Freising:Lektüre mit Anleitung

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"Mein Kampf" ist wieder gefragt - allerdings einer neuen, von Historikern umfangreich kommentierten Ausgabe. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Bei einer Diskussion über die kommentierte Ausgabe von "Mein Kampf" sind sich Podium und Publikum einig: Ein Verbot wäre falsch gewesen, die Hintergrundinformationen machen Hitlers krude Gedankenwelt verständlich

Von Christian Gschwendtner, Freising

Die Grünen sind eine Partei der "Legalizer", merkt Sepp Dürr am Dienstagabend an. Da neigt sich die Podiumsdiskussion im Grünen Hof bereits dem Ende zu. Und den 26 Besuchern leuchtet sofort ein: Dürr spielt jetzt nur zu einem geringen Teil auf die Legalisierung von Rauschmitteln an, dem anderen großen Anti-Verbots-Thema seiner Partei. Der Abend in Freising ist ganz der kritischen Ausgabe von "Mein Kampf" vorbehalten.

Erschienen ist das Hitler-Buch am 8. Januar dieses Jahres und in der Zwischenzeit ist es sogar zum Bestseller geworden. Wissenschaftler des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) haben dem Originaltext 3500 kluge Anmerkungen an die Seite gestellt. Entstanden ist so ein Koloss von 1948 Seiten, an dem sich noch immer die Meinungen scheiden. Darf man das Schlüsselwerk des Nationalsozialismus einfach so auf den Markt bringen? Und wie gefährlich ist "Mein Kampf" heute? Allesamt Fragen, die auch die Freisinger Grünen umtreiben. Sie stehen als Veranstalter hinter der Podiumsdiskussion.

Gekommen ist neben dem Landtagsabgeordneten Sepp Dürr auch Roman Töppel, einer der IfZ-Herausgeber. Sie wollen über das Großthema "Mein Kampf" aus politischer und wissenschaftlicher Warte diskutieren. Im Eingangsstatement berichtet Ortssprecherin Susanne Günther davon, dass Veranstaltungsplakate im Vorfeld beschmiert worden seien. "Das zeigt, wie wichtig eine Auseinandersetzung ist." Einig ist man sich auf dem Podium, dass eine Zensur von "Mein Kampf" eindeutig der falsche Weg gewesen wäre. Nach Ansicht von Sepp Dürr hätte man so nur eine Aura des Geheimnisvollen geschaffen. Wenn die Diskussionen über den Umgang mit Hitlers zweiter Machtzentrale, dem Obersalzberg, eines gezeigt habe, dann dass man Neonazis eigene Deutungen entgegensetzen müsse. "Du musst selber präsent sein und nicht Platz für Nazis machen", sagt Dürr. Abgesehen davon sei "Mein Kampf" problemlos im Internet zu bekommen, ergänzt Roman Töppel. Das Ziel des IfZ sei es deshalb gewesen, dem Leser alle verfügbaren Hintergrundinformationen an die Hand zu geben. Nur so könne man Hitlers krude Gedankenwelt, die menschenverachtende Ideologie überhaupt erst verstehen.

In Anbetracht des Gesamtumfangs empfiehlt der Historiker Töppel, das Buch eher portioniert zu lesen. Ende 2015 und damit gut 70 Jahre nach dem Tod des Autors ist der Urheberrechtsschutz für "Mein Kampf" erloschen. Seit Anfang Januar steht es nun rein theoretisch jedermann offen, Hitlers Propagandaschrift zu verlegen. Für Sepp Dürr ist die ganze Aufregung um das IfZ-Projekt deswegen eine "Gespensterdebatte". Dürr wird an diesem Abend nimmer müde zu betonen, dass die Grünen die treibende Kraft hinter der kritischen Ausgabe waren. Die CSU-geführte Staatsregierung sei hingegen in die "üblichen Verbotsreflexe" zurückgefallen.

Nach einem Seehofer-Besuch in Israel im September 2012 hatten die Christsozialen eine Kehrtwende vollzogen: Die Edition des Hitler-Buches lehnten sie forthin ab. Töppel lässt auch in Freising durchblicken, dass der ungewisse Ausgang des Projekts nicht immer leicht gewesen ist. Bei Dürr bedankt er sich für die Unterstützung. Meinungsunterschiede gibt es auf dem Podium und im Publikum eigentlich nur bezüglich der heutigen Bedeutung von "Mein Kampf". Dürr glaubt, dass man anhand der kommentierten Ausgabe schön erkennen könne, wie totalitäre Weltbilder zusammen gekleistert werden. Töppel kann sich dagegen nicht vorstellen, dass Rechte mit "Mein Kampf" unterm Arm heute noch ernst genommen werden.

© SZ vom 21.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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