Verkehrswende in Freising :Schildbürgerstreich mit gelber Farbe

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Erst der Fußweg, dann der Schutzstreifen für Radfahrende und dann die neuen Parkzonen: für viele Lerchenfelder und Lerchenfelderinnen ist das eine völlig verkehrte Verkehrsplanung. (Foto: Marco Einfeldt)

Die neuen Schutzstreifen für Radfahrende in Lerchenfeld stoßen bei Anwohnern und Gewerbetreibenden auf wenig Gegenliebe. Sie kritisieren den Wegfall von Stellplätzen und fühlen sich übergangen.

Von Kerstin Vogel, Freising

Vor etwas mehr als einer Woche sind in Lerchenfeld Arbeiter angerückt, um entlang der Erdinger Straße und im Gewerbegebiet Gute Änger mit gelber Farbe neue Markierungen auf den Fahrbahnen anzubringen – und noch immer sind die damit einhergehenden Verkehrsregelungen Thema Nummer eins in dem Freisinger Stadtteil. Aufreger Nummer eins, muss man ehrlicherweise sagen, denn Befürworter der neuen Schutzstreifen für Radfahrer findet man an diesem Vormittag nicht.

Mit den neuen Markierungen sind vor allem Parkplätze weggefallen – von bis zu 50 ist die Rede und das trifft die Geschäftsinhaber entlang der Erdinger Straße ebenso wie die Betriebe, Praxen und Kanzleien entlang der Straße Gute Änger. Dort wurden zwar auch ein paar Stellplätze neu markiert, doch deren Situierung links neben den Schutzstreifen nennt eine Anwohnerin schlicht einen „Schildbürgerstreich“, noch eine der netteren Bezeichnungen, die man zu hören bekommt.

Die Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, hat nicht nur ein persönliches Problem mit den Parkplätzen, die gegenüber von ihrem Grundstück gefühlt mitten auf die Straße gepinselt wurden, weil sie mit Auto und Hänger nur noch in eine Richtung aus ihrem Grundstück fahren kann. Sie sei selber überzeugte Radfahrerin, sagt sie, aber sie verstehe den Sinn der gesamten Maßnahme nicht.

Vor ihrem Gartenzaun sei der gut zwei Meter breite Weg zuvor problemlos von Radfahrern und Fußgängern gemeinsam genutzt worden. Durch die jetzt zusätzlich beidseitig ausgewiesenen Schutzstreifen und besagte Parkzonen verenge sich die Fahrbahn so stark, dass ständig Autofahrer bremsen und warten müssten, Hupkonzert inklusive. Dabei sei die Straße von Radfahrern kaum frequentiert, nur zu Schulbeginn und -ende seien Schülerinnen und Schüler in größeren Pulks unterwegs – und da nehme man eben Rücksicht.

Der Verkehr zu den Schulen an den Guten Ängern war es freilich, den der Planungsausschuss mit im Auge hatte, als er im Mai 2023 die Neuregelung für Erdinger Straße und Gute Änger beschloss. Zusätzlich zu den Schutzstreifen sollten die neuen Stellplätze, die in gewissen Abständen beidseitig versetzt auf der Fahrbahn gekennzeichnet wurden, zu einer Verlangsamung des Verkehrs im Bereich von Real- und Montessori-Schule beitragen – und helfen, die Lastwagen aus dem Bereich zu verbannen, denn stehen dürfen dort ausdrücklich nur Personenwagen für maximal vier Stunden.

Weil so viele Parkplätze weggefallen sind, werden die Autos jetzt in den kleinen Nebenstraßen wie hier am Attachinger Weg abgestellt. Die Anwohner wundern sich, wie da die Müllabfuhr noch durchkommen soll. (Foto: Marco Einfeldt)
Auch an der Erdinger Straße sollen die Schutzstreifen die Sicherheit für Radfahrende verbessern. Die Parkgelegenheiten stadtauswärts gibt es damit auch nicht mehr. (Foto: Marco Einfeldt)

Auch entlang der Erdinger Straße sollen die Schutzstreifen für mehr Sicherheit sorgen und zumindest die Unterstützer des Radentscheids Freising halten beide Maßnahmen nach wie vor für gut und richtig. Fast 5000 Unterschriften waren dafür im Frühjahr 2022 gesammelt worden, danach wurde bekanntlich ein Vertrag zwischen der Radentscheid-Initiative und der Stadt geschlossen, in dem konkrete Maßnahmen vereinbart sind, die bis 2027 umgesetzt oder geplant werden müssen. Zwei davon sind die Fahrradschutzstreifen an Erdinger Straße und Gute Änger – wenn auch zunächst nur als Verkehrsversuch, wie es im Ausschuss hieß. Die verärgerte Anwohnerin findet darin keinen Trost. Ständig müsse Lerchenfeld als Versuchskaninchen herhalten, kritisiert sie, und am Ende sei noch immer alles geblieben.

Erfreut zeigen sich dagegen die Verbände, die den Radentscheid mit initiiert haben. „Mit der Erdinger Straße ist das neuralgische Stück der Hauptroute Attaching – Lerchenfeld – Korbinianbrücke – Altstadt geschlossen worden“, lobt der VCD-Kreisvorsitzende Alfred Schreiber: „Es handelt sich dabei auch um eine wichtige Schulwegeverbindung, die bislang aus Gesichtspunkten der Verkehrssicherheit problematisch war.“ Zudem schaffe die Neugestaltung im Gewerbegebiet Gute Änger eine gute und sichere Route für die Schulen. Ähnlich überzeugt äußert sich der Vorsitzende des ADFC-Kreisverbands Freising, Hans Pemp: „Mit der jetzt gefundenen Lösung wird nicht nur entspannteres Radfahren auf dieser wichtigen Nord-Süd-Hauptfahrradroute ermöglicht und die Schulwegsicherheit verbessert. Es wurde auch den Anliegen der gewerblichen Anlieger in Gute Änger Rechnung getragen, dass weiterhin einige (Kurzzeit-) Parkplätze markiert sind“.

„Die sind alle dagegen, die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt“

Glaubt man Dominic Walter von Autotechnik Walter gibt es unter den Gewerbetreibenden und Geschäftsleuten in Lerchenfeld allerdings keine zwei Meinungen zu den gelb markierten Neuerungen: „Die sind alle dagegen, die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt“, sagt er – und macht seinem Ärger über die Stadt Luft. Niemand habe in der ganzen Zeit der Planung jemals mit den Betroffenen geredet, kritisiert er. Nicht mit den Anwohnern und auch nicht mit den Gewerbetreibenden. Die Infrastruktur im Gewerbegebiet Gute Änger sei bereits an ihrer Kapazitätsgrenze gewesen, die Stadt hätte hier im Interesse ihrer Gewerbesteuerzahler nach 30 Jahren eigentlich mal nachbessern müssen. Der Wegfall der Parkplätze sei stattdessen ein Schritt genau in die verkehrte Richtung, so Walter.

Arztpraxen, Therapiezentrum, Zahnärzte oder die größeren Betriebe bräuchten Stellplätze nicht nur für ihre Kunden, sondern auch für die Angestellten. „Man kann doch nicht die Interessen der Radfahrer derart überbewerten und einfach alles andere lahmlegen, noch dazu, wo die Radlerfrequenz hier außerhalb der Schulzeiten absolut gering ist.“ Kritische Situationen mit Radfahrern habe er in den vergangenen Jahren keine einzige erlebt, auch in der Polizeistatistik seien keine Unfälle vermerkt.

Dass stattdessen die neue Verkehrssituation Unfallgefahren birgt – mit dieser Vermutung ist Walter nicht alleine. „Bin ja gespannt, wann es das erste Mal kracht beim Schweller oder der erste Fahrradfahrer verunglückt“, unkt ein User auf der Social-Media-Plattform Facebook, wo die neue Verkehrsregelung ebenfalls Wellen geschlagen hat. „Wer so etwas in der freien Marktwirtschaft plant und/oder genehmigt wird mit hoher Wahrscheinlichkeit abgemahnt oder gleich gefeuert“, mutmaßt ein anderer und ein Dritter hält fest: „Selten so ein undurchdachte und realitätsfremde Verkehrsplanung gesehen.“

Normale Autos schaffen es gerade noch, Lastwagen, die hier von der Erdinger Straße in die Straße Gute Änger abbiegen, müssen auf den Schutzstreifen ausweichen. Die Parkzone behindert außerdem die Ausfahrt vom Parkplatz der Bäckerei Schweller. (Foto: Marco Einfeldt)

Dass in der Planung Luft nach oben wäre, lässt sich zumindest an einer Stelle an diesem Vormittag unschwer beobachten. Wer von der Erdinger Straße rechts in die Guten Änger abbiegt, sieht sich relativ unvermittelt mit der neuen Parkzone konfrontiert, die genau gegenüber vom Parkplatz der Bäckerei Schweller angelegt wurde. Dort abgestellte Autos behindern nicht nur die Ausfahrt von diesem Parkplatz, sie zwingen abbiegende Lastwagen auch zum Ausweichen auf genau den Schutzstreifen, auf dem die Radfahrer eigentlich sicher sein sollten.

Und den ersten Unfall hat es an diesem Vormittag tatsächlich auch genau wie prophezeit dort gegeben, zum Glück nur ein kleiner Blechschaden. „Das ist schon eng und unübersichtlich da“, räumt der Polizist ein, der den Unfall aufnehmen musste: „Aber das ist eine Entscheidung der Stadt Freising.“

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