Integration in der Natur:Ein Gemeinschaftsgarten als sicherer Hafen

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Der interkulturelle Garten ist ein Ort der Gemeinschaft, viele Mitglieder des Vereins haben Migrationshintergrund. (Foto: privat)

Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen treffen sich regelmäßig im interkulturellen Garten in Freising und greifen zu Rechen und Harke. Die Vorsitzende Anna Haikali ist seit über einem Jahrzehnt mit ihrer Familie dabei und hat erlebt, wie das Projekt Leute zusammenbringt.

Von Jasmin Schol, Freising

Ein Ort des interkulturellen Austausches, der Gartenarbeit, der Gemeinschaft und der Integration – die Idee des interkulturellen Gartens als Begegnungsort in Städten ist nicht neu. Bereits 1996 war die erste Grünfläche dieser Art in Göttingen gegründet worden. 2007 wurde auf Initiative der damaligen Frauenbeauftragten Gisela Landesberger und der Integrationsbeauftragten Meral Meindl auch in Freising ein Ort im Grünen gefunden, der seither von dem Verein „Interkultureller Garten Freising“ getragen wird.

Das rund 1500 Quadratmeter große Grundstück befindet sich am Südhang des Schafhofs, unterhalb des Europäischen Künstlerhauses – eine perfekte Lage. Man sei schnell dort und trotzdem raus aus der Stadt, was Anna Haikali sehr angenehm findet. Sie ist bereits seit 2010 oder 2011 Mitglied – so genau erinnert sie sich nicht. „Eine lange Zeit auf jeden Fall“, erklärt sie lachend.

Seit 2013 bildet sie zusammen mit Pepito Anumu, einem der Gründungsmitglieder, das Vorstandsteam. Sie ist hauptberuflich als technische Assistentin in der Abteilung Waldschutz der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft tätig, aktuell ist sie in Elternzeit.

Den Weg zum interkulturellen Garten hat Anna Haikali zusammen mit ihrem Mann gezielt gesucht. Der gebürtige Namibier war 2009 nach Deutschland gekommen, im selben Jahr schloss sie ihr Studium der Forstwirtschaft in Freising ab. Sie erzählt, dass viele ihrer Freundinnen und Freunde nach dem Studium wegzogen und auch ihr Mann nicht so viele Menschen kannte. „Wir waren auf der Suche nach einem neuen Netzwerk“. Und genau das hat das Paar im interkulturellen Garten gefunden. Beide kommen aus Familien mit landwirtschaftlichen Berührungspunkten, „wir sind einfach sehr gerne draußen“. Gemeinschaftliches Gärtnern war für sie somit das perfekte Konzept.

Seitdem ist Familie Haikali als eine von 13 Familien in der Gemeinschaft aktiv. Der Verein sei darauf ausgerichtet, Menschen mit Migrationshintergrund anzusprechen. In vielen Mitgliedsfamilien gebe es einen deutschen Teil und einen mit Einwanderungsgeschichte, so wie bei Anna Haikali und ihrem Mann. Es ist aber auch eine Familie ohne Migrationshintergrund dabei. Insgesamt soll ein „Gleichgewicht“ herrschen. Auch weil es ein kleiner Garten ist, findet sich „aus jeder Kultur nur eine Familie und nicht fünf Familien aus einer Kultur“.

Der interkulturelle Garten in Freising ist nicht groß, es werden aber wieder neue Mitglieder gesucht. (Foto: Birgit Gleixner)
Gemeinsam gärtnern, gemeinsam Zeit verbringen, das ist das Ziel. (Foto: Birgit Gleixner)

Vertreten sind Länder aus ganz unterschiedlichen Teilen der Welt: Namibia, Togo, Algerien, Iran, Türkei, Deutschland, Rumänien, Indien, Vietnam, Haiti, Bolivien und China. „Der Gedanke ist, hier Wurzeln zu schlagen, Netzwerke aufzubauen, hier anzukommen – gerade wenn man eben eine Zuwanderungsgeschichte hat und vielleicht noch nicht so lange hier ist.“ Einige Familien sind seit den frühen Anfängen mit dabei. Die meisten haben Kinder, für die der Garten mit seiner großen Gemeinschaftsfläche, ausgestattet mit Trampolin und Schaukeln, einiges zu bieten hat.

Der Alltag im Garten folgt klaren Strukturen, doch bleibt gleichzeitig viel Raum für die freie Gestaltung. Laut Haikali werden einige Aufgaben fest zugeteilt wie das Rasenmähen oder die Wartung der Werkzeuge. Alles Weitere steht während der Saison vom Frühjahr bis zum Herbst einmal im Monat bei einem festen Treffen auf der Agenda. Die aktive Teilnahme daran sei wichtig für eine funktionierende Gemeinschaft.

Die monatlichen Besprechungen dienen auch als Raum, um Konflikte zu lösen, die es immer mal wieder zwischen Familien gebe. „Manchmal sind es auch kulturelle Aspekte, die da mit reinspielen, aber oft sind es einfach allgemeine Aufgaben, die auf der Gemeinschaftsfläche gemacht werden sollen. Der eine sieht da was kritisch, der andere findet es vollkommen in Ordnung“, erklärt Anna Haikali. Da werde man als Vorstand und Gemeinschaft gefordert, Kompromisse zu finden.

Man grillt, lacht und entspannt zusammen

Auch wenn bei den Treffen diskutiert wird, stehe ein „positives Beisammensein“ im Vordergrund. Man grillt, lacht und entspannt zusammen. Außerdem feiert die Gruppe jedes Jahr verschiedene Feste wie Erntedank Anfang Oktober. Und außerhalb der Saison findet ein Winterkochen statt, zu dem jede Familie ein landestypisches Gericht beiträgt. „Daraus ist in der Vergangenheit auch ein kleines Kochbuch entstanden“, berichtet Haikali stolz, „Kochen rund um die Welt“.

Vor dem Hintergrund erstarkender rechter Kräfte in Deutschland bezeichnet Anna Haikali den Garten definitiv als einen „safe space“, in dem die Mitglieder auch immer wieder über die aktuellen politischen Entwicklungen hierzulande diskutieren. Viele sprechen gerne über Politik, auch in ihrem jeweiligen Herkunftsland und teilen, was dort gerade passiert.

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Dieser Austausch und das Verarbeiten von belastenden Themen werden nicht nur über Gespräche ausgedrückt. Eine Gruppe trifft sich regelmäßig zum Trommeln, „wofür es wenig Sprache bedarf“, so Haikali. Es sei mehr eine Form von Meditation. Die Klänge würden auch Leute von außen anlocken. Grundsätzlich ist es der Vorsitzenden wichtig, dass der Verein eine „offene Gemeinschaft“ bilde. Wenn Fremde am Grundstück vorbei kommen, dann könnten sie sich oft dazu setzen.

Haikali überlegt kurz, bevor sie auf den Punkt bringt, was dieses Integrationsprojekt für sie ausmacht: „Es ist das gemeinsame Gärtnern, das Geerdete. Es hat etwas sehr Verbindendes. Neben dem rein sozialen Aspekt hat dieses gemeinsam etwas Tun und der Austausch darüber noch mal eine andere Qualität. Da trifft man sich auf einer anderen Ebene als nur im verbalen Austausch“.

Mit Blick auf die Zukunft wünscht sich Anna Haikali konkret, im nächsten Frühjahr neue Mitglieder zu finden, da Kapazitäten freigeworden sind: „Wieder mehr frischen Wind“. Insbesondere die Corona-Jahre hätten der Gemeinschaft einen großen Dämpfer gegeben – das spüre man bis heute. Die engagierte Gärtnerin würde sich daher künftig über mehr Projektarbeit zu konkreteren Themen freuen. In der Vergangenheit haben die Familien etwa einen Brunnen gebaut oder ein Ausflug zu einem Biohof unternommen. Für solche Vorhaben fehle in der Gemeinschaft aktuell leider einfach die Kraft, sagt Haikali.

Jetzt geht der interkulturelle Garten erst mal langsam in die Winterpause. Im November treffen sich alle Mitglieder noch einmal zum Aufräumen, der Garten wird winterfest gemacht. Und Anna Haikali freut sich bereits auf neue Gesichter und spontane Begegnungen mit Interessierten im kommenden Jahr.

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