Neufahrner Cineplex:"Bayerische Komödien haben uns gerettet"

Neufahrner Cineplex: Kinobetreiberin Veronika Fläxl hinter der Theke im Neufahrner Cineplex. 2019 hat sie der Film "Joker" am meisten bewegt.

Kinobetreiberin Veronika Fläxl hinter der Theke im Neufahrner Cineplex. 2019 hat sie der Film "Joker" am meisten bewegt.

(Foto: Marco Einfeldt)

Das Filmjahr 2019 war nicht berauschend, trotzdem bleibt Kinobetreiberin Veronika Fläxl optimistisch.

Interview von Petra Schnirch, Neufahrn

2018 war für die Kinobranche kein einfaches Jahr. Die Freisinger SZ sprach mit Veronika Fläxl, die mit ihren beiden Geschwistern den Betrieb ihrer Eltern mit drei Multiplex-Kinos in Neufahrn, Erding und Vilsbiburg übernommen hat, über die Situation des Kinos, aktuelle Herausforderungen und darüber, ob sie in einem weiteren Kino in Freising eine große Konkurrenz sieht.

SZ: 2018 war für die Kinobetreiber ein schwieriges Jahr. Sieht die Bilanz für 2019 besser aus?

Veronika Fläxl: Zur Einordnung: Deutschland hat zwischen 120 und 150 Millionen Kinobesucher im Jahr. Es gibt Spitzenjahre wie 2001/02/03, da ist der "Herr der Ringe" im Kino gewesen und "Harry Potter". Damals hatten wir fast 190 Millionen Besucher, und es gibt Krisenjahre wie 2018 mit ein bisschen über 100 Millionen. Die drei Fläxl-Kinos sind verhältnismäßig gut durch dieses Tief gekommen. Das liegt einerseits an einer strategischen Entscheidung, die mein Vater vor Jahrzehnten getroffen hat, und andererseits daran, dass wir auch ein bisschen Dusel hatten. 2018 hatten wir in Neufahrn 420 000 Besucher, heuer werden es etwa 450 000 sein. Da kann man nicht meckern, damit stehen wir sehr gut da. In der Branche war das Jahr trotzdem nicht berauschend.

Welche strategische Entscheidung hatte Ihr Vater getroffen?

Ihm war klar, wenn man viel Bandbreite anbietet, lastet man sein Haus besser aus. Er hat die Entscheidung getroffen, nicht wenige große Kinosäle zu machen, sondern viele kleine. Am Neufahrner Haus kann man das leicht erklären. Es hat 16 Säle, die allermeisten davon mit 60 bis 120 Sitzplätzen. Auch in schwachen Zeiten ist für die Besucher genug dabei. Wir spielen die interessanten Sachen mit so vielen Vorstellungszeiten wie möglich. "Star Wars" zum Beispiel läuft im Zehn-Minuten-Takt. Das bedeutet, dass die Leute nicht überlegen müssen: Habe ich um fünf Uhr Zeit oder um acht?

Und der Dusel, den Sie angesprochen haben?

Es gibt seit einigen Jahren ein sehr robustes Feld an bayerischen Komödien. Das funktioniert nur in Bayern, vor allem in der Nähe der Drehorte, das war bei den Eberhofer-Komödien Frontenhausen. Das hat uns ein bisschen gerettet. Was noch hinzukommt: Wir sind ein Kino im ländlichen Raum. Hier überwiegen die Familienhaushalte, das ist ein extrem treues Publikum. Wir haben sehr viel Kinderprogramm und einen Spielplatz im Foyer - und ein fast werbefreies Kino.

Das funktioniert ohne Werbung?

Ein Kino hat sehr hohe Fixkosten. Viele Kollegen wollen deshalb auf Werbeeinnahmen nicht verzichten. Wir machen dagegen lieber eine zusätzliche Vorstellung. Kinder können ohnehin nicht zweieinhalb Stunden lang ruhig sitzen.

Angesichts der Konkurrenz durch Streaming-Anbieter: Haben Sie Zukunftssorgen?

Ja und nein. Jeder Unternehmer macht sich Gedanken. Aber, nein, es nicht davon auszugehen, dass das Kino in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten nicht mehr existieren wird. 2018 war ein Jahr, das ähnlich schlecht war wie 1981, bevor es Multiplex-Kinos - also Häuser mit vielen Sälen, exzellenter Qualität, toller Leinwandgröße, bequemen Sitzen - gab. Kino war früher mehrmals an der Kante, irrelevant zu werden. Es folgte jedes Mal ein Innovationsschub. Kino hat nicht aufgehört zu existieren, aber Kino ist anders geworden. Es wird auch in fünf oder zehn Jahren anders aussehen als heute.

Was, glauben Sie, wird sich ändern?

Es gab im Jahr 2019 einen Film, der ein bisschen einläutet, wo wir hinlaufen, der "Joker". Noch voriges Jahr wäre ernsthaft diskutiert worden, ob das ein Film ist, der nur im Programmkino (Anm. d. Red: also eher in kleineren Häusern mit anspruchsvollerem Programm) läuft. Ein harter Brocken. Was ist passiert? Es gab sehr früh einen ersten Trailer mit Bildmaterial, der sich sehr große Mühe gegeben hat, den Film so zu präsentieren, wie er ist und nicht so, dass möglichst viele Leute reinlaufen. Das ist eine hohe Kunst. Das hat den Nerv getroffen. Der "Joker" ist einer der erfolgreichsten Filme des Jahres 2019 geworden. Es geht um einen zornigen jungen Mann, der von der Gesellschaft abgehängt worden ist, der Übles erfahren hat und Übles tut - ein Thema, das heute große Relevanz in der Gesellschaft hat.

Sie sind folglich immer abhängig davon, ob das, was in die Kinos kommt, die Leute interessiert.

Das ist ein Dilemma, das lässt sich nicht ausräumen. Ich kann den bequemsten Kinostuhl reinstellen und die größte Leinwand haben - wenn der Film nicht zieht, kommen die Leute nicht. Ich bin nur der Gastgeber, nicht der Koch. Wir haben zurzeit eine Situation, dass sehr viele Filme an den Interessen des Publikums vorbeigehen. Das gab es immer wieder. Als die 1968er Generation auf die Straßen gegangen ist, wollte keiner von denen zwei Stunden lang sehen, wie Doris Day dann doch endlich Rock Hudson küsst. Da mussten neue Geschichtenerzähler kommen. Unlängst gab es einen sehr schönen Actionfilm, den "Terminator". Dieser Film wäre, wenn er vor zehn Jahren ins Kino gekommen wäre, eine richtig coole Nummer gewesen. Die weibliche Hauptfigur ist keine Hilfsfigur, sondern selbst die Heldin, die Erlöserin. Das aber ist heute keine neue Erkenntnis.

Was wollen die Leute heute sehen?

Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Ich bin nicht diejenige, die das Drehbuch schreibt für den nächsten spannenden Film, der eine Geschichte erzählt, die Relevanz hat für die Gesellschaft. Die Sachen, die im Moment im Kino sind, waren vor vier, fünf Jahren in der Produktion. Die kommen etwas zu spät für den schnellen Wandel, den wir haben. In der "Fridays-for-Future"-Bewegung sehen Sie Jugendliche und junge Erwachsene, denen vollkommen klar ist, dass die Elterngeneration ihre Zukunft zu verspielen droht. Wenn man dieser Generation relevante Geschichten erzählen will und die Quintessenz ist, die Frau kann auch ein Held sein - das ist für sie doch selbstverständlich.

Trotzdem sind Sie zuversichtlich, dass das Kino relevant bleiben wird?

Ich traue mich, grundsätzlich immer hoffnungsfroh zu sein. Das Geschichten erzählen ist etwas sehr Menschliches, Geschichten erzählt zu bekommen, ist ein ganz tiefes Bedürfnis, das wir alle haben. Streaming-Dienste sind überhaupt keine Konkurrenz, weil sie ein anderes Bedürfnis befriedigen. Der Hauptpunkt, warum das Kino nie aufhören wird, zu existieren, ist die Aufmerksamkeitsspanne von 90 Minuten. Dieses Bedürfnis wird immer der Film befriedigen, der eine abgeschlossene Geschichte erzählt, nie die Serie. Wenn ich mich darauf einlasse, habe ich zwei Stunden Genuss.

Was waren die Highlights 2019?

Für unsere Kino-Gäste waren mit Sicherheit die Filme "Avengers", der "Leberkäsjunkie" und "Star Wars" die Highlights.

Und für Sie?

Also, mir hat der "Joker" sehr zugesetzt, ich kann nicht sagen, dass er mir gefallen hat, er hat mich bewegt. Sehr viel Spaß hatte ich bei kleinen Sachen, ich mag es sehr gern, wenn Themen für Kinder gut erzählt werden. "Toy Story" fand ich bezaubernd, die Thematik erwachsen zu werden, los lassen zu können. Für Familien ist das gut aufbereitet.

Können Sie privat einen Film noch ganz entspannt anschauen?

Nicht bei uns. Ich sitze beruflich bei uns ganz viel im Kinosaal. Privat gehe ich, meistens mit meinen Freundinnen, grundsätzlich zur Konkurrenz. Wenn ich im eigenen Haus bin, ist das kein Genuss. Es ist auch für die Mitarbeiter schwierig, denn sie wissen ja nicht, ob ich privat da bin oder nicht.

Obwohl die Eröffnung wiederholt verschoben werden musste, soll in den Schlüterhallen in Freising ein Kino aufmachen. Fürchten Sie die Konkurrenz?

Wir haben eine sehr genaue Analyse gemacht. Wir wollten ja ursprünglich in den Clemensängern bauen. Der Standort in Neufahrn ist strategisch sehr günstig an der Autobahnausfahrt und der Bundesstraße - auch wenn man vom Norden Freisings kommt und nicht durch die Stadt fahren will. Wir haben einen Einzugsbereich von etwa 30 bis 40 Minuten Fahrzeit, die meisten Besucher kommen nicht aus Freising. Wir ziehen aus dem Landkreis viele Leute an und auch aus München. Ein Kino, das in Freising entsteht, wird uns sicher einen Teil unserer Besucher abziehen, aber da machen wir uns wenig Sorgen. Es geht eher um die Frage, wie das Angebot ist. Cinestar (Anm. d. Red.: der bisher vorgesehene Betreiber in Freising, der nun abgesprungen ist) hatte mit fünf Sälen geplant. Es ist ja jetzt auch schon so, dass wir nicht das einzige Kino auf weiter Flur sind. Wenn ein zusätzliches Kino mit fünf Sälen aufmacht, dann ist das keine so gravierende Marktverschiebung.

Aber der Markt in Freising ist vorhanden?

Wir wissen aus der Zeit, als wir das Kino in der Freisinger Innenstadt hatten, dass es ausgesprochen schwierig war für uns, die Bedürfnisse der Freisinger Stadtbevölkerung mit diesem Haus zu bedienen. Da hatten wir vier Säle, wir waren fußläufig in der Innenstadt, hatten ein preisgekröntes Programm. Aber das Haus war wirtschaftlich nicht zu tragen.

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