Zuerst muss der Ton auf der Drehscheibe zentriert werden – ein erster Schritt, der aber wahrscheinlich das Allerwichtigste für gute und stabile Keramiken ist. Der Tonball wird also in die Mitte gelegt, die Hände werden kurz in den Wassereimer getaucht, der Ton selbst soll immer feucht bleiben. Dann wird die Scheibe durch ein Fußpedal in Bewegung gesetzt, die Arme sind fest auf die Oberschenkel gestützt, die Hände schieben den Ton mehrmals nach oben und nach unten, bevor er langsam die gewünschte Form annimmt.
Aline Jörg sagt, sie beobachtet gerne die Menschen, wenn sie zum allerersten Mal den drehenden Ton berühren. Sie sieht die leuchtenden Augen, sie erkennt die Neugier und Vorfreude, und das sei jedes Mal ein ganz besonderer Moment, auch nach vielen Jahren Erfahrung.
Aline Jörg betreibt mit ihrer Freundin und Nachbarin Bianca Gurka eine Töpferwerkstatt in Fürholzen bei Neufahrn. Zum Töpfern sind die zwei Frauen über die Kinder gekommen, aus einem Hobby wurde ein Nebenerwerb, aus einem Nebenerwerb ein kleines Unternehmen. Seit acht Jahren bieten sie Modellier- und Drehkurse an: Zuerst waren die Kurse mobil, was bedeutet, dass sie zu den Volkshochschulen und anderen Einrichtungen gefahren sind, um das Töpfern beizubringen. Seit drei Jahren und nach langer Suche hat ihre Werkstatt „Töpferwelt Handkraft“ endlich eine Bleibe im Alten Schulhaus in Fürholzen gefunden – „und wir hätten uns keinen schöneren Ort vorstellen können“, sagen sie.
Jede Woche bietet ihre Werkstatt drei bis acht Kurse an, aus der Region und darüber hinaus fahren Töpfern-Begeisterte in den idyllischen Ort im Landkreis Freising, bei den Wochenendkursen hatten sie schon Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Berlin und anderen Bundesländern. Denn seit der Pandemie, erzählen Gurka und Jörg, erlebt das Töpfern einen „Boom“.
Tatsächlich ist Töpfern nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen beliebt – und wird es immer mehr. Die Gründe dafür sind vielfältig: Man kann sich kreativ entfalten, man erlebt hautnah, woher die Keramiken kommen, und am Ende kann man auch ein selbst hergestelltes Unikat mit nach Hause nehmen.
Gleichzeitig hat vor allem die Arbeit an der Drehscheibe etwas Meditatives und Beruhigendes, sagen die zwei Kursleiterinnen. „Vielleicht deshalb, weil man dazu gezwungen ist, sich zu entschleunigen und sich langsam zu bewegen“, sagt Bianca Gurka, während sie im hinteren Raum ihrer Werkstatt gerade dabei ist, die Keramiken für den Weihnachtsmarkt am Flughafen grün zu färben. Vielleicht aber auch, fügt Aline Jörg hinzu, weil die Arbeit mit den Händen und die Konzentration darauf die Gedanken weit weg vom Alltag schweifen lassen. Einige sagen, Töpfern wirke irgendwie anti stressig und sogar therapeutisch, andere sagen, Töpfern sei ein bisschen wie Yoga.
An diesem Montagmorgen haben sich für den Drehkurs vier Personen angemeldet. Eine Teilnehmerin hat den Kurs als Geburtstagsgeschenk von seinem Freund bekommen, eine andere will es einfach mal ausprobieren, auch diesmal bilden wie gewöhnlich Frauen die Mehrheit. Die Drehkurse, sagen die beiden, sind bei Weitem am gefragtesten. „Die Drehscheibe hat so eine Magie“, so Gurka. Eine Magie, die übrigens seit vielen, vielen Jahren anhält.
Die älteste bisher gefundene Töpferscheibe stammt aus Mesopotamien und wurde um das Jahr 3000 vor Christus gebaut. Doch möglicherweise, so die Wissenschaftler, nutzten schon davor Völker in Indien und Ägypten dieses System, um Tonwaren anzufertigen. Die ältesten bekannten Keramikfiguren sind schätzungsweise über 25 000 Jahre alt.
Im Alten Schulhaus in Fürholzen sind die Teilnehmenden inzwischen eingetroffen und die Drehscheiben in Betrieb. Aline Jörg kommt mehrmals zu Hilfe, wenn aus der angestrebten Tasse eine Gießkanne zu werden droht und ein unerwünschtes Loch entsteht. Mit Geduld erklärt sie noch einmal die Bewegung – eine Geduld, die man beim Töpfern durchaus braucht, wie sie sagt. „Töpfern erfordert Zeit“, sagt sie. Auch, weil selbst getöpferte Gegenstände mehrere Wochen lang ruhen und zweimal gebrannt werden müssen, um fertigzuwerden. Viele Teilnehmenden wissen das nicht, sagt sie, aber Warten gehört schon immer zum Töpfern. Auch in einer Welt, die sich immer schneller dreht.