Protest in Freising:"Die Kritik ist massiv"

Protest in Freising: Auf diesem ehemaligen Erdbeerfeld sollen Häuser mit etwa 140 Wohnungen entstehen. Das Baugebiet wird das Stadtbild des Freisinger Stadtteils Neustift verändern.

Auf diesem ehemaligen Erdbeerfeld sollen Häuser mit etwa 140 Wohnungen entstehen. Das Baugebiet wird das Stadtbild des Freisinger Stadtteils Neustift verändern.

(Foto: Marco Einfeldt)

Drei Anwohner sammeln Unterschriften gegen die geplante Bebauung des Neustifter Felds. Ein Gespräch über ihre Beweggründe und Appelle an die Politik.

Interview von Thilo Schröder, Freising

Die Art und Weise, wie die Stadt Freising sich eine Bebauung des Neustifter Felds vorstellt, sorgt bei Anwohnenden für Unverständnis. Georg Brunner, 69, Kurt Dittrich, 49, und Michael Stockwald, 52, haben deshalb eine Stellungnahme verfasst, der sich Hunderte angeschlossen haben. Im Interview schildern sie ihre Beweggründe, berichten von der großen Resonanz in der Nachbarschaft - und von einem Anruf des Oberbürgermeisters.

SZ: Sie sind alle drei in Neustift aufgewachsen. Wie hat sich der Ortsteil in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

Georg Brunner: Als Kind, Jugendlicher und Erwachsener habe ich Neustift als lebenswerten Stadtteil erlebt. Ich wohne mit meiner Familie seit 1985 an der Arndtstraße. Wir fühlen uns sehr wohl hier, das alte Neustift - die Grüne Lohe, Grottenau - hat seinen unverwechselbaren Charakter behalten. Das neue Neustift ist natürlich anders gewachsen, aber gerade hier am Neustifter Feld, wo die Bebauung stattfinden soll, hat sich der ursprüngliche Neustifter Charakter erhalten.

Kurt Dittrich: Ich lebe etwa 45 Jahre hier. Mit meiner Familie wohne ich an der Hermannstraße, in einem zweieinhalbgeschossigen Reihenhaus. In dieser Zeit sind viele Gärten zu Gunsten von Wohnhäusern verschwunden, kleinere Häuser sind abgerissen und durch größere ersetzt worden. Die Verdichtung hat aber bisher in einem verträglichen Maß stattgefunden.

Michael Stockwald: Auch ich wohne seit 25 Jahren an der Arndtstraße. Auffallend viele Gebäude wurden in den vergangenen Jahren sehr liebevoll und durchaus aufwendig renoviert, etwa an der Hermannstraße. Gebäude, die neu gebaut werden, fügen sich fast immer in die umliegende Bebauung ein. Genau das halte ich für einen wichtigen Punkt, der den Charakter einer Stadt auszeichnen sollte. Uns ist selbstverständlich klar, dass das Neustifter Feld bebaut werden wird. Der Bedarf an Wohnraum in Freising ist spürbar. Viele Nachfragen von Freunden und Bekannten bestätigen aber vor allem eine große Nachfrage nach Einfamilienhäusern, Reihen- und Doppelhäusern, die gerade hier entstehen könnten.

Nun sollen das Neustifter Feld jedoch vergleichsweise dicht bebaut werden, mit teils bis zu fünfstöckigen Wohneinheiten. Sie haben diese Pläne in Ihrer Stellungnahme heftig kritisiert. Wie kam es dazu?

Dittrich: Als ich die Entwürfe das erste Mal gesehen habe, war ich entsetzt, wie dicht dieses Areal bebaut werden soll und wie hoch die Gebäude werden sollen. Ich habe deshalb die Anwohner über eine Notiz aufgefordert, eigene Stellungnahmen einzureichen.

Brunner: Die Stadt Freising hatte die Neustifter ja über die Stellwände am Feld explizit aufgefordert, Stellung zu beziehen. Als ich das gesehen habe, war auch ich entsetzt, ich konnte mir eine so umfangreiche Bebauung nicht vorstellen. Viele Neustifter haben sich an den Informationstafeln getroffen, ich habe mit vielen Bürgern gesprochen. Es wurde hauptsächlich Kritik an der massiven Bebauung geübt - massive Kritik; die Leute verstehen nicht, wie das hier in Neustift funktionieren soll. Auch die fehlende Erschließung und der jetzt schon teilweise kaum regelbare Verkehr in Neustift beunruhigt die Anwohner, auch im weiteren Umfeld.

Stockwald: Durch diese Gespräche kam die Idee zu einer gemeinsamen Stellungnahme, da einzelne Einwendungen die Stadt wohl nicht zur Umplanung bewegen würden. Völlig überwältigt hat uns die immense Resonanz. Bis heute haben sich 615 Neustifter unserer Stellungnahme angeschlossen; mit einer solchen Anzahl an Rückmeldungen hätten wir nie gerechnet.

Brunner: Viele Neustifter sind persönlich zu uns gekommen und haben sich für die Initiative bedankt. Die Leute kommen vorbei und sagen: Bitte macht weiter.

Was muss sich an den Plänen zur Bebauung Ihrer Meinung nach ändern?

Stockwald: Vorweg: Die Planung hat auch positive Aspekte. Es ist ein Grünanteil geplant, nachhaltige Energie, Elektromobilität, eine große Tiefgarage. Diese Dinge sollten auch weiterverfolgt werden. Aber völlig inakzeptabel ist, dass hier 180 bis 200 Wohnungen entstehen sollen, die überhaupt nicht ins Stadtteilbild passen, ohne Rücksicht auf die verkehrliche Erschließung.

Dittrich: Die Bebauung muss wesentlich kleinteiliger werden als geplant. Die Gebäude sind zu hoch, zu dicht aneinander und zu einförmig. Und es braucht vor der Bebauung Verkehrsgutachten, die sowohl den fließenden als auch den stehenden Verkehr berücksichtigen. Wichtig ist auch das Thema Verkehrssicherheit. Es gibt hier ja kaum Gehwege. Es müssen sichere Wege entstehen für Kinder, Ältere und Menschen mit Behinderung. Auch außerhalb des geplanten Areals. Da ist die Situation jetzt schon angespannt und würde sich noch einmal drastisch verschlechtern, wenn die Planung so bleibt.

Stockwald: Es ist zu befürchten, dass der Verkehr in den umliegenden Straßen wesentlich zunimmt, wenn 500 zusätzliche Menschen hier wohnen. Niemand kann sich vorstellen, wie durch die wenigen einspurigen Straßen, die bereits jetzt zugeparkt sind, der Verkehr fließen soll. Die Stadt müsste zunächst dringend ein Verkehrskonzept aufstellen und entsprechende Maßnahmen vor dem ersten Spatenstich umsetzen. Es gibt derzeit etliche Bauprojekte in der Stadt - am Steinareal, am Bahnhof -, bei denen die benötigten Zufahrtsstraßen existieren. Dort wird wesentlich kleinteiliger gebaut als es hier geplant ist, wo die Erschließung nicht gesichert ist.

Brunner: Wir wünschen uns, dass kein Schnellschuss seitens der Stadt erfolgt, wie zu befürchten ist. Nach 100 Jahren Neustifter Feld darf man kein beschleunigtes Verfahren durchziehen. Wir hoffen, dass die Bürgerbeteiligung durch die Stadt nicht nur ein Placebo war, sondern dass man die Einwendungen aus dem Stadtteil ernst nimmt. Dass die Stadt das gemeinsam mit den Anwohnern plant und die Neustifter wirklich beteiligt.

Stadtdirektor Gerhard Koch hat im Februar gesagt, man werde bei der Bebauung und Erschließung sehr sorgfältig auf eine qualitätsvolle Entwicklung achten, die Belange der Anwohnenden berücksichtigen.

Stockwald: Genau das ist es, was wir erreichen wollen. Wir verstehen zwar nicht, wie die vorliegende Planung mit dieser Aussage zusammenpasst. Aber auf das Wort, das die Stadt Freising damit den Bürgern gegeben hat, müssen sich die Neustifter verlassen können.

Hat die Stadt denn schon auf Ihre Stellungnahme reagiert?

Stockwald: Der OB hat auf Anfrage zurückgerufen, wir haben um ein erstes Gespräch gebeten. Wir haben die Stellungnahme aber auch an die Stadträte geschickt. Verwaltung, Stadtrat und Oberbürgermeister stehen hier in der Verantwortung, nur eine Bebauung in vertretbarem Umfang zuzulassen. Das Interesse des Investors darf dabei keine Rolle spielen, wichtig sind vor allem die Stimmen der Neustifter. Auf diese Verantwortung setzen wir und vertrauen darauf, dass die Planungen jetzt noch einmal geändert werden. Es ist eine unwiederbringliche, einmalige Chance, jetzt entweder das Richtige zu tun oder diese Fläche zu opfern für maximalen Profit und eine maximale Bebauung.

Brunner: Seit der Pensionierung bin ich noch freiberuflich im Immobilienbereich tätig. Ich bekomme pro Woche mindestens vier bis fünf Anrufe von Freisinger Bürgern, die händeringend Einfamilienhäuser oder Doppelhaushälften suchen - für einheimische Familien, die jahrelang suchen. Der Bedarf ist riesig. Es ist für mich unverständlich, dass die Stadt das nicht aufgreift und eine ganz andere Bebauung plant.

Ginge es nach Ihnen, wie sähe das Neustifter Feld idealerweise künftig aus?

Dittrich: Wenn ich bei mir an der Hermannstraße künftig aus dem Fenster aufs Neustifter Feld schaue, würde ich da sehr gerne Einfamilienhäuser mit Gärten sehen. Momentan ist da ja ein viergeschossiges Gebäude geplant, das fast doppelt so hoch ist wie unser eigenes Haus.

Stockwald: Wir stellen uns vor, dass die Planung einvernehmlich mit den Anwohnern erfolgt. Dass zu erwartende Belastungen planerisch gelöst werden, auch im weiteren Umfeld. Wir können uns vorstellen, dass eine vernünftige Lösung für Neustift erreicht werden kann, wenn hier vielleicht 50, 70 Wohneinheiten entstehen. Dann wäre ein 'lebenswertes Neustift' nicht nur ein Slogan, sondern die Zukunft.

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Neues Baugebiet in Freising
:Wohnen auf dem Erdbeerfeld

Mitten im Stadtteil Neustift kann eine große, ungenutzte landwirtschaftliche Fläche bebaut werden. Die Grundeigentümer und Investoren sind außerdem dazu bereit, das Areal gemeinsam mit der Stadt zu entwickeln. Bei der Stadt spricht man von einem Glücksfall.

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