Süddeutsche Zeitung

Verlängerung des Lockdowns:"Hart an der Grenze"

Im Klinikum, dessen Personal und Intensivstation an der Belastungsgrenze sind, begrüßt man die Lockdown-Verlängerung. Im Einzelhandel ist man besorgt und bezweifelt, dass große Gefahr von Geschäften ausgeht.

Von Gabriel Wonn, Freising

Die aktuellen Corona-Infektionszahlen und die steigende Zahl der Toten haben es schon länger vermuten lassen: der Lockdown, der zunächst bis zum 10. Januar angesetzt war, wird bis Ende des Monats verlängert. Die Bürgerinnen und Bürger werden sich durch die verschärften Kontaktbegrenzungen also weiterhin einschränken müssen. Betroffen sind nicht nur Privatpersonen, sondern auch Handel, Vereine und Institutionen. Sie SZ hat sich umgehört, wie man in Freising mit den neuesten Entwicklungen umgeht.

Im Freisinger Klinikum ist man grundsätzlich über jede Maßnahme froh, die zumindest ein wenig Druck vom ohnehin stark belasteten Personal nimmt. Pressesprecher Sascha Alexander sieht die Notwendigkeit der Verlängerung definitiv gegeben: "Jeder, der glaubt, dass das Ganze harmlos ist, sollte mittlerweile verstanden haben, dass dem nicht so ist. Alles, was hilft, das Infektionsgeschehen zu bremsen, unterstützen wir natürlich voll und ganz." Man habe viele Infizierte im Krankenhaus, so Alexander: "Die Isolierstation ist voll. Wir sehen einfach konkret bei uns im Haus, dass die Zahlen hoch sind. Wir sind noch mittendrin in der Pandemie." In einigen Bereichen sei man "hart an der Grenze", dies betreffe auch die Intensivstation. "Konkrete Maßnahmen sind Sache der Politik. Aber alles wieder einfach laufen zu lassen, wäre mit Sicherheit die völlig falsche Strategie", bekräftigt der Pressesprecher.

Allerdings weiß auch Alexander um die damit verbundenen Schwierigkeiten für Handel und Einzelpersonen. Er könne Unzufriedenheit und Ungeduld vollkommen verstehen. "Es zehrt an den Nerven und tut vor allem dann besonders weh, wenn Menschen existenziell gefährdet sind", sagt er, "oder noch trauriger: Menschen, die durch die zunehmende Isolierung psychische Probleme haben. Die Menschen sind müde. Wir sind ja selbst müde. Aber es hilft ja nichts. Jeder musste eigentlich wissen, dass die zweite Welle kommen wird".

Alexander verurteilt in diesem Zusammenhang nicht nur eine zu große "Unvernunft" im Sommer, sondern auch das momentane Treiben an Ausflugszielen, Wintersportanlagen und Rodelpisten: "Genau für so etwas zahlen wir momentan die Zeche. Wenn wir so viele Unvernünftige haben, wird das Ganze eben auch noch länger dauern."

"Dass die große Ansteckungsgefahr von den Geschäften ausgeht, das glaube ich einfach nicht"

Am anderen Ende der Corona-Maßnahmen steht der Einzelhandel. Die Angst vor den Folgen für die Innenstädte sei groß, sagt die Käsehändlerin Marianne Lang. "Es tut mir wahnsinnig leid für alle. Es ist auch nicht wirklich begreiflich, dass das jetzt in dieser Form verlängert wird. Die Zahlen steigen, klar", sagt sie. "Ich habe Verständnis dafür, dass etwas gemacht werden muss, aber dass die große Ansteckungsgefahr von den Geschäften ausgeht, das glaube ich einfach nicht", meint Lang. Große Drogerieketten hätten schließlich auch alle geöffnet. Deren Hygienekonzepte könne man auch auf die anderen Geschäfte übertragen.

Marianne Lang weiß, dass sie als Inhaberin eines öffnungsberechtigten Lebensmittelgeschäftes vergleichsweise glimpflich durch den Lockdown kommt. Doch sie sorgt sich um Kollegen. "Man ist ja so handlungsunfähig. Wie in Schockstarre. Wo soll das denn hinführen für den Einzelhandel?", fragt sie. "Die wichtigsten Wochen im Jahr sind im Dezember schon weggebrochen und jetzt geht es weiter. Ich möchte nicht wissen, was die anderen an Einbußen haben. Was wird da mit den Innenstädten auf Dauer passieren?"

Dennoch lobt die Käsehändlerin die Disziplin im Handel: "Meine Mitarbeiter, auch die jungen, sind wirklich diszipliniert. Die treffen sich seit Wochen mit niemandem. Und in meinem gesamten Umfeld höre ich nichts darüber, dass jemand sagt, er mache jetzt nicht mehr mit." Dass man, wenn es hart auf hart käme, lieber jetzt noch einmal die Zähne zusammenbeiße und dafür im Frühling wieder umfangreiche Lockerungen bekäme, befürwortet Lang prinzipiell. Die richtige Strategie kenne sie auch nicht, aber gerade die beobachtbaren Menschenansammlungen in den Freizeitgebieten seien nicht tragbar.

Bei der Freisinger Polizei, welche die Einhaltung der Einschränkungen weiterhin kontrollieren wird, können wenig konkrete Aussagen über die Lockdown-Verlängerung getroffen werde. Man habe die neuen Verordnungen schließlich noch nicht endgültig vorliegen, so Polizeioberrat Ernst Neuner. "Was Kontaktbeschränkungen angeht: Da ändert sich ja nicht viel. Dinge, die augenscheinlich sind, kontrollieren wir. Über alles weitere kann ich erst Auskunft geben, wenn ich eine rechtskräftige Verordnung habe", sagt Neuner.

Laut Polizei zeigen die Menschen ein relativ hohes Maß an Disziplin

Mögliche Komplikationen könnten sich aus der neuen Maßnahme für Bewohner von sogenannten "Hot Spots" ergeben. Dies sollen ihren Wohnort nur noch in einem Bewegungsradius von 15 Kilometern verlassen dürfen. "Die Frage ist: Gilt das nur für denjenigen, der dort wohnt? Oder auch für denjenigen, der in diesen Bereich möchte? Wenn es lokal beschränkt ist, werden wir uns relativ leicht tun, weil die Kollegen ortskundig sind. Wenn es nicht lokal begrenzt ist, wird es natürlich umso schwieriger", meint Neuner, der auch hierzu bislang keine konkreten Anweisungen erhalten hat.

Die Einführung dieser Beschränkung unterstützt Neuner dennoch. Wenn man sich anschaue, was im Bereich des Ausflugstourismus in letzter Zeit stattgefunden habe, sei der Schritt absolut nachvollziehbar: "Wenn ein Rodelhügel aussieht wie der Stachus zu seinen besten Zeiten, laufen die Maßnahmen einfach ins Leere. Man muss reagieren."

Bezüglich der Bevölkerung zeigt sich Neuner optimistisch. "Für meinen Dienstbereich kann ich bislang sagen, dass die Leute ein relativ hohes Maß an Disziplin zeigen. Wir werden versuchen, dies durch Öffentlichkeitsarbeit und Kontrolle aufrechtzuerhalten", sagt der Freisinger Polizeichef. Man werde die neuen Bestimmungen transparent an die Bürgerinnen und Bürger weitergeben. Ein messbarer Erfolg des verlängerten Lockdowns wäre schließlich für alle wünschenswert - ob Krankenhaus, Einzelhandel oder Polizei.

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