Süddeutsche Zeitung

Finanzkrise in Freising:Es führt kein Weg raus aus dem Dilemma

In einer fast fünfstündigen Haushaltssitzung formulieren die Stadträte ihre Sorgen und Bedenken angesichts der überbordenden Ausgaben und der Schuldenlast. Zwischenzeitlich steht sogar der gesamte Etat auf der Kippe und es wird über den Schrägaufzug der Erzdiözese gestritten. Einsparungen gibt es am Ende aber nicht - im Gegenteil.

Von Kerstin Vogel, Freising

Das Dilemma, in dem die Freisinger Stadträte stecken, offenbarte sich am Donnerstag zu sehr später Stunde in seinem vollen Umfang. Die CSU schaffte dabei am Ende einer fast fünfstündigen Sitzung sogar den seltsamen Spagat, zuerst den Etat wegen der enormen Schieflage im Verwaltungshaushalt abzulehnen, um dann wenig später erneuten Ausgaben von jährlich 120.000 Euro in genau diesem Verwaltungshaushalt zuzustimmen. Zuvor hätten die Grünen fast den gesamten Haushalt zu Fall gebracht, weil sie zunächst gegen den dafür zwingend erforderlichen Stellenplan stimmten. Hätten sie drauf beharrt, hätte man drastisch gesprochen den Laden quasi zusperren können.

Im Verwaltungshaushalt steckt ein "strukturelles Problem"

Nach langen, fetten Jahren mit schier ungehindert sprudelnden Einkommens- und Gewerbesteuereinnahmen treffen die Krisen der Zeitenwende Freising derzeit mit einiger Wucht. Schwindenden Einnahmen stehen explodierende Kosten gegenüber. Die begonnenen Großprojekte - Umbau der Innenstadt, Renovierung des Asamgebäudes, Verbreiterung der Hochtrasse, Erweiterung der Vöttinger Schule - binden enorme Summen, gestoppt werden können sie nicht. Dafür steigen mit den Energiepreisen auch die Baukosten, wegen Corona oder des Krieges in der Ukraine unterbrochene Lieferketten tun ein übriges. Handlungsspielräume hat die Stadt in ihrem mehr als 110 Millionen Euro schweren Vermögenshaushalt quasi nicht, allerdings zahlen die Kredite, die hier aufgenommen werden, zumindest auf die Zukunft ein, denn die Stadt schafft bleibende Werte.

Doch es sind nicht nur die Investitionen, die das enorme Loch in die städtischen Finanzen gerissen haben. Von den 60 Millionen Euro, die für 2023 als Kreditaufnahme geplant sind, müssen alleine 20 Millionen verwendet werden, um den Verwaltungshaushalt auszugleichen. Der hat ein Volumen von nicht ganz 145 Millionen Euro - und ein "strukturelles Problem", wie quer durch die Fraktionen erkannt wurde: Die Einnahmen, aktuell vor allem aus der Gewerbesteuer, aber auch aus Beiträgen und Gebühren der Bürger, sind zu gering, die laufenden Ausgaben zu hoch - und hier sind es neben der Kreisumlage, die fast 39 Millionen verschlingt, vor allem die Personalkosten, die aus dem Ruder gelaufen scheinen. Auf mehr als 43 Millionen Euro beläuft sich dieser Posten.

Alle wollen sparen, aber keiner weiß, wie

Das Dilemma, das sich in den Haushaltsdebatten herauskristallisiert hat: Alle wollen sparen, aber keiner weiß, wie. Bei den Investitionen ist nichts zu machen, auf die Kreisumlage hat man keinen Einfluss, als Stellschrauben bleiben also nur Maßnahmen wie die Streichung freiwilliger Leistungen oder die Erhöhung von Steuern, Gebühren und Beiträgen - alles gleichermaßen unpopulär oder zum derzeitigen Zeitpunkt unklug. Eine Gewerbesteueranhebung wurde abgelehnt, weil man genau jetzt die Betriebe nicht zusätzlich belasten möchte. Die Freisinger Mitte wirbt stattdessen für die Ausweisung neuer Gewerbeflächen - einen schnellen Ausweg bietet aber auch das nicht, abgesehen davon zieht Wachstum Folgelasten nach sich, wie die Grünen nicht müde werden zu betonen.

Also doch das Personal? Zwei Änderungsanträge hatte Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher zum Stellenplan vorliegen. Da war der bereits im Finanzausschuss debattierte Wunsch der Grünen, die drei für den Bau der Event Arena Muccc vorgesehenen Stellen zu streichen. Zwar sollen diese über einen städtebaulichen Vertrag vom Investor bezahlt werden, weshalb sie den Etat eigentlich nicht belasten. Den Grünen aber war der bisherige Entwurf dieses Vertrages zu vage, unter anderem mit Blick auf die Bürgschaft und den Zeitpunkt der Zahlungen - und ehrlicherweise können sie dem Projekt ja auch generell nichts abgewinnen.

Das Gremium soll "mehr Erding wagen"

Neu präsentiert hatte zudem die CSU einen Änderungsantrag, nach dem auf die Schaffung neuer Stellen verzichtet werden sollte, mit Ausnahme derjenigen für Auszubildende und - die CSU befürwortet die Event Arena - der drei Stellen für das Muccc. Feuer und Flamme war Jens Barschdorf (FDP), der erklärte, in der jetzigen Situation 16 neue Stellen zu schaffen nicht mit seinem Gewissen vereinbaren zu können. Martin Hauner (CSU) rief die Kollegen mit Blick auf die deutlich niedrigeren Personalausgaben in der Nachbarstadt gar auf "mehr Erding zu wagen", trotzdem fiel der Antrag der CSU mit nur sieben Stimmen durch.

Etwas knapper scheiterte mit 15 zu 24 der Antrag der Grünen, die deshalb dann mit der CSU und einigen anderen den gesamten Stellenplan ablehnten - zumindest vorübergehend. Denn als ein sichtlich verschnupfter Oberbürgermeister darauf hinwies, dass man ohne einen Stellenplan nicht über den Haushalt abstimmen könne und an das Demokratieverständnis des Gremiums appellierte, entschieden sich zumindest die Grünen nach einer kurzen Beratung, dem Stellenplan zuzustimmen "unter dem Vorbehalt, dass die offenen Fragen in dem städtebaulichen Vertrag noch geklärt würden".

In den teilweise mehr als ausführlichen Haushaltsreden der Fraktionen wurde dann noch einmal allseits der unbedingte Sparwille für die Zukunft kundgetan, jeder einzelne Posten müsse überprüft werden, hieß es. Für die CSU erklärte Rudi Schwaiger einmal mehr, dass er den Haushalt nicht für genehmigungsfähig halte, kritisierte, dass ihm der Einsparwille fehle und man "maßlos über die Verhältnisse gelebt" habe. Am Ende wurde der Haushalt mit der bereits vorberatenen 80-prozentigen Haushaltssperre mit 33 Stimmen angenommen. Dagegen stimmten die sechs Stadträte von CSU, FDP und AfD.

Der Schrägaufzug der Erzdiözese liefert Anschauungsmaterial

Der lange, schwierige Abend im Sitzungssaal aber war damit noch nicht zu Ende. Es folgte sozusagen eine neuerliche Manifestation des Freisinger Dilemmas, ausgelöst ausgerechnet von einem Wunsch der Erzdiözese München und Freising. Die möchte bekanntlich einen schrägen Aufzug auf den Domberg bauen, um diesen barrierefrei zu erschließen und während öffentlich bislang lediglich die Planung vorgestellt worden war, wurde hinter verschlossenen Türen offenbar schon über Geld geredet. Denn die Erzdiözese würde zwar den Aufzug bauen - nach eigenen Angaben für stolze 5,8 Millionen Euro.

Die laufenden Kosten für den Betrieb aber sollte die Stadt übernehmen, laut Erzdiözese 120.000 Euro im Jahr. Der Finanzausschuss hatte das in nicht-öffentlicher Sitzung zunächst mit 5:7 Stimmen abgelehnt, die unterlegenen Stadträte hatten die Frage aber für den Stadtrat reklamiert. Die Grünen setzten dort dann eine öffentliche Beratung durch und lieferten damit wunderbares Anschauungsmaterial, warum das eben so schwierig ist mit dem Sparen in der Domstadt.

Denn natürlich ist das Projekt großartig, prestigeträchtig gar, da gab es keine zwei Meinungen. Entsprechend warb Eschenbacher für die Kooperationsvereinbarung mit der Erzdiözese: Die Stadt bekäme hier eine attraktive Erschließung des Dombergs quasi geschenkt, die Fernwärmeanbindung könnte in einem Aufwasch mit vergraben werden. Sogar dem Ziel, die Autos vom Domberg zu verbannen, komme man so näher. Dass die Stadt dann die laufenden Kosten trägt, ist für Eschenbacher da nur logisch. Die Grünen dagegen fühlten sich von dieser plötzlichen Forderung "überfahren" , wie Sebastian Habermeyer sagte: Wenn die Kirche den Aufzug bauen wolle, könne sie das gerne tun, wirklich barrierefrei werde der Domberg dadurch nicht. Eine finanzielle Beteiligung der Stadt passe angesichts der Haushaltslage einfach nicht in die Zeit.

Eine sechsstellige Summe pro Jahr erhöhe den Druck auf den Verwaltungshaushalt, stellte auch Peter Warlimont fest und fragte in die Runde: "Das ist die erste Nagelprobe. Wollen wir wirklich sparen oder lassen wir uns wieder von der Begeisterung mitreißen." Die Antwort: Gegen die Stimmen von SPD, Linken, Grünen und der FDP sprachen sich 24 Stadträte für die gewünschte Kooperation aus.

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