Traditionelle Wirtshäuser:Ein gelungener Spagat

Traditionelle Wirtshäuser: Seit dem Jahr 1919 gibt es den Gasthof Lerner im Freisinger Stadtteil Vötting. Erst gehörte noch eine Landwirtschaft zum Betrieb, von 1973 dann ein Hotel.

Seit dem Jahr 1919 gibt es den Gasthof Lerner im Freisinger Stadtteil Vötting. Erst gehörte noch eine Landwirtschaft zum Betrieb, von 1973 dann ein Hotel.

(Foto: Marco Einfeldt)

Seit 101 Jahren gibt es im Freisinger Stadtteil Vötting den "Gasthof Lerner", geführt in der vierten Generation. Die "Schneemaß", ein gefährliches Gemisch aus Zitronenlimonade, Schnaps und Vanilleeis wurde wegmodernisiert, auf Tradition wird aber weiter Wert gelegt.

Von Nadja Tausche, Freising

Man kann es durchaus einen Spagat nennen. Die Frau und die vier Männer am Stammtisch trinken Weißbier, auf dem Tisch liegen Spielkarten und eine Schachtel Zigaretten. Traditionell bayerisch eben, genau wie die Speisekarte des Gasthofs Lerner: Schnitzel steht da drauf, Wurstsalat oder Presssack "sauer" mit Zwiebeln und Brot. Hinter der Theke findet man aber auch einen dieser Kaffeevollautomaten, die per Touchscreen bedient werden, im Nebenraum hängen schicke weiße Kugellampen in verschiedenen Größen von der Decke. Brigitte Killermann, Martina Killermann: Wie schwer fällt er denn, der Spagat zwischen Tradition und Moderne?

"Gar nicht schwer", sagt Martina Killermann, 41. Man passe sich eben an, müsse mit der Zeit gehen - wichtig sei nur, dass es gemütlich bleibe. Vor zwei Jahren haben sie und ihr Bruder Johannes, 38, die Leitung des Gasthofs und Hotels Lerner in Freising übernommen, sie führen den Betrieb in vierter Generation. Oder - es war doch 2018?, fragt Martina Killermann ihre Mutter Brigitte, 69. Genau weiß sie es nicht, denn geändert habe sich sowieso nichts, sagt Martina, außer dem Namen auf dem Papier, auf dem zuvor Brigitte als Chefin vermerkt war. Nach wie vor hilft beim Lerner die ganze Familie zusammen. Er kümmert sich um das Hotel, 27 Zimmer, fünf Mitarbeiter, sie sich um das Restaurant und die 15 Menschen, die dort arbeiten. Klappt diese Aufteilung? Ja, sagt Martina - "auch wenn es schon anders ist, als wenn Fremde zusammenarbeiten." Bei Problemen setze man sich zusammen - "und dann ratschen wir."

Bei Corona ist die Familie mit einem blauen Auge davongekommen

Ratschen, das musste man kürzlich viel, als nämlich Corona um die Ecke kam und die Familie überlegt hat, was sie machen soll. "Es hat sich alles total verändert", sagt Mutter Brigitte Killermann. Die Köche habe man in Kurzarbeit schicken und zwischenzeitlich schon um 15 Uhr schließen müssen. Damit sich der Betrieb lohnt, habe man sich schnell dazu entschlossen, Speisen zum Mitnehmen anzubieten. Das aber, erzählt Brigitte Killermann, sei innerhalb von wenigen Tagen richtig schlimm geworden. "Du musst sagen, es wurde sehr gut angenommen", korrigiert Martina Killermann. "Man hat gemerkt, dass die Leute uns unterstützen wollten." Einbußen hatten die Killermanns durchaus, und im Hotel musste der Umbau des neuen Frühstücksraums erst einmal pausieren - "aber wir sind mit einem blauen Auge davongekommen", sagt Martina.

Der Gasthof Lerner im Freisinger Stadtteil Vötting war von Anfang an in der Hand der Familie. Die Killermanns heißen nicht Lerner, weil mal jemand im Stammbaum nach der Hochzeit seinen Namen geändert hat - den Gasthof habe man aber nicht umbenennen wollen, erklären Mutter und Tochter, der Name sei schließlich ein Begriff in Freising. Welche Bedeutung der Gasthof für die Stadt habe? "Freising kann auch ohne Lerner", sagt Martina. "Aber es wäre halt nicht so schön." Der Betrieb liegt neben dem Wissenschaftszentrum der TUM und der Hochschule Weihenstephan, zu den Gästen gehören viele Unterrichtende und Familien von Studenten - aber auch Touristen und Besucher von Messen. Gegründet wurde der Lerner vor 101 Jahren. Zu behaupten, dass die Familie in Sachen Essens- und Getränkeangebot damals ein kleines Imperium in Freising inne hatte, dürfte kaum übertrieben sein. Mit dabei, Martina Killermann liest es aus einem handgeschriebenen Büchlein vor: Eine Limonadenfabrik, eine Malzfabrik, Lagerhallen, die Brauerei Hacklbräu - und schließlich der Gasthof Lerner. Den haben zu Beginn die Großmutter von Brigitte Killermann und deren Mann geführt. Wegen der familiären Beziehungen zur Brauerei habe man eigentlich Hacklbräubier verkaufen wollen, erzählt Brigitte, durfte man aber nicht: Auf dem Gelände des Lerner stand früher die Klosterschenke von Weihenstephan, deshalb musste man Weihenstephaner Bier ausschenken.

Ausflugstipps

Wenige Gehminuten vom Gasthof Lerner entfernt liegen die Weihenstephaner Gärten. Sie gehören zur Hochschule und sind im Sommer zwischen 9 und 18 Uhr für Besucher frei zugänglich. Im Staudengarten locken bunte Staudenpflanzen, wer sich für Arznei- und Heilpflanzen interessiert, dürfte den Apothekergarten interessant finden. Für eine Shoppingtour durch die eigentlich wunderschöne Freisinger Innenstadt ist derzeit eher nicht der richtige Moment: Wegen des Umbaus inklusive der Moosachöffnung ist die Altstadt quasi eine einzige große Baustelle. Betroffen ist auch der bei Touristen beliebte Domberg. Dafür locken in der Region zahlreiche Seen, was bei dem Wetter sowieso mehr Spaß machen dürfte: Mit dabei sind in Freising der Vöttinger und der Pullinger Weiher, und, etwas weiter weg, der Kranzberger See sowie die Neufahrner Mühlseen. Nadja Tausche

In den Anfangszeiten gehörte zum Gasthof auch Landwirtschaft. Ihr Vater, der den Betrieb schließlich übernommen hat, sei überall beliebt gewesen, erzählt Brigitte, habe immer allen einen Gefallen getan. Als er mit nur 50 Jahren starb, musste die Familie alle Tiere verkaufen. Brigitte Killermann zeigt ein Foto der Auktion, im heutigen Biergarten stehen die Kühe ordentlich in einer Reihe. Brigitte Killermanns Mutter eröffnete im Jahr 1973 schließlich das Hotel - allerdings erst nach dem, was Brigitte ein "Drama hoch fünf" nennt.

Die Westtangente war damals schon ein Thema

Denn die Zufahrt zur Westtangente - die Umfahrungsstraße, die sich derzeit im Bau befindet - sollte nach der damaligen Planung mitten durch das Grundstück beim Lerner laufen. Ende der 60er Jahre war das. "Es hat geheißen, wenn ihr das Grundstück nicht nutzt, werdet ihr enteignet", erzählt Brigitte. Eine Baugenehmigung für das Hotel auf dem Gelände habe man auch nicht bekommen. Irgendwann habe man sich mit der Stadt geeinigt - heute verläuft die Zufahrt an anderer Stelle.

Traditionelle Wirtshäuser: In einer Kiste bewahren die Killermanns allerlei handgeschriebene Bücher, Fotos und Postkarten auf, in denen die Familiengeschichte festgehalten ist.

In einer Kiste bewahren die Killermanns allerlei handgeschriebene Bücher, Fotos und Postkarten auf, in denen die Familiengeschichte festgehalten ist.

(Foto: Marco Einfeldt)

Insgesamt, da sind sich Martina und Brigitte Killermann einig, ist es über die Jahre ruhiger geworden im Lerner. Unter Brigitte Killermann wurden der Freitag und der Samstag als Ruhetage eingeführt: So habe man mehr mit den Kindern unternehmen können, erklärt sie. Früher sei es wilder zugegangen: Während des Flughafenbaus etwa habe man für die Monteure ein eigenes Stockwerk im Hotel freigehalten, erzählt Martina Killermann, "die haben ganz schön Party gemacht". Und die Stammgäste seien schon mittags für das erste Bier da gewesen, erzählen die beiden, seien dann heimgegangen und abends wieder gekommen, um bis in die Nacht zu trinken. Jeden Tag. Und dann gab es noch die Schneemaß: Zitronenlimonade mit Schnaps, in einem Maßkrug mit Vanilleeis vermischt. "Die Handballerinnen haben das ganz schön weggesoffen", sagt Martina.

Heute gibt es im Lerner neben Bier - immer noch Weihenstephaner übrigens, mittlerweile aber freiwillig - auch Aperol Spritz und Gin Tonic. Die Schneemaß ist von der Karte verschwunden. Das mit dem Spagat - es scheint nicht nur bei der Einrichtung ganz gut zu funktionieren.

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