1000 Jahre PullingWo Rudolph Moshammer Kartoffeln klaubte

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Pulling feiert an diesem Wochenende sein 1000-jähriges Bestehen.
Pulling feiert an diesem Wochenende sein 1000-jähriges Bestehen. (Foto: Marco Einfeldt)

Der Freisinger Ortsteil Pulling feiert an diesem Wochenende sein 1000-jähriges Bestehen. Josef Pellmeyer hat dazu eine Ortschronik geschrieben. In den Anekdoten kommen der Münchner Modezar und der Bruder von „Sisi“ vor.

Von Peter Becker, Freising

Vorbei war es am 17. Mai 1992 mit der beschaulichen Ruhe in Pulling. Der Flughafen im Erdinger Moos war in Betrieb gegangen. Seitdem donnern die Jets über das Dorf mit ohrenbetäubendem Lärm hinweg. Kein Wunder also, dass Josef Pellmeyer dem Flughafen in seiner Chronik „Die Geschichte und Geschichten von Pulling“ zum 1000-jährigen Bestehen des Orts einen breiten Raum einräumt. Drei Jahre lang hat er an dem 412 Seiten langen Werk gearbeitet.

„Es war teilweise sehr mühsam, aber auch spannend und informativ, an dem Buch zu arbeiten“, zieht Pellmeyer für sich ein Resümee. Die Geschichte beginnt mit der ersten urkundlichen Erwähnung von Pulling. Aufgelistet werden alle Personen, die im Dorfleben eine Rolle gespielt haben. Nicht nur Bürgermeister und Vereinsvorstände, sondern auch illustre Persönlichkeiten wie Herzog Carl Theodor von Bayern, Anton Schlüter und Rudolph Moshammer.

Der ersten urkundlichen Erwähnung eines Orts liegt meist ein Tauschgeschäft zugrunde. So auch im Falle Pullings, als um 1024 Bischof Egilbert von Freising mit dem Abt Arnold von Weihenstephan unter anderem 14 Orte gegen einen Teil der Insel Sachsengang bei Wien tauschte. Pulling mit seinen Ländereien sei unter diesen Ortschaften gewesen, vermutet Pellmeyer.

421 Seiten umfasst die Ortschronik über Pulling, die Josef Pellmeyer geschrieben hat.
421 Seiten umfasst die Ortschronik über Pulling, die Josef Pellmeyer geschrieben hat. (Foto: Marco Einfeldt)

Gräberfunde in der Umgebung deuten darauf hin, dass Pulling schon vor der ersten urkundlichen Erwähnung besiedelt gewesen war. Ältesten Freisinger Urkunden zufolge geht der Ortsname auf den Freibauern „Pullo“ zurück. 1014 hieß das Dorf noch „Pulligun“, die Siedlung des Pullo.

Kriege und Naturkatastrophen haben dem kleinen Ort vor den Toren Freisings im Lauf der Jahrhunderte arg zugesetzt. Die Chronik berichtet vom Einfall der Schweden während des Dreißigjährigen Kriegs im Juni 1643. Alle fünf Höfe, die es damals gab, wurden niedergebrannt. Im Ersten Weltkrieg mussten zwölf Pullinger für das Kaiserreich ihr Leben lassen. Im Zweiten Weltkrieg zahlte die Gemeinde einen noch höheren Blutzoll. 31 Männer starben, das Schicksal von zwölf weiteren ist nicht bekannt.

Der Deserteur wurde auf dem Ortsfriedhof beerdigt

Die Chronik besagt, dass der Einmarsch amerikanischer Truppen am 1. Mai 1945 sehr diszipliniert verlief. Tragisch verlief allerdings das Schicksal eines fahnenflüchtigen Soldaten. Durchziehende Kameraden erkannten ihn in Hohenbachern. Das Standgericht wurde beim Büchlerwirt in Pulling vollzogen. Der Deserteur wurde zum Tod durch Erhängen verurteilt. Das Urteil wurde an einem Kastanienbaum vollzogen. Die NS-Soldaten hängten dem Delinquenten eine Tafel um den Hals, auf der geschrieben stand: „Ich habe mein Vaterland verraten, darum hänge ich hier.“ Nachdem die Soldaten das Dorf verlassen hatten, durchschnitten Pullinger das Seil und beerdigten den Deserteur auf dem Ortsfriedhof.

Der Krieg führte einen vierjährigen Bub nach Pulling, der später als „Modezar“ berühmt werden sollte: Rudolph Moshammer. Die Pullingerin Christl Hermannsdorfer erzählt in der Chronik, dass die Familie Moshammer bei einem Bombenangriff in München ihr Zuhause verloren hatte. Sie kam bei der Familie Hermannsdorfer auf dem Hof Pérignon unter. Durch Mithilfe in der Landwirtschaft verdienten sich die Münchner ein Zubrot. Sogar der kleine Rudolph soll beim „Kartoffelklauben“ geholfen haben. Nach dem Krieg zogen Moshammers nach München zurück, unterhielten aber weiterhin freundschaftliche Verbindungen.

Der Modezar Rudolph Moshammer musste mit seinen Eltern aus München flüchten und verbrachte als kleiner Bub einige Zeit in Pulling.
Der Modezar Rudolph Moshammer musste mit seinen Eltern aus München flüchten und verbrachte als kleiner Bub einige Zeit in Pulling. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Hochwasser richtete immer wieder großen Schaden an. So berichtet die Chronik von einer Flut, die sich 1899 von der über die Ufer getretenen Isar über das Moos bis zur Hügelkette im Westen von Pulling ergoss. Der reißende Fluss führte eine Menge Kies mit sich, der sich stellenweise bis zu den Dachrinnen der Häuser auftürmte. Ganz anderer Art war eine Naturkatastrophe, ein Wirbelsturm, der am 28. Juli 1946 über Pulling hereinbrach und eine Schneise der Verwüstung hinterließ.

Zu einem Dorf gehört eine Kirche. Das erste Pullinger Gotteshaus ist urkundlich zum ersten Mal um 1345 erwähnt. Bis 1846 war sie dem heiligen Aegidius geweiht, dies spricht laut Chronik für eine frühe Verbreitung des Christentums in Pulling. Später war die Kirche dem heiligen Ulrich geweiht. 1867 beschädigte ein Brand auf dem benachbarten Moar-Hof das Gotteshaus so stark, dass es umgebaut werden musste. Anfang der Sechzigerjahre war die Kirche für die schnell wachsende Gemeinde zu klein geworden. Das Erzbischhöfliche Ordinariat entschloss sich 1963 zu einem Neubau, den im Juli 1965 Kardinal Julius Döpfner einweihte.

Kardinal Julius Döpfner hat 1963 den Neubau der Pullinger Kirche eingeweiht.
Kardinal Julius Döpfner hat 1963 den Neubau der Pullinger Kirche eingeweiht. (Foto: Marco Einfeldt)

Das Dorf Pulling war lange Zeit von der Landwirtschaft geprägt. Doch die „Zeiten, als bei schönem Wetter viele Bauern auf den Feldern und Wiesen arbeiteten, sind längst vorbei. Heute wird die Arbeit von einigen wenigen Bauern mit großen Maschinen erledigt“, schreibt Pellmeyer. Und die Zukunft verheißt nichts Gutes. Pellmeyer fürchtet, dass es in zehn Jahren vielleicht keine Landwirtschaft im Ort geben werde, wenn sich am Verdienst und den bürokratischen Hürden nichts ändert.

Pellmeyer listet in seiner Chronik die Höfe im Dorf auf. Aus klassischen landwirtschaftlichen Betrieben entwickelte sich je nach Neigung eine Art Kleingewerbe. Etwa der Hof, aus dem der „Alte Wirt“ in Pulling hervorging, lange Zeit eine Institution im Dorf. 1883 wurde er laut Chronik zum ersten Mal erbaut. Ludwig Büchler ließ die alte Wirtschaft 1995 abreißen, die neue verpachtete er bis 2009. Dann war der „Alte Wirt“ Geschichte.

Immerhin verfügt der kleine Ort über einen Bahnhof

Mittelpunkt des dörflichen Lebens war über Jahrzehnte der Kramerladen, den Ursula Zirngibl 1940 eröffnet hatte. In dem Dorfladen gab es alles, was für den täglichen Gebrauch notwendig war. Als in Freising der erste Großmarkt eröffnet wurde, gingen die Einnahmen zurück. In den ehemaligen Laden zog eine Zweigstelle der Raiffeisenbank ein. Den neu gebauten Laden verpachtete Inhaber Hans Nadler. Der Sparmarkt, der dort einzog, konnte sich aber nur ein paar Jahre halten. Die Pullinger kauften lieber in den Freisinger Supermärkten ein. Am 1. Juni 2002 schloss dann auch die Poststelle.

Immerhin verfügt der kleine Ort im Moos über einen eigenen Bahnhof. Zu verdanken hat dies Pulling wohl Herzog Carl Theodor von Bayern, dem älteren Bruder von Elisabeth von Österreich, die unter dem Namen „Sisi“ populär wurde. Die Bahnstation erleichterte es ihm, auf bequemen Weg in Pulling seiner Jagdleidenschaft nachgehen zu können. Nach dem Tod von Carl Theodor im November 1909 pachtete der Freisinger Kommerzienrat Anton Schlüter die Jagd.

Das Kieswerk und die dahinterliegenden Badeseen sind prägend für das Pullinger Ortsbild
Das Kieswerk und die dahinterliegenden Badeseen sind prägend für das Pullinger Ortsbild (Foto: Marco Einfeldt)
Der Pullinger Weiher ist beliebt bei Badegästen und Ausflüglern.
Der Pullinger Weiher ist beliebt bei Badegästen und Ausflüglern. (Foto: Johannes Simon)

Prägend für das Pullinger Ortsbild ist heute das Kieswerk mit seinem Naherholungsgebiet, den Pullinger Weihern. Entstanden waren sie durch den Kiesabbau der Firma Kronthaler aus Zolling, der Ende der Fünfzigerjahre begann. Dabei entstanden bis 2023 mehrere Baggerseen mit einer Wasserfläche von mindestens vierzig Hektar.

Die Badeseen zählen zu den beliebtesten in der Region. 2006 kaufte der Münchner Erholungsflächenverein einen großen Teil des Geländes östlich der Straße zwischen Pulling und Achering. Ist das Naherholungsgebiet einmal fertiggestellt, sollen für 3000 Badegäste 4,5 Hektar Liegewiesen, insgesamt 700 Parkplätze, Toiletten sowie ein Kiosk am Nordufer und einer am Südufer zur Verfügung stehen.

Entweder man arrangiert sich in Pulling mit dem Fluglärm oder man muss aus dem Dorf wegziehen.
Entweder man arrangiert sich in Pulling mit dem Fluglärm oder man muss aus dem Dorf wegziehen. (Foto: Marco Einfeldt)

Mehr oder weniger arrangiert haben sich die Pullinger mit dem Flughafen im Erdinger Moos. In der Vergangenheit gab es bereits drei Flugplätze in Dorfnähe: einen Militärflugplatz der amerikanischen Streitkräfte von 1945 bis 1950 östlich von Pulling, sowie Segelflugplätze in der Nähe der Verbindungsstraße nach Vötting und „Lange Haken“. Diese Flugzeuge waren allerdings wesentlich leiser als die modernen Jets, die heute über Pulling hinwegdonnern.

Symbolfigur des Widerstands im Dorf ist Martin Widhopf. Seinen Worten zufolge ist in Pulling jeder Tag „Tag des Lärms“, wie eine Boulevardzeitung titelte. Trotz des Lärms verließen nur wenige Familien Pulling. Die Verbliebenen fügen sich ihrem Schicksal und tolerieren den Flughafen mehr oder minder. Auch wenn die Starts und Landungen laut Pellmeyer die Lebensqualität massiv beeinträchtigen.

Das Festprogramm: Auftakt ist am Freitag, 5. Juli, um 13 Uhr mit einem Programm für Kinder und der Eröffnung der Ausstellung „Geschichte und Geschichten“ von Pulling. Abends findet die „Jahrtausend-Party“ mit DJ Donnie Disco und DJ Stefan im Festzelt beim SV Pulling statt. Für Spannung und Action sorgt ein „Traktor-Pulling“ am Samstag. Beginn ist um 10 Uhr. Auf dem Festgelände erwarten Stände und Aktionen der Vereine die Besucher. Am Abend (20 Uhr) gibt es Live-Musik der Bayern-1-Band im Festzelt. Der Sonntag beginnt um 8 Uhr mit einem Weißwurstfrühstück. Anschließend ist Aufstellung zum Kirchenumzug. Im Anschluss findet ein Festgottesdienst statt. Ein Mittagessen und ein Bandltanz läuten das Ende des Festes ein, das mit Kaffee und Kuchen am Nachmittag ausklingt.

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