Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll forciert werden. Das ist nicht neu, aber um die für 2035 geplante Klimaneutralität zu erreichen, will Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) zukünftig auch mehr auf die Windkraft setzen - und dafür nicht nur zwei Prozent der Landesfläche für den Ausbau bereitstellen, sondern auch die in Bayern geltende, umstrittene 10-H-Regelung abschaffen. Nach dieser Regelung muss eine Windkraftanlage mindestens den zehnfachen Abstand der Windradhöhe zu einer Wohnbebauung haben. Bei 200 Meter Rotorhöhe sind das zwei Kilometer.
In Bayern gibt es nach wie vor kaum Windräder: Im Jahr 2021 wurden lediglich acht Anlagen in Betrieb genommen - zwei gingen wieder vom Netz. Viele Windräder gibt es bislang auch im Landkreis nicht. Derzeit sind zwei Anlagen in Betrieb, heißt es aus dem Landratsamt. Zwei weitere Anlagen in den Gemeinden Nandlstadt und Rudelzhausen seien zwar genehmigt, aber noch nicht errichtet.
In Zeiten, in denen Klimaschutz und Energiewende die vordringlichsten Aufgaben bilden, sei H10 "politischer Anachronismus", sagt Landrat Helmut Petz (FW). Der Schutz der Bürger vor unzumutbaren Immissionen durch Lärm oder Schattenwurf sei auch ohne die Regelung durch die Genehmigungsvoraussetzungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes gesichert.
Genauso die Vereinbarkeit von Windenergieanlagen mit allen öffentlichen Belangen, etwa dem Landschafts- und Naturschutz. Zudem hätten Gemeinden die vom Gesetzgeber gerade für Windenergieanlagen geschaffene Möglichkeit, Konzentrationsflächen mit einer Ausschlusswirkung für alle übrigen Gemeindeflächen auszuweisen. Damit könne die Ansiedlung von Windenergieanlagen menschen- und landschaftsgerecht sowie politisch verträglich gesteuert werden.
Das Potenzial für den Ausbau der Windenergie im Landkreis Freising sei noch nicht ausgeschöpft, betont Petz. Wo mögliche Standorte liegen, werde im Rahmen des Klimaschutzkonzepts des Landkreises durch sogenannte Potenzialflächenanalysen ermittelt. Die Windenergie stelle gemeinsam mit Photovoltaik einen notwendigen Baustein auf dem Weg zu einer fossilfreien, CO₂-neutralen Gesellschaft dar, so der Landrat.
Zwar gebe es auch Gegner der Windenergie, gegen deren Widerstand die Energiewende nicht zu erreichen sei. Dass Windenergieanlagen aber - auch wenn sie von vielen als Fremdkörper in der Landschaft wahrgenommen werden - deutlich angenehmer seien als Kohlekraftwerke oder Atommeiler, liege auf der Hand.
"Wir müssen alles daran setzen, das mit dieser erneuerbaren Energieform verbundene Eigeninteresse der Bürgerinnen und Bürger zu stärken und wahrnehmbar zu machen", betont Petz. Ein Stichwort sei die "Bürgerbeteiligung" in Form einer Beteiligung am wirtschaftlichen Ertrag der Windenergienutzung. "Wenn die Menschen merken, dass sie von dieser Form erneuerbarer Energieerzeugung wirtschaftlich profitieren, wird die Akzeptanz wachsen."
Die Akzeptanz für Windkraft habe bei den Bürgern in den vergangenen Jahren bereits stark zugenommen, sagt Werner Hillebrand-Hansen, einer der beiden Vorstände der Bürger-Energie-Genossenschaft Freisinger Land. "Das zeigen alleine vier Bürgerentscheide im vergangenen Jahr in Bayern, bei denen die Mehrheit für das Windrad gestimmt hat. Alle sind positiv ausgefallen." Auch das Argument der Gegner, es gebe keine geeigneten Standorte, stimme nicht.
"Das sieht man ja gut an unserem Windrad - auch Binnenwindräder sind sehr leistungsfähig." Das Bürgerwindrad der Genossenschaft bei Kammerberg, das im Herbst 2015 in Betrieb genommen wurde, erzeugte 2021 fast 6,5 Millionen Kilowattstunden Strom. Im Jahr 2019 sind es sogar 7,6 Millionen Kilowattstunden gewesen. Das waren damals 22,5 Prozent mehr als der im Ertragsgutachten eigentlich vorausgesagte Wert.
Bei den erneuerbaren Energiequellen sei die Wasserkraft ausgereizt, sagt Hillebrand-Hansen. Die Biomasse dagegen sei nicht unbegrenzt ausbaubar - Wind und Sonne aber hätten noch Potenzial. Etwa 30 bis 35 Windkraftanlagen in Kombination mit Solarenergie wären für das Erreichen eines klimaneutralen Landkreises notwendig, sagt Hillebrand-Hansen. "Je früher 10 H also fällt, umso besser." Geeignete Standorte gebe es genügend im Landkreis. "Auch wir würden sofort loslegen und neue Projekte angehen", sagt er. Sechs Jahre habe es wegen der 10-H-Regelung, die er für unverantwortlich hält, einen Stillstand gegeben. "Wir müssen jetzt loslegen und nicht erst in fünf Jahren." Dann sei die Energiewende noch zu schaffen.
Auch Leon Eckert, Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen des Wahlkreises, zeigt sich erfreut über den Vorstoß des Wirtschaftsministers Robert Habeck: "Die Streichung von 10 H würde endlich auch in der Region den Windenergie-Turbo zünden", heißt es in seiner Pressemitteilung. Gerade die Region, die durch stromintensive Industriebetriebe geprägt sei, würde massiv von einem Ausbau der Windenergie profitieren. Dieser aber sei alleine schon deshalb notwendig, um den Anteil des erneuerbaren Stroms bis 2030 auf 80 Prozent zu erhöhen, so Eckert.
Der bayerische Naturschutzverband LBV sprach sich vor dem für diesen Donnerstag angesetzten Treffen zwischen Ministerpräsident Markus Söder und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ebenfalls für einen konsequenten Ausbau der Windkraft in Bayern und die dafür notwendige Abschaffung der 10-H-Regelung aus. Den Ausbau verhindere nicht der Artenschutz, sondern alleine die 10-H-Regel, hieß es vom LBV. Nach Überzeugung des LBV widersprechen sich Klimaschutz und Artenschutz nicht, beides müsse zusammen gedacht werden. Der naturgerechte Ausbau der Windkraft sei ein wichtiges Instrument gegen die Klima- und die Artenkrise. Das Zwei-Prozent-Ziel für den Ausbau der Windkraft lasse sich auch in Bayern auf für den Artenschutz unbedenklichen Flächen problemlos realisieren.