Zusätzliche Unterrichtsstunden:"Die Lehrer fühlen sich überrumpelt"

Zusätzliche Unterrichtsstunden: Obwohl offiziell schon in Pension arbeitet Peter Neurohr noch drei Tage die Woche in seiner alten Grundschule St. Lantbert. Der Vollblut-Pädagoge kann die derzeitigen Lehrerproteste trotzdem gut verstehen.

Obwohl offiziell schon in Pension arbeitet Peter Neurohr noch drei Tage die Woche in seiner alten Grundschule St. Lantbert. Der Vollblut-Pädagoge kann die derzeitigen Lehrerproteste trotzdem gut verstehen.

(Foto: Marco Einfeldt)

Auch an Freisings Grundschulen ist die Verärgerung über zusätzliche Unterrichtsstunden, mit denen das Kultusministerium dem Personalmangel begegnen will, groß. Der frühere Schulleiter Peter Neurohr führt den Protest vor allem darauf zurück, dass es keine Mitsprache gegeben hat.

Interview von Gudrun Regelein, Freising

"So nicht!" Unter diesem Motto startete der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV) vor Kurzem eine Protestaktion. Grund für den Unmut waren die von Kultusminister Michael Piazolo vorgestellten Maßnahmen gegen den eklatanten Lehrermangel an den Grund- und Mittelschulen. Auch Freisinger Lehrerinnen und Lehrer beteiligten sich an dem Aktionstag. Peter Neurohr, Lehrer und früherer Leiter der Grundschule St. Lantbert in Lerchenfeld, versteht die Verärgerung der Pädagogen. Selbst der BLLV sei nicht in die Planungen des Kultusministeriums einbezogen worden, sagt er im Gespräch mit der SZ Freising. "Man hätte das zwar vielleicht kritisch gesehen, aber dennoch mitgetragen."

SZ: Was ist das große Problem der Lehrer?

Peter Neurohr: Ein großes Problem gibt es nicht, es ist die Summe der kleinen Probleme. In der Menge ist das nicht so einfach aus der Welt zu schaffen. Da dann noch etwas draufzusetzen, bringt das Fass zum Überlaufen.

Sie meinen damit die vom Kultusminister verordnete Erhöhung der Unterrichtsstunden?

Ja, genau. Ich könnte Ihnen über 30 Probleme aufzählen, die wir haben. Alleine der Arbeitsaufwand ist enorm gestiegen. Das beginnt bei der Sozialerziehung, die auch psychisch sehr belastend ist, geht über die Themen Inklusion, Integration, Ganztagsklassen, um die wir uns kümmern müssen, bis hin zur Digitalisierung und den neuen Medien. Lehrer haben das Gefühl, nicht mehr hinterherzukommen, sie fühlen sich hilflos und wissen nicht, wie sie das handeln können. Ich vergleiche das gerne mit einem Keller, in den man immer mehr hineinstellt, aber nichts mehr rausholt.

Sie verstehen also den Protest der Lehrer?

Absolut. Der eigentliche Grund für ihre Verärgerung ist aber nicht die zusätzliche Unterrichtszeit. Sondern die Art und Weise, wie das den Lehrern einfach übergestülpt wird. Sie fühlen sich überrumpelt.

Ist es denn bei dem großen Mangel nicht zumutbar, eine Stunde - beziehungsweise bei Teilzeitkräften drei Stunden - mehr zu unterrichten?

Die eine Stunde ist es ja nicht, sondern die Art und Weise, wie es passiert ist. Das Gefühl, nicht wertgeschätzt zu werden - das erzeugt Unzufriedenheit.

Wie sonst aber sollen die Stunden abgedeckt werden?

Man hätte es mit Freiwilligkeit versuchen sollen. Lehrer, die in Teilzeit arbeiten beispielsweise, wären eventuell zu einer Erhöhung ihres Stundenkontingents bereit. Und erst wenn es mit Freiwilligkeit nicht funktioniert hätte, dann hätte man zu anderen Mitteln greifen können.

Der Mangel hat ja Gründe: Welche sind das?

Früher gab es einen Numerus clausus. Außerdem hatte die Ausbildung den Ruf, schwierig zu sein. Und trotz guter Abschlussnoten ist man nach dem Studium schließlich auf der Warteliste gelandet. Das alles hat natürlich viele Abiturienten dazu bewogen, sich nicht für dieses Studium zu entscheiden. Und dann spielt auch die im Vergleich zu Realschule und Gymnasium niedrigere Bezahlung eine Rolle. Auch meine Tochter hat sich für das Lehramtsstudium für Realschule entschieden: Weniger Stunden und eine bessere Bezahlung spielten dabei eine Rolle.

Es gab schon diverse Versuche, die Not an Grund- und Mittelschulen zu lindern. Gymnasiallehrer beispielsweise können nach dem Besuch von Crashkursen dort unterrichten. Was halten Sie davon?

Das ist hartes Brot - nicht nur für die Lehrer, sondern auch für die Schule. Die betroffenen Lehrer werden ins kalte Wasser geworfen und bekommen gleich eine eigene Klasse. Auch wir haben in St. Lantbert zwei Gymnasiallehrer, die hier unterrichten. Sie haben es im Vergleich zum Gymnasium mit sehr heterogenen Klassen zu tun: Von hochbegabten Kindern bis hin zu Kindern mit einer Lernbehinderung, was ein hohes Maß an Differenzierung erfordert. Darüberhinaus beschränkt sich der Unterricht nicht nur auf wenige, studierte Fächer, sondern man muss alle Fächer der Grundschule unterrichten können. Auch sind die Kinder in ihrem Verhalten noch deutlich emotionaler und brauchen mehr Zuwendung, aber ebenso auch mehr Struktur und Leitung. Das sind große Herausforderungen.

Wirkt sich der Lehrermangel langfristig auf die Unterrichtsqualität aus?

Bislang hat er noch keine spürbaren Auswirkungen. Die Lehrer sind alle motiviert. Aber er hat andere Auswirkungen, denn inzwischen kann nur noch das Soll erfüllt werden. Es geht nur noch um den Übertritt auf das Gymnasium, der steht im Fokus. Die schönen und experimentellen Sachen, wie die Arbeitsgemeinschaften für Kunst, Theater und Sport, bleiben auf der Strecke.

Gibt es ein Patentrezept ?

Das ist sehr schwierig, weil es wieder viele kleinen Stellschrauben sind, an denen gedreht werden muss. Es gibt keine einfache Lösung. Eine aufgestockte Bezahlung wäre hilfreich - aber ob sie alleine die Lösung bietet, weiß ich nicht.

Die Grundschule ist weiblich geprägt, ist der Job für Männer nicht attraktiv?

Die Grundschule ist nicht nur wegen der niedrigeren Bezahlung und des hohen Arbeitsaufwandes für Männer nicht besonders attraktiv, sondern sie hat auch ein Imageproblem: Männer, die Grundschullehrer sind, werden belächelt.

Sie selber sind bereits seit über 40 Jahren im Schuldienst. War es früher tatsächlich besser?

Definitiv ja. Heute kann man als Lehrer viel mehr falsch machen als früher.

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