Kommentar:Dringend reformbedürftig

Das Konzept des "Girls'-Day" braucht eine Generalüberholung. Statt Genderklischees aufzubrechen, festigt der Tag den Gedanken, dass junge Frauen erst für Naturwissenschaft begeistert werden müssen. Undenkbar, dass das bereits der Fall ist.

Von Charline Schreiber, Freising

In der letzten Folge der bekannten US-Sitcom "The Big Bang Theory", in der es um nerdige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geht, sagt die Figur Amy Farrah Fowler in ihrer Rede zum Nobelpreisgewinn: "Ich würde gerne diesen Moment nutzen und allen jungen Mädchen da draußen zurufen, die davon träumen einen naturwissenschaftlichen Beruf zu ergreifen: Traut euch nur! Es ist der schönste Beruf auf der ganzen Welt." Die Serie erzählt natürlich von fiktiven Charakteren in einer fiktiven Welt aus Hollywood. Der Girls'-Day, der seit 2001 junge Frauen dazu motivieren soll, einen naturwissenschaftlichen Beruf zu ergreifen, versucht aber genau das zu sagen: "Traut euch nur!"

Denn der Matilda-Effekt, die systematische Verdrängung des Beitrags von Frauen in der Wissenschaft, geht auch an der jüngsten Generation nicht vorbei. Anstatt aber Genderklischees aufzubrechen, festigt der Girls'-Day diese eher. Das fängt schon mit dem Wort "Girls" an. Der Tag suggeriert, dass junge Frauen nur durch den Girls'-Day die Möglichkeit haben, die große, unbekannte Welt der Naturwissenschaft für sich zu entdecken, die den Männern vorbehalten ist. Dass das aber längst nicht mehr der Fall ist, wird dadurch verdrängt.

Zehn Jahre nach dem ersten Girls' Day, wurde das Pendant für Jungen eingeführt. Der Boys'-Day. Die Jungen sollen hier einen Einblick in soziale Berufe erhalten, die noch immer vorwiegend von Frauen ausgeführt werden. Die fehlende Wertschätzung dieser Berufe, auch durch schlechte Bezahlung, wird Jungen aber kaum dazu verleiten, eben diese Berufe ausführen zu wollen.

In der Schule wäre genügend Zeit, um Mädchen an Mint-Berufe heranzuführen

Dass geglaubt wird, dass es einen bundesweiten Tag braucht, um junge Mädchen und Frauen an naturwissenschaftliche Berufe heranzuführen, zeigt auch, dass Schulen ihren Pflichten hier nicht nachkommen. An fünf Tagen der Woche gehen Kinder und Teenagerinnen zur Schule. Abzüglich der Schulferien sind das etwa 190 Schultage, an denen Schülerinnen schon im Grundschulalter an die sogenannten Mint-Berufe herangeführt werden könnten. 190 Schultage, an denen Schülerinnen von Lehrkräften vermittelt werden kann, dass sie dort genauso richtig sind wie ihre männlichen Klassenkameraden.

Seit Oktober vergangenen Jahres hat die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim ihre eigene Wissenschaftssendung. Mit jeder Sendung beweist sie: Frauen interessieren sich für Wissenschaft. Und sie wirkt dem Klischee entgegen, dass es in den Medien keine Wissenschafts-Expertinnen gibt. Sie alleine wird das Laster mangelnder Vorbilder aber nicht stemmen können. Damit Mädchen nicht mit dem Eindruck aufwachsen, die Welt der Wissenschaft gehört den Männern, braucht es mehrere Frauen wie Nguyen-Kim.

Darüber zu sprechen, ist wichtig. Der Gesellschaft muss der bittere Geschmack von Ungleichberechtigung in geschlechterspezifischen Berufen immer wieder auf die Zunge gelegt werden. Ob es dafür einen "Girls'-Day" braucht, darüber lässt sich streiten, ob man ihn so nennen muss, darüber noch mehr. Dennoch regt er jedes Jahr aufs Neue die Diskussion an, dass es für Mädchen und junge Frauen weiterhin zu wenig Vorbilder in naturwissenschaftlichen Berufen gibt, dass wir trotz Frauenförderprogramme in einer patriarchal geprägten Gesellschaft leben und die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen klafft. Und ja, das schmeckt bitter.

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