Süddeutsche Zeitung

Energiewende im Landkreis Freising:Ein Besuch im Vorzeigedorf

Sie produziert acht Mal mehr Strom, als sie verbraucht: Die Oberallgäuer Gemeinde Wildpoldsried ist Vorreiterin bei den erneuerbaren Energien und kann sich seit der Gaskrise vor Besuchsanfrage kaum retten. Auch Freisings ÖDP war dort und will die Ideen der Kommune jetzt auf den Landkreis übertragen.

Von Pauline Held, Freising

150 Kilometer von Freising entfernt liegt es, das "Energie- und Heimatdorf" Wilpoldsried, wie sich die Gemeinde im Oberallgäu nennt. Rund 2600 Menschen leben hier, im Sommer zwischen grünen Wiesen und grasenden Kühen. Im Winter bedeckt Schnee die Dächer, und die Berge zum Skifahren sind nicht weit. Eine ganz normale Gemeinde, möchte man jetzt denken. Was unterscheidet Wilpoldsried von anderen bayerischen Kommunen?

Das zeigt sich bereits, wenn man Bilder des Ortes im Internet aufruft: Die Gemeinde ist umzingelt von Windrädern, auf jedem großflächigen Dach sitzt eine Photovoltaik-Anlage. Wilpoldsried ist Vorreiter bei der Energiewende, es produziert mehr als acht Mal so viel Strom, als es braucht. Der Wärmebedarf der Gemeinde wird zu 60 Prozent aus erneuerbaren Energien gedeckt: Biogas, Biomasse, Sonnenergie und Windkraft sind die vier Pfeiler, auf die sich der Ort stützt. Wie das gelingt, zeigt er anderen Kommunen in einem Kompetenzzentrum. Die ÖDP Freising war vor Ort.

Die Bürger müssen beteiligt werden

"Die Energiewende ist nur möglich, wenn man die Bürger mitbeteiligt." Das hat Emilia Kirner, Fraktionsvorsitzende der ÖDP im Stadtrat, bei ihrem Besuch in Wildpoldsried gelernt. Anfang Oktober machte sie mit 16 Parteikollegen einen Ausflug in das Vorzeigedorf, das sich seit Beginn der Gaskrise vor solchen Anfragen nicht mehr retten kann. Die ÖDP will von Wildpoldsried lernen und Ideen sammeln, wie sie die Energiewende im Landkreis Freising vorantreiben kann.

Was macht Wilpoldsried so erfolgreich? Vor 25 Jahren läutete der damalige Bürgermeister die Energiewende in dem 2600-Einwohner-Ort ein. "Das war kein grüner Politiker, sondern ein konservativer", betont Kirner. Er führte Umfragen unter den Bürgern durch, fragte nach ihren Wünschen für die Zukunft und baute Vorurteile gegenüber der Windkraft ab. Heute drehen sich in Wildpoldsried elf Windräder. Das Besondere: Die Windkraftanlagen gehören nicht etwa dem Freistaat Bayern oder einem Unternehmen. Sie sind Eigentum der Bürger von Wildpoldsried, die daran fortlaufend verdienen: "Am Anfang hatten sie Vorbehalte. Aber über die Jahre kam das immer besser an", weiß Emilia Kirner.

10-H-Regel als große Fehlentscheidung

Das war vor der umstrittenen 10-H-Regel in Bayern, die besagt, dass der Abstand von Windrädern zur nächsten Wohnsiedlung in der Regel mindestens das Zehnfache ihrer Bauhöhe betragen soll. Die Vorschrift kam 2014 vom damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) und hatte den Ausbau der Windkraft in Bayern praktisch zum Erliegen gebracht. Während 2013 noch 400 Genehmigungsanträge gestellt wurden, waren es 2020 gerade mal drei. "Die 10-H-Regel ist historisch gesehen die größte Fehlentscheidung der bayerischen Landesregierung seit dem zweiten Weltkrieg", sagt der stellvertretende Ortsvorsitzende der ÖDP-Freising, Ulrich Vogl, der auf eine Abschaffung der 10-H-Regel hofft.

Dann könnte es auch im Landkreis Freising vorangehen mit den erneuerbaren Energien. Denn der ist zum jetzigen Zeitpunkt aus Sicht der ÖDP in dieser Hinsicht schlecht aufgestellt. "Wir müssen jetzt zügig voranschreiten. Wir haben keine andere Wahl", betont Emilia Kirner. Von Wildpoldsried haben sie einige Ideen mitgenommen, die sie nun auch im Landkreis Freising umsetzen wollen. Das wichtigste: Die Bürger bei der Planung und Umsetzung einbeziehen: "Die Bürger finanzieren die neuen Anlagen mit und profitieren davon", sagt Vogl.

Zudem müsse man Kompetenzzentren bilden. "Nicht jede Kommune im Landkreis soll von der Planung bis zur Durchführung alles selber machen. Wir müssen über die Gemeindegrenzen hinweg zusammenarbeiten." Der Landkreis könnte dabei etwa als Planer fungieren. So sollen in den nächsten Jahren bis zu 40 Windräder im Landkreis errichtet werden, dafür sei ein dreistelliger Millionenbetrag nötig. "Der Landkreis ist groß genug." 2023 sollen geeignete Standorte für die Windräder feststehen, 2025 die ersten in Betrieb gehen.

Auch Biogas spielt eine große Rolle

Als nächstes sollen auf alle Gewerbebauten mit großflächigem Dach Photovoltaik-Anlagen. In Wildpoldsried sind 324 Bürger private Eigentümer einer Photovoltaik-Anlage. Zudem beteiligen sie sich finanziell an den Photovoltaik-Anlagen auf den öffentlichen Gebäuden. Doch auch Biogas-Anlagen spielen eine große Rolle, in Wildpoldsried machen sie den größten Teil der Stromerzeugung aus. Mit großtechnischen Wärmepumpen und Biogas möchte die ÖDP den Landkreis weg von den fossilen Energieträgern bringen.

Ihre nächste Exkursion will die ÖDP in diesem Jahr nach Furth bei Landshut machen. Die Region sei sehr windarm, weshalb die Gemeinde andere Schwerpunkte setzen müsse. "Mit genügend Willen und Kreativität gelingt die Energiewende. Das hat einen Mehrwert für den gesamten Landkreis", sagt Kirner.

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