Moosburger Nachkriegsgeschichte:Die Gemeinde der Überlebenden

Im Jahr 1948 lebten in Moosburg 246 Juden, mehr als irgendwo sonst im Landkreis. Die meisten von ihnen waren aus Gettos, Konzentrationslagern und auf Todesmärschen befreit worden. Politologe Guido Hoyer erläutert bei einem Stadtrundgang Einzelschicksale.

Von Petra Schnirch, Moosburg

Ein kurzes Kapitel der Moosburger Nachkriegsgeschichte ist nahezu unbekannt. Im Jahr 1948 existierte dort mit 246 Mitgliedern die größte jüdische Gemeinde im Landkreis Freising. Für die meisten war die Stadt jedoch nur eine Zwischenstation - sie wanderten nach Israel, in die USA oder nach Südamerika aus. Einige wenige aber blieben, wie Albert Kraaz, der einen Zeitungsladen eröffnete. Ihre Schicksale hat der Freisinger Politikwissenschaftler Guido Hoyer in mühevoller Detailarbeit zusammengetragen, denn ein Großteil der Unterlagen aus dieser Zeit - auch die der jüdischen Gemeinde - sind verschwunden.

Etwa 30 Moosburger begaben sich am Dienstagnachmittag gemeinsam mit Hoyer bei einem Stadtspaziergang auf Spurensuche, angesichts des starken Verkehrs in der Innenstadt kein leichtes Unterfangen. Immer wieder musste sich die Gruppe in kleine Durchgänge zurückziehen, um überhaupt etwas verstehen zu können. Zu dem Rundgang eingeladen hatte die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschisten", Hoyer ist deren Landesgeschäftsführer.

Seit 1871 lebten in Moosburg nach seinen Recherchen nie mehr als zwei Juden. Nach 1945 änderte sich dies für mehrere Jahre. Die meisten von ihnen waren polnische Staatsbürger. Sie waren aus Gettos und Konzentrationslagern oder auf Todesmärschen befreit worden. Ihre Angehörigen waren größtenteils ermordet worden. "Es war eine Gemeinde der Überlebenden", schilderte Hoyer. In ihre alte Heimat konnten sie nicht zurück, sie war verwüstet. Außerdem war der Antisemitismus immer noch ein Problem, wie Hoyer mit Verweis auf das Pogrom im polnischen Kielce vom 4. Juli 1946 mit 40 Toten darlegte.

Die meisten waren nur kurz in Moosburg, von dort aus ging es etwa in die USA

Dass Moosburg für die meisten kein dauerhaftes Zuhause wurde, zeigen mehrere Biografien, die der Politikwissenschaftler vorstellte. Heinrich Kinas war von Mai 1946 bis Januar 1948 Vorsitzender der jüdischen Gemeinde. Er wohnte mit seiner Frau Lazia am Weingraben 248, heute Münchner Straße 1. Er stammte aus Breslau und war Dentist. Von 1939 an war er inhaftiert, zuletzt im KZ Tschenstochau, und musste Zwangsarbeit leisten. Aus dem Datum seiner Befreiung am 17. Januar 1945 leitet Hoyer ab, dass Kinas vor dem Todesmarsch nach Buchenwald nach Auflösung des Lagers fliehen konnte. Aus dem Lager Feldafing kam Kinas mit seiner Familie nach Moosburg. Im Mai 1951 verließ sie Deutschland Richtung USA.

Mordcha Zajf war laut Hoyers Nachforschungen offenbar der letzte Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Moosburg. Er lebte mit Unterbrechungen bis 1959 in Moosburg, zuletzt im Weingraben 22 (heute Nummer 20). Er stammte aus Polen und war ebenfalls seit September 1939 als Zwangsarbeiter beschäftigt. Nach der Befreiung befand er sich ein Jahr lang in Krankenhäusern in München und Gauting, vermutlich litt er an Tuberkulose, einer der häufigsten Lagerkrankheiten. Auch seine Frau Masza überlebte die Shoa, ihre beiden Kinder aber offenkundig nicht, weil sie nirgends mehr erwähnt werden.

An Albert Kraaz, den "Zeitungs-Albert", erinnern sich noch immer viele ältere Moosburger. Als Hoyer seinen Namen erwähnte, ging ein Raunen durch die Gruppe. Sein Geschäft mit Leihbücherei befand sich am Weingraben 17. Nach der NS-Kategorisierung galt Kraaz als "Halbjude". Der Matrose war 1942 von Kollegen denunziert worden, "Feindsender" zu hören. In Danzig wurde er verhaftet und misshandelt. Auf dem Todesmarsch vom Zuchthaus in Straubing nach Dachau wurde er am 25. April 1945 in Altfraunhofen bei Landshut schließlich befreit, seine Frau kam in Auschwitz um. Albert Kraaz starb in Moosburg am 22. Dezember 1969 im Alter von 61 Jahren.

Treffpunkt der jüdischen Gemeinde war das beschlagnahmte Gebäude eines NS-Funktionärs

Nach der Befreiung des KZ Theresienstadt kehrte Kaufhausbesitzer Alois Weiner in seine Heimatstadt Moosburg zurück. Zeitweise nahm er dort Else Marcuse auf, einzige Überlebende ihrer Familie. Sie verließ die Stadt bereits im Dezember 1946 wieder und wanderte zu ihrer Nichte nach Uruguay aus. Noch 1961, im Alter von 86 Jahren, musste sie laut Hoyer, wie viele andere, um eine Entschädigung streiten. Spätere Daten zu ihrer Biografie hat er nicht mehr gefunden.

Treffpunkt der jüdischen Gemeinde war bis Anfang der Fünfzigerjahre die Synagoge an der Herrnstraße 9. Die US-Militärregierung hatte das Gebäude des NS-Funktionärs Alfred Heppner beschlagnahmt. Dort befanden sich zwei Säle, der größere hatte 41 Quadratmeter, Büro, Aufenthaltsraum, Küche und zwei Gästezimmer. In den Wohnungen unter dem Dach lebte Rabbiner Hirsch Gornicky mit seiner Familie in einem Zimmer in äußerst bescheidenen Verhältnissen mit zerschlissenen und zum Teil sogar kaputten Möbeln.

Das Verhältnis des Jüdischen Komitees zu den alteingesessenen Moosburgern war laut Hoyer nicht ohne Spannungen. Der Bürgermeister beschwerte sich etwa über nächtliche Ruhestörungen durch "laute Gespräche und Radiohören". Heppner forderte unterdessen vehement die Rückgabe des Hauses und verklagte die Stadt. Im Februar 1951 löste sich die Gemeinde schließlich auf. Damals lebten noch 34 Juden in Moosburg.

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