toilette eingesperrt. Und anstatt das Kind unverzüglich aus seiner Zwangslage zu befreien, zierte sich der Schlüsselmann so lange, bis ihm die Großeltern aus Verzweiflung die geforderten 337 Euro in bar ausbezahlten. Fünf Sekunden später war die Enkelin befreit. Dem Schlüsselmann hat das Manöver im Nachhinein eine Geldstrafe von 1250 Euro eingebracht. An seinem Vorgehen hat er trotzdem nichts geändert.

Der Mann ist kein Sonderfall

Laut Erfahrungsberichten von Betroffenen berechnet der Mann vom Schlüsseldienst eine An- und Abfahrtspauschale von jeweils 39 Euro. Für sein Kerngeschäft, das Türenöffnen, werden rund 120 Euro fällig. Zur besten Sportschauzeit, samstags um 18 Uhr, kann schon einmal ein Notdienstzuschlag von 100 Prozent hinzukommen. Und selbstverständlich wird auch noch die Werkzeugabnutzung mit 38 Euro in Rechnung gestellt. Wenn man dann noch für einen gewöhnlichen Türzylinder statt den handelsüblichen 40 Euro den dreifachen Preis zahlen muss, ist man schnell bei einer stolzen Summe. Betroffene empfehlen deshalb, lieber die Fensterglasscheibe einzuwerfen oder gleich die Tür einzutreten. Das käme deutlich günstiger.

Der Mainburger Josef Weindl kennt den Schlüsselmann aus Freising von seiner Tätigkeit als Sachverständiger vor Gericht. Ein Sonderfall sei der 51-Jährige nicht, sagt er. Der Schlossereiinhaber Weindl könnte aus dem Stand einige Schlüsseldienste aus der Umgebung aufzählen, die ein ähnliches Geschäftsgebaren an den Tag legen. "Es ist wirklich schwierig, denen das Handwerk zu legen, solange der Gesetzgeber nichts ändert. Mit jedem Gerichtsurteil werden die cleverer", sagt Weindl.

Seriöse Experten verlangen 80 Euro

Ihm selbst käme es nicht in den Sinn, derart hohe Summe für eine Haustüröffnung zu veranschlagen. 150 Euro seien schon ein fürstlicher Lohn, findet das Metallinnungs-Mitglied Weindl. Er berechnet 80 Euro für Türöffnung und Zylinder. So mancher weniger seriöse Schlüsseldienst schlägt bei solchen Preisvorstellungen die Haustüre wieder zu, die er zuvor in Sekundenschnelle geöffnet hat.

Im Internet warnen zahlreiche Landkreisbürger vor dem örtlichen Schlüsseldienstmann. "Achtung Wucher!!!" oder "Vorsicht schwarzes Schaf" ist auf mehreren Seiten zu lesen. Ruft man den Urheber dieser Empörungswelle an, nur um ihn zu fragen, ob er bei so vielen Anfeindungen nicht auch ein wenig ins Grübeln kommt, sagt der Mann: "Wir geben generell keine Auskünfte." Dann legt er auf.

Ein paar Mausklicks von den Negativbewertungen im Netz entfernt, preist der Freisinger Schlüsselmann selbstbewusst seine Dienste an. "Wir kommen gerne, arbeiten schnell, sauber und preiswert", steht dort unter einem gelben Grinse-Smiley.

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SZ vom 24.02.2016/vewo
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