Freisinger Stadtpolitik:Entweder Ja oder Nein

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Wer im Stadtrat sitzt, muss bei einer Abstimmung die Hand heben - in der Kommunalpolitik gibt es ein Enthaltungsverbot (Symbolbild). (Foto: Florian Peljak)

Wer in einem Kommunalparlament sitzt, darf sich bei Entscheidungen nicht der Stimme enthalten. In der Praxis ist das Vorgehen nicht vollkommen klar.

Von Nadja Tausche, Freising

Bei der Abstimmung über Gesetzesvorlagen im Bundestag ist es ein normaler - und erlaubter - Vorgang: Wer sich nicht entscheiden will oder mit keiner der Alternativen einverstanden ist, enthält sich. Auf lokaler Ebene ist das anders. "Die Gemeinderatsmitglieder sind verpflichtet, an den Sitzungen und Abstimmungen teilzunehmen und die ihnen zugewiesenen Geschäfte zu übernehmen", heißt es in der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern, und weiter: "Kein Mitglied darf sich der Stimme enthalten." Dass Enthaltungen verboten sind, finden mehrere Verantwortliche in den Stadträten der Region gut. Der Freisinger Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher (Freisinger Mitte) sagt: "Als Stadtrat ist man verpflichtet, sich mit den Themen auseinanderzusetzen." Denn: "Dafür sind wir gewählt worden."

In der Praxis ist das Vorgehen aber nicht ganz so klar wie auf dem Papier. Abstimmen muss nur, wer zum Zeitpunkt der Entscheidung im Raum sei. Wer also gerade auf der Toilette ist oder zur entsprechenden Sitzung einen Vertreter geschickt hat, der stimmt eben nicht mit ab. Eschenbacher hält das an sich nicht für problematisch. Es komme auch sehr selten vor, berichtet er. Als ein Beispiel aus der Praxis nennt er Ehrungen: Wenn man eine Person wegen inhaltlicher Argumente eigentlich nicht ehren möchte, die Person aber nicht bloßstellen wolle, bleibe man eben weg. Zum echten Problem werde es, sagt er, wenn etwa in Ausschüssen so viele Stadträte fehlen, dass das Gremium nicht mehr beschlussfähig sei. Handeln würde der Oberbürgermeister dann, wenn jemand den Raum "regelmäßig und offensichtlich" verlassen würde, um nicht mit abstimmen zu müssen.

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Wer sich offiziell enthält, muss mit einem Ordnungsgeld rechnen

Auch im Moosburger Stadtrat sei es schon vorgekommen, dass Stadträte vor einer Abstimmung den Raum verlassen hätten, sagt Martin Pschorr. Für den SPD-Stadtrat selbst ist das keine Option: "Man muss sich eben eine Meinung bilden", findet er. Das Enthaltungsverbot hält er deshalb für "gar nicht so schlecht". Obwohl es durchaus Fälle gegeben habe, sagt Pschorr, in denen er sich nicht sicher war, welche Entscheidung die richtige ist: "Es ist ein verantwortungsvoller Posten, dass das manchmal mit Zweifeln verbunden ist, gestehe ich zu." In dem Fall könne man sich aber vorbereiten - man bekomme die Unterlagen ja vorab.

Wer sich im Gemeinde- oder Stadtrat offiziell enthält - also tatsächlich nicht die Hand zur Abstimmung hebt, obwohl er im Raum ist - der muss mit einem Ordnungsgeld rechnen. Dass es in Moosburg schon einmal zu einer solchen Strafe gekommen ist, daran kann sich Pschorr, der seit mittlerweile 48 Jahren im Moosburger Stadtrat sitzt, nicht erinnern. Anderswo gibt es aber durchaus Fälle, wo Verstoße gegen das Enthaltungsverbots für Aufsehen gesorgt haben. So hatte sich die Neu-Ulmer Kreisrätin und ehemalige bayerische Justizministerin Beate Merk im Oktober 2018 bei einer Abstimmung im Neu-Ulmer Kreistag enthalten - sie halte die Angelegenheit für noch nicht entscheidungsreif, sagte sie als Begründung. Die Augsburger Allgemeine berichtete von einer "spektakulären Enthaltungsaktion", in einer öffentlichen Sitzung entschied der Kreistag über ihr Bußgeld.

Im Bund werden Gesetze gemacht, die das Gewissen betreffen, im Lokalen gibt es kaum ethische Entscheidungen

Wie er in einer solchen Situation handeln würde, damit musste sich Oberbürgermeister Eschenbacher im Freisinger Stadtrat noch nicht auseinandersetzen, wie er sagt. Seit er 2002 in den Stadtrat gewählt wurde, sei das nie passiert, sagt er: "Es gibt keine Enthaltungen." Es komme höchstens vor, dass sich jemand nicht deutlich genug gemeldet habe: Dann müsse die Abstimmung wiederholt werden. Im tatsächlichen Fall einer Enthaltung müsse er die Strafe wahrscheinlich sogar selbst durchsetzen, mutmaßt er.

Warum man sich in der Lokalpolitik bei Abstimmungen nicht enthalten darf, im Bundestag aber schon, erklärt sich Susanne Günther mit dem Inhalt der Entscheidungen. Im Bundestag würden Gesetze gemacht: "Da ist viel dabei, was das Gewissen betrifft", sagt die Freisinger Stadträtin. Im Lokalen dagegen habe man kaum ethische Fragen zu entscheiden. "Grundsätzlich finde ich es gut, in der Politik eine klare Linie zu fahren", sagt auch Günther. Sie habe zwar Verständnis dafür, dass teilweise Stadträte einer Abstimmung auch mal fernbleiben: Etwa wenn man jemanden kenne, der von der Entscheidung betroffen ist. Aber auch sie ist überzeugt: "Das darf nicht die Regel sein." Denn sonst komme man in dem Gremium zu nichts. Und wer unentschlossen sei, könne sich immer mit der eigenen Fraktion austauschen - auch, wenn dann jeder für sich entscheiden müsse. Ob eine Abstimmung im Umkehrschluss nur dann gültig sein sollte, wenn tatsächlich alle Stadträte mit abgestimmt haben: Die Frage habe sie sich bisher nicht gestellt, sagt Günther.

© SZ vom 03.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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