Süddeutsche Zeitung

Ehrenbürgerwürde für Papst Benedikt:Eine vertrackte Situation für die Stadt Freising

Angesichts der Vorwürfe gegen den ehemaligen Papst Benedikt XVI. im Missbrauchsskandal stellt sich die Frage, ob er Freisinger Ehrenbürger bleiben kann. Die meisten Stadträte wollen sich erst noch eingehender informieren, nur Grüne und Linke positionieren sich bereits klar.

Von Gudrun Regelein und Thilo Schröder, Freising

Die Vorwürfe gegen den emeritierten Papst Benedikt XVI. sind heftig. Nach Erkenntnissen aus dem kürzlich vorgestellten Gutachten wird ihm ein Fehlverhalten in vier Missbrauchsfällen vorgeworfen. Nun stellt sich die Frage, wie die Stadt Freising mit der Ehrenbürgerschaft des früheren Erzbischofs von München und Freising (1977 bis 1982) umgehen soll. Gleiches gilt für dessen Nachfolger als Erzbischof Friedrich Wetter (1982 bis 2008), ebenfalls ein Freisinger Ehrenbürger. Ihm wird vorgeworfen, Fälle von sexuellem Missbrauch nicht angemessen verfolgt zu haben. In Freising gilt zudem noch zu klären, ob die Büste Joseph Ratzingers die Galerie der Heiligenstatuen auf der Korbinianbrücke tatsächlich ergänzen sollte. Die Ehrenbürger-Frage zumindest dürfte den Stadtrat nun bald beschäftigen. Die SZ Freising hat dazu Fraktionsvorsitzende und Parteienvertreter befragt.

Susanne Günther, Grüne: "Ich sehe nicht, dass Wetter und Ratzinger noch Ehrenbürger der Stadt Freising bleiben dürfen. Es braucht da aber natürlich eine Diskussion im Stadtrat. Allerdings müssen wir endlich mehr über die Missbrauchsopfer sprechen und nicht nur über Kardinäle. Über die Ehrenbürgerwürde redet man ohnehin nur, wenn sie aberkannt wird. Ich halte sie persönlich für einen Anachronismus, den wir gar nicht mehr brauchen; es gibt keine Bürgerinnen und Bürger erster und zweiter Klasse. Andere sehen die Ehrenbürgerwürde anders - ich würde auch nicht den Antrag stellen, das komplett abzuschaffen.

Aber man muss die Statuten überarbeiten. Das sollten eher Menschen bekommen, die sich hier ehrenamtlich engagieren, von diesen vielen Ehrenamtlichen hört man nur selten was. Bei den Heiligenstatuen auf der Korbinianbrücke handelt es sich ja um eine Privatinitiative von Hubert Hierl und Dieter Thalhammer. Klar ist das unsere Liegenschaft. Aber ich denke nicht, dass das noch irgendwer richtig findet, eine Statue von Herrn Ratzinger dort hinzustellen."

Jens Barschdorf, FDP: "Ich habe mir noch keine abschließende Meinung gebildet. Dazu muss ich erst noch das Gutachten vertieft lesen. Für mich ist die entscheidende Frage, ob sich der emeritierte Papst und frühere Erzbischof von München und Freising schuldig gemacht haben oder nicht. Da muss ich mir erst noch ein Urteil bilden. Er hat zwar inzwischen zugegeben, dass er bei der Sitzung, bei der es um die Zukunft des Pfarrers H. ging, dabei gewesen war. Aber diese Sitzung liegt so viele Jahre zurück, der emeritierte Papst ist inzwischen 94 Jahre alt..., es könnte also sein, dass er sich einfach nicht mehr richtig erinnert hat.

Falls er sich aber tatsächlich schuldig gemacht haben sollte, muss im Freisinger Stadtrat über die Aberkennung dieser Ehrenbürgerschaft entschieden werden. Bei den Brückenheiligen auf der Korbinianbrücke handelt es sich schließlich um Heilige - dort sollten also auch nur Heilige, die etwas mit der Stadt zu tun hatten, einen Platz finden. Papst Benedikt XVI. wurde aber noch nicht heilig gesprochen. Und passt deshalb nicht in diese Heiligengalerie."

Rudi Schwaiger, CSU: "Ich bin sehr hin- und hergerissen, das ist eine ganz schwierige Entscheidung. Ich kann das nicht abschließend beurteilen, solange ich das Gutachten nicht selbst gelesen habe und weiß, ob es Dinge gibt, die die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde begründen. Herr Ratzinger und Herr Wetter haben sicher einiges unvorstellbar Gutes für die Stadt Freising geleistet. Als Strafverteidiger muss ich da sehr differenzieren. Ich weiß nicht, inwieweit das Verhalten hier wirklich vorwerfbar ist. Keiner der beiden hat sicher selbst Missbrauch begangen - aber haben sie davon in aller Deutlichkeit gewusst? Da kenne ich die Fakten zu wenig. Ich möchte in keiner Weise den Opferschutz zurückdrängen, ich verteidige selbst ganz viele Opfer sexualisierter Gewalt. Aber man macht es sich zu einfach, das einfach über die Kante zu brechen. Ein Schnellschuss sollte es nicht sein. Klar: Sicher sollte ein Ehrenbürger frei von Tadel sein. Und neuvergeben würde man die Ehrenbürgerwürde heute wohl nicht mehr."

Robert Weller, Freie Wähler: "Die Vorwürfe, die dem emeritierten Papst gemacht werden, sind erschütternd - und man soll und darf politisch diskutieren, ob man dem früheren Erzbischof von München und Freising die Ehrenbürgerschaft der Stadt aberkennen sollte. Falls sich die große Mehrheit im Stadtrat dafür entscheiden sollte, würde ich mich dem anschließen. Die Vorwürfe gegen den emeritierten Papst sind ja nicht aus der Luft gegriffen, sie sind hieb- und stichfest. Und da sollte man sich schon auf die Opferseite stellen. Das zumindest ist meine persönliche Meinung. Aber es muss natürlich politisch darüber gesprochen und entschieden werden. Und dafür müssen erst einmal das Gutachten geprüft und die verschiedenen Argumente angehört werden. Falls Ratzinger sich schuldig gemacht hat und es tatsächlich zu einer Aberkennung der Ehrenbürgerschaft kommt, müssen auch die Pläne zu der Aufstellung seiner Büste korrigiert werden - seine Büste gehört dann sicher nicht in eine Reihe mit den Brückenheiligen."

Reinhard Fiedler, FSM: "Wir werden an diesem Donnerstagabend bei unserer Fraktionssitzung über dieses Thema sprechen. Also über die Vorwürfe, die dem emeritierten Papst gemacht wurden und wie wir uns zu der Ehrenbürgerschaft positionieren. Entscheiden darüber muss dann aber der Stadtrat mit einer hoffentlich einstimmigen Meinung. Das war auch schon bei der Vergabe so gewesen: Es wurde damals zwar ausgiebig diskutiert, aber letztendlich haben alle Stadträte dafür gestimmt. So sollte es jetzt auch wieder bei einer möglichen Aberkennung sein. Dazu müssen wir uns allerdings noch intensiv mit dem Gutachten befassen.

Ich kenne die Details zwar noch nicht, aber falls die Vorwürfe stimmen, kann ich persönlich mir nicht vorstellen, dass Ratzinger weiterhin Ehrenbürger der Stadt bleibt. Ich gehe davon aus, dass sich der Stadtrat zeitnah mit diesem Thema auseinandersetzen wird. Was die Brückenheiligen betrifft, so wurde das im aktuellen Stadtrat bislang noch nicht diskutiert, das stand noch nicht auf der Agenda. Das war eine Idee des früheren Oberbürgermeisters Dieter Thalhammer und des früheren Kulturreferenten Hubert Hierl. Und wird wahrscheinlich auch eine Idee bleiben."

Peter Warlimont, SPD: "Man muss sich das wirklich genau anschauen. Aus dem Gutachten habe ich bislang die Seiten betreffend Kardinal Wetter gelesen, jene betreffend Kardinal Ratzinger noch nicht. Es geht im Kern ja um die Frage, ob die Kirche schwere Straftaten nicht so verfolgt hat, wie es ihre Aufgabe gewesen wäre. Wenn die beiden das nicht getan haben, können sie nicht weiter Ehrenbürger der Stadt Freising bleiben. Ich möchte der Diskussion mit den Kollegen in Fraktion und Stadtrat nicht vorgreifen. Aber so viel: Bis jetzt bin ich auf nichts Entlastendes gestoßen.

Das ist eine vertrackte Situation für den Stadtrat, eine Ehrenbürgerschaft vergibt und entzieht man ja nicht leichtfertig. Das ist eine hohe Verantwortung, wir müssen das genau prüfen. Das ist eine Entscheidung auch mit großem Symbolwert. Wir müssen aber auch die Opferperspektive sehen - und ihr gerecht werden."

Emilia Kirner, ÖDP: "Die jüngsten Erkenntnisse aus dem Gutachten über die katholische Kirche werfen kein gutes Licht auf den ehemaligen Papst. Das Wegsehen und Ignorieren des Verdachts auf sexuelle Übergriffe ist zu verurteilen. Die Stadt Freising sollte, sofern sich der Verdacht erhärtet, über eine Aberkennung der Ehrenbürgerschaft nachdenken. Das Wort 'Ehre' in dem Titel zeigt immerhin den Anspruch an den Träger. Für die Korbinianbrücke sollte zumindest über Alternativen nachgedacht werden. Bei beiden Dingen geht es ums Zeichen setzen und Farbe bekennen."

Nicolas Graßy, Linke: "Die Ehrenbürgerschaft gehört ihm unbedingt aberkannt. Da sind wir uns sicher und jetzt erst recht durch seine Rolle bei den Missbrauchsvorwürfen, die durch das neue Gutachten noch einmal deutlich wurde. Für mich müsste das auch nicht diskutiert werden, er kann kein Ehrenbürger der Stadt sein. Ich habe inzwischen zwar immer wieder gehört, dass er ja in seinen Jahren als Papst auch viel Gutes bewirkt habe beziehungsweise sein sehr hohes Alter eine Rolle spiele - aber aus meiner Sicht sind das keine Argumente. Eine Statue Ratzingers auf der Korbinianbrücke haben wir schon früher abgelehnt und lehnen sie auch heute noch ab. Also wir haben da eine sehr klare Meinung: keine Ehrenbürgerschaft und keine Büste."

Der Stadtrat Richard Paukner, AfD, war am Mittwoch nicht zu erreichen, ein Rückruf blieb bis zum späten Nachmittag aus.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5515908
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.01.2022
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.