NS-Zeit in Neufahrn bei Freising:Der Krieg, das KZ-Außenlager und das große Vergessen

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Fast 500 Gefangene mussten vom KZ-Außenlager Neufahrn aus in der Garchinger Heide ein Rollfeld bauen. (Foto: Bayer. Landesvermessungsverwaltung, Luftbildarchiv)

Auch in Neufahrn breitete sich die NS-Bewegung von Beginn an aus, und auch in Neufahrn begann nach dem Kriegsende vor 80 Jahren das Verdrängen. Diesem Thema widmete der Heimat- und Geschichtsverein den ersten Vortrag einer Reihe.

Von Francesca Polistina, Neufahrn

Wenn man an die NS-Zeit denkt, ist man manchmal geneigt zu denken, der ganze Wahnsinn habe sich woanders abgespielt, nämlich in den großen Städten und den entfernten politischen Machtzentren. Das ist natürlich ein Trugschluss: Der Nationalsozialismus durchdrang alle Bereiche von Staat und Gesellschaft und alle Gemeinden, selbstverständlich auch die damals kleinen wie Neufahrn. Darum ging es bei der ersten Veranstaltung einer Vortragsreihe über Neufahrn in der NS-Zeit. Eingeladen hatte der Heimat- und Geschichtsverein, Referent war dessen Vorsitzender Ernest Lang.

Im Jahr 1933, als Hitler Reichskanzler wurde, hatte die Gemeinde Neufahrn mit dem Dorf Mintraching und dem Weiler Grüneck etwa 1100 Einwohner. Sie war bäuerlich geprägt, aber die Infrastruktur war keineswegs primitiv: Es gab unter anderem Handwerksbetriebe, eine Dorfschule, einen Bahnhof, eine Poststation und einen Arzt. Und natürlich auch einen Bürgermeister: Mathias Kratzl, von Beruf Landwirt, war seit 1919 im Amt und hatte unter anderem die Ablösung Neufahrns von der Pfarrgemeinde Eching vorangetrieben.

Kratzl war der letzte Bürgermeister von Neufahrn vor der NS-Herrschaft. Die örtlichen Nazi-Funktionäre zwangen ihn zusammen mit dem Zweiten Bürgermeister Georg Stegschuster und sieben weiteren Gemeinderäten im Frühjahr 1933 zum Rücktritt, die verbleibenden drei Gemeinderäte traten am 1. Mai 1933 der NSDAP bei, erklärte Ernest Lang in seinem Vortrag. Nachfolger von Kratzl als Bürgermeister wurde Joseph Brunner, der dem Gemeinderat für den Bauernbund angehört hatte und nun zu den Nazis übertrat. Eine einflussreiche Persönlichkeit in der Gemeinde in diesen Jahren war der NSDAP-Stützpunktleiter Otto Grau, Medizinstudent und Sohn eines örtlichen Maurermeisters.

Am 10. April 1945 wurde an der Dietersheimer Straße ein Außenlager des KZ Dachau eingerichtet

Lang erklärte, dass ein beliebter Treffpunkt und Versammlungsort der Nationalsozialisten, auch für überörtliche Kundgebungen, die vor wenigen Jahren abgerissene Turnhalle des TSV Neufahrn am Fürholzer Weg war. In der Gemeinde fehlte es nicht an Gegnern der NS-Ideologie. Zu ihnen gehörte zum Beispiel der damalige Pfarrer Johann Jungmann, der von der Gestapo von August 1939 bis April 1940 ohne Haftbefehl und ohne Verurteilung eingesperrt wurde – über ihn wird der Heimat- und Geschichtsverein am 22. Mai einen Vortrag halten. Doch die NS-Bewegung genoss zumindest von 1935 bis zur Wende des Krieges 1942 Sympathien in der Mehrheit der lokalen Bevölkerung. Erst in den letzten Kriegsjahren, als immer mehr junge Neufahrner an der Front starben, änderte sich die Stimmung, sagte der Vorsitzende des Heimatvereins.

Während des Krieges wurden in Neufahrn, wie in vielen Gemeinden, Kriegsgefangene verschiedener Nationalitäten zur Zwangsarbeit in der Landwirtschaft eingesetzt. Am 10. April 1945, nur wenige Wochen vor der erwarteten Kapitulation, wurde an der Dietersheimer Straße in Neufahrn ein Außenlager des KZ Dachau eingerichtet. Die etwa 500 KZ-Häftlinge, die schon einen langen Leidensweg hinter sich hatten, wurden mit dem Zug aus Dachau gebracht und dazu gezwungen, unter der Leitung der SS und der Organisation Todt auf der Garchinger Heide eine Rollbahn für Flugzeuge zu bauen. Am 29. April 1945 befreiten amerikanische Truppen das KZ Dachau und marschierten in Freising und Umgebung einschließlich Neufahrn ein: Die Häftlinge kamen frei, die NS-Zeit in der Gemeinde war vorbei.

Was unmittelbar nach dem Ende des Krieges auch in Neufahrn geschah, bezeichnete der Vorsitzende des Heimatvereins in seinem Vortrag als „das große Vergessen“. Ein Beispiel verdeutlicht dies: Der letzte NS-Bürgermeister und Ortsgruppenleiter Georg Herpich wurde nämlich in Internierungshaft genommen, seine Vergangenheit schien er trotzdem nicht zu hinterfragen. Nach seiner Freilassung kandidierte er nämlich 1948 für das Amt des Bürgermeisters – und gewann die Wahl. Nur wegen eines Formfehlers – er galt um wenige Tage offiziell noch nicht als entnazifiziert – wurde die Wahl annulliert. Vier Jahre später, im Jahr 1952, durfte Herpich kandidieren, er wurde gewählt und blieb bis 1964 Bürgermeister der Gemeinde Neufahrn. Zu seiner Nachfol­gerin wurde Käthe Winkelmann gewählt, die erste Bürgermeisterin Bayerns.

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