Seit einigen Monaten erstrahlt die Freisinger Innenstadt in neuem Glanz: Viele Jahre hat der Umbau die gesamte Stadt und ihre Bevölkerung begleitet. Die ersten Reaktionen waren positiv, die Stadt Freising wurde für ihr Projekt gelobt. Es gibt aber auch Menschen, die sich über den Neubau beschweren, unzufrieden mit dem Ergebnis sind. Sie finden, die Freisinger Innenstadt sei nicht grün genug, die Flächen seien zu versiegelt und eine graue, kahle Innenstadt-Struktur sei gerade in Zeiten des Klimawandels nicht zeitgemäß. Die SZ hat mit Kritikern und Verantwortlichen gesprochen, um sich ein Bild von der Debatte zu machen.
Dazu gehört etwa Bettina Köhne vom Arbeitskreis Stadtgrün. Sie bezeichnet sich selbst als Optimistin. Wie nimmt sie die Innenstadt wahr? Sie sei immer mit dem Fahrrad unterwegs erzählt sie und wenn sie in die Innenstadt müsse, dann kümmere sie sich um ihre Erledigungen entweder morgens oder abends, um an heißen Tagen der sengenden Hitze aus dem Weg gehen zu können. Schattenplätze gibt es nämlich zur Mittagszeit in der Innenstadt nur dort, wo die Häuserfassaden ausreichend Schatten werfen. Bettina Köhne ist selbst Bürgerin der Stadt Freising und engagiert sich in ihrer Freizeit im Arbeitskreis Stadtgrün, der in der Gegend bereits mit ein paar Begrünungsprojekten auf sich aufmerksam machen konnte.
Im Umbau der Freisinger Innenstadt sieht sie eine verpasste Chance: „Es ist wie in der Erzählung, in der ein wunderschönes Rathaus gebaut wird und am Ende bemerkt wird, dass die Fenster fehlen.“ Besonders bei der Zahl der Bäume findet Köhne, dass dieses Thema nicht mit dem nötigen Nachdruck behandelt worden sei. Bereits 2021 zeigten Mitglieder des Arbeitskreises in einem kleinen Stadtrundgang der SZ, wo sie Schwachpunkte und wo Potenzial für eine grünere Stadt sehen, sie möchten sich einbringen. Vor allem der Marienplatz und die Hauptstraße waren den Mitgliedern dabei ein Dorn im Auge. Weshalb wurde ein so wichtiger Punkt in einer modernen Innenstadtsanierung womöglich nicht mitgedacht?
Thema sei die Begrünung der Innenstadt sehr wohl gewesen, so formuliert es Michael Schulze vom Freisinger Amt für Stadtplanung und Umbau. Während der vergangenen Jahre war er verantwortlich für die Koordination des Innenstadtumbaus. Die Verpflanzung der bereits vorhandenen Bäume soll dabei ein größeres Problem gewesen sein: „Es handelt sich hier um eine historische Innenstadt mit einer Straße, die bestimmte Anforderungen erfüllen muss“, schildert Schulze. Unter der Erde befänden sich viele Rohre und Leitungen aller Art, die es laut Schulze dem Wurzelwerk von Bäumen unmöglich mache, ausreichend zu wachsen.
Ebenso stehe das Grundwasser hoch, was den Bäumen ebenfalls nicht guttue. Um eine einheitliche Lösung zu finden, legte die Stadt fest, dass ein Baum eine Fläche von mindestens fünf mal fünf Quadratmetern haben muss, damit er gepflanzt werden darf. In der Innenstadt gab es bis zu diesem Zeitpunkt allerdings schon einige Bäume, die eine geringere Fläche als Freiraum zur Verfügung hatten. Laut Schulze waren diese 30 Jahre alten Bäume darum nicht mehr in der Lage gewesen, weiterzuwachsen. Während der Sanierung wurden sie also gefällt.
Dabei bräuchte es mehr Bäume in Innenstädten, wie Professor Stephan Pauleit erzählt. Er ist Professor am Lehrstuhl für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung an der TUM, dessen Sitz in Freising ist. Er ist der festen Überzeugung, dass sich Städte verändern müssen, um mit dem Klimawandel zurechtzukommen. Bereits jetzt gebe es Probleme durch den Klimawandel. Statistiken zeigen laut Pauleit etwa, dass es in Innenstädten wärmer als im Umland ist.
Die Mehrheit der Probleme sei dabei hausgemacht. Durch versiegelte Innenstädte etwa steige der Hochwasserspiegel, weil das Wasser nirgends abfließen könne. Grünflächen könnten die Hitze nicht speichern, weil es zu wenige davon gebe und in aktuellen Untersuchungen zeige sich bereits, dass Menschen immer mehr unter Hitzewellen leiden und die Mortalitätsraten dadurch steigen würden. Bis zum Jahr 2100 würden sich diese Bedingungen weiter verschärfen, so Pauleit: „Unsere Städte müssen reagieren, um lebenswert zu bleiben.“
Dicht bebaute Flächen müssen Wasser ableiten können
Damit Städte besser gewappnet sind, müssen vielfältige Maßnahmen ergriffen werden. Da ist sich Stephan Pauleit sicher. Beispielsweise müssten dicht bebaute Flächen in ihrer Grundform verändert werden, darüber hinaus sei eine verbesserte Rückhaltefähigkeit von Wasser notwendig, um Überschwemmungen nach Starkregen vorzubeugen. Seiner Meinung nach müsste aber auch mehr Grün in die Stadt gebracht werden. Erkenntnisse zeigen etwa, dass die Maxvorstadt in München ihren Baumanteil von zehn auf 25 Prozent erhöhen müsste, um gegen die Hitze anzukommen. Es brauche Grün, das kühlen könne, so Pauleit. Und wie sieht es mit Freising aus?
Vor nicht allzu langer Zeit veröffentlichte die Stadt Freising das hauseigene Klimaanpassungskonzept „Klaps50“, in dem verschiedene Maßnahmen und Strategien aufgelistet sind, um sich an den Klimawandel anpassen zu können. Eine gute Anpassung an die realen Herausforderungen des Klimawandels, wie Pauleit findet. Dennoch: Auch in Freising müsse in zukünftigen Stadterweiterungsprojekten das Grüne mitgedacht werden. Wichtig sei es, dass nicht nur die Stadt, sondern auch Privatpersonen bei der Umsetzung dieses Vorhabens mithelfen. Auch örtliche Institutionen wie etwa die Kirche oder die Universität hätten eine große Verantwortung, sagt Pauleit. Dies sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und dafür müsse miteinander kommuniziert werden.
Bettina Köhne vom AK Stadtgrün zeigt sich frustriert, wenn es um den Kontakt zur Stadt geht: „Es gibt hier in dieser Stadt so viele Akteure, Betroffene und Experten zu diesem Thema. Würden sich all diese Betroffenen bei der Stadt Gehör verschaffen können, dann würde hier in Freising etwas mit Modellcharakter entstehen. Das wäre beispielhaft für viele weitere Projekte, um zu beweisen, dass eine Zusammenarbeit funktioniert.“ Laut dem Arbeitskreis gibt es nämlich keinen Raum für den Austausch zwischen Stadt und Betroffenen der Innenstadt. Michael Schulze von der Stadt betont, dass sie stets bemüht seien, in den Dialog zu treten, wenn jemand auf sie zukommt. So seien beispielsweise bis zu 30 holzverkleidete Pflanzenkübel aufgestellt worden, die flexibel umgestellt werden können.
Ferner sollen demnächst zehn Bäume am Marienplatz gepflanzt werden. Diese Umsetzungen werden von der Stadt bereits als Zeichen der Rücksichtnahme auf die eingegangenen Anregungen verstanden. Im Vorentwurf für die Innenstadtsanierung von 2015 seien laut Schulze noch gar keine Bäume im Sanierungsbereich vorgesehen gewesen. Im gesamten umgebauten Bereich sind nun 30 Baumpflanzungen geplant. Weitere Grünelemente sollen am Bayerischen Hof entstehen.
Nach Angaben von Michael Schulze sind offene Beete in der Stadt nicht so einfach anzulegen. Für Wochenmärkte, Konzerte und Demonstrationen müsse die Fläche am Marienplatz frei und flexibel verfügbar bleiben, so sei die Idee der mobilen Pflanzenkübel entstanden. In „funktionalen Bereichen“ könnten auch an anderen Stellen keine Bäume gepflanzt werden, da es sich hier beispielsweise um Feuerwehr-Einfahrten oder Bushaltestellen handele.
Schön sei die neue Innenstadt ja allemal, vor allem von der Bevölkerung werde sie angenommen, so Bettina Köhne. Wenn es dann aber wärmer werde, dann gebe es keine Rückzugsmöglichkeiten, außer im eigenen Hinterhof oder Privaträumen. Während viele der Sommerglut im nächstgelegenen Park oder anderem Stadtteil entfliehen könnten, seien ältere Personen und Kinder an die versiegelte Innenstadt gebunden. „Hier ist einfach zu wenig mitgedacht worden“, findet Köhne.
„Eventuell hätte die Priorisierung anders sein sollen“
Auch Professor Stephan Pauleit findet, dass hier etwas geschaffen wurde, was die klimatische Situation in der Innenstadt nicht verbessert: „Was die Gründe dafür sind, ist eine andere Frage. Aber durch die hohe Versiegelung können Hitzewellen nicht abgefangen werden.“ Er sieht die neue Innenstadt nicht als zukunftsweisend gestaltet, um dem Klimawandel trotzen zu können. „Eventuell hätte die Priorisierung anders sein sollen“, sagte er. Es sei jetzt wichtig zu lernen, was da passiert sei und was man beim nächsten Mal besser machen könne.
Genau das versucht nun die Stadt Freising. Vieles im Sanierungsbereich der Innenstadt sei zwar als Ensemble denkmalgeschützt, allerdings gebe es über das „Kommunale Förderprogramm“ die Möglichkeit für Anwohner und Eigentümer, die Begrünung der privaten Fläche teilweise bezahlt zu bekommen. Förderberechtigt sind jene Privateigentümer, deren Gebäude im Sanierungsraum stehen.
Wenn also alle mit anpacken, dann ließe sich vielleicht etwas in der Innenstadt ändern, ohne wieder 30 Jahre bis zur nächsten Sanierung warten zu müssen. Bettina Köhne zeigt sich mal wieder optimistisch: „Ich denke an eine Utopie der Schwammstadt Freising als Vorzeigemodell, an der die ganzen vielen klugen Köpfe Freisings zusammengearbeitet haben.“
Der erste Praktikumstag bei der SZ in Freising, er ist auch der erste Tag in der Stadt. Nach der Konferenz am Morgen und dem ersten Briefing möchte man sich die Innenstadt anschauen, um sich mit dem Ort vertraut zu machen, an dem man die nächsten zwei Monate fast täglich zu tun haben wird.
Weit ist es nicht: Kurz über die Johannisstraße und schon darf man die sanierte Innenstadt in ihrem neuen Glanz betrachten. Das Wetter: 33 Grad, keine einzige Wolke am Himmel. Die Uhrzeit: 13 Uhr. Vom „neuen Glanz“ wird man definitiv geblendet. Die hellgrauen Pflastersteine sorgen dafür, dass man halb-blind in die nächste Seitenstraße flieht, um vom Schatten der Häuserfassaden geschützt zu werden. Es ist heiß, richtig heiß, die zugepflasterte Innenstadt macht es einem nicht leicht. Der hohe Grad an Versiegelung ist für den Fremden irritierend, zumal alles neu aussieht.
Auf dem weiteren Weg blicken einem noch einzelne Öffnungen der Moosach entgegen, warum ist hier kein ganzes Flussbett? Am Ende der Pause geht es zurück in die Redaktion und im Gespräch mit einer Kollegin kommt die Frage auf, wie es die anderen hier in der Stadt bei so einem Wetter aushalten. Man erfährt, dass die Freisinger alle sehr stolz auf ihre „neue“ Innenstadt seien. Dennoch, das Grün fehlt und eben der Schatten. Gibt es wirklich niemanden, der irritiert ist?
Dieser Text stellt einen Blick von Außen auf die Innenstadt dar. Was denken Sie über die Versiegelung der neuen Freisinger Innenstadt? Schreiben Sie es uns gerne unter freising-erding@sz.de.
In einer früheren Version des Textes wurde Professor Stephan Pauleit mit diesem Satz zitiert: „Darüber hinaus sei eine verbesserte Rückhaltefähigkeit von Wasser notwendig, um Hochwasserkatastrophen vorzubeugen“. Der Begriff Hochwasserkastrophen wurde durch die Formulierung „Überschwemmungen nach Starkregen“ ersetzt und präzisiert.