Häusliche GewaltDie Hölle daheim

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Deutschlandweit stieg 2023 die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt im Vergleich zum Vorjahr um 6,5 Prozent an.
Deutschlandweit stieg 2023 die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt im Vergleich zum Vorjahr um 6,5 Prozent an. (Foto: Jonas Walzberg/dpa)

Immer mehr Frauen werden deutschlandweit zu Opfern häuslicher Gewalt. Im Freisinger Frauenhaus stiegen 2023 die Anfragen deutlich, 196 Betroffene mussten abgewiesen werden.

Von Gudrun Regelein, Freising

256 276 Menschen wurden 2023 in Deutschland Opfer häuslicher Gewalt, 70 Prozent davon waren Frauen. Dies bedeutet im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg um 6,5 Prozent. Die Zahlen des „Bundeslagebild zur häuslichen Gewalt 2023“ die kürzlich bei einer Pressekonferenz vorgestellt wurden, haben sie in unruhigen Zeiten mit vielen Krisen zwar nicht überrascht, sagt Christina Mayer, Leiterin von HilDa, der Fachberatungsstelle bei häuslicher und sexualisierter Gewalt der Diakonie Freising. „Aber ich finde sie erschütternd – auch vor dem Hintergrund, dass die Dunkelziffer gerade bei psychischer und sexualisierter Gewalt sicher eine sehr hohe ist.“

HilDa hat im vergangenen Jahr 135 neue Klientinnen unterstützt, insgesamt wurden 184 Betroffene beraten. Das sei im Vergleich zu 2022 zwar kein eklatanter Anstieg, aber das hat einen Grund: „Wir waren 2023 noch nicht voll besetzt, uns fehlte eine Kollegin.“ Häusliche Gewalt könne jede Frau treffen, unabhängig von Bildung, Einkommen, Religionszugehörigkeit oder davon, aus welchem Kulturkreis sie kommt. „Das passiert auch in gut situierten Familien – und die Täter können auch Manager oder Professoren sein“, sagt Mayer. Jede dritte Frau in Deutschland sei einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und beziehungsweise oder sexualisierter Gewalt. „Das kann unsere Nachbarin, Freundin, Schwester oder Arbeitskollegin sein.“ Häusliche Gewalt aber sei nur eine Facette, betont Mayer. So gebe es auch geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen oder Gewalt gegen bestimmte Gruppen – wie queere Personen.

Die sozialen Netzwerke bieten ein perfektes Forum

Psychische Gewalt durch Bedrohung, Stalking oder Nötigung – häufig auch in Kombination mit körperlicher Gewalt – sei in den meisten Fällen der Grund, weshalb sich Betroffene Hilfe bei HilDa suchen, berichtet Christina Mayer. Immer häufiger aber gehe die analoge Gewalt in digitale Gewalt über, die sozialen Netzwerke mit ihrer Schnelllebigkeit böten dafür ein perfektes Forum. Sie sehe diese Entwicklung mit großer Sorge, sagt Mayer.

Diejenigen Frauen, die zu HilDa kommen, haben zumindest den ersten Schritt aus einer gewalttätigen Beziehung geschafft. Unterstützt werden die Betroffenen immer abhängig von ihrer Situation. Sie werden beim Gewaltschutzantrag – der dann zum Beispiel zu einem Kontakt- und Näherungsverbot für den Täter führen kann oder bei der Erstattung einer Anzeige unterstützt. „Bei Nachstellungen oder Stalking bieten wir eine Sicherheits- und Verhaltensberatung“, erklärt Mayer. Wichtig sei, zunächst für eine Stabilisierung des Opfers zu sorgen. In extremen Fällen werde ihnen geraten, Zuflucht in einem Frauenhaus zu suchen.

Lange Wartezeiten auf einen Platz im Frauenhaus

Im Freisinger Frauenhaus der Diakonie Freising finden fünf Frauen mit bis zu zehn Kindern einen Zufluchtsort vor häuslicher Gewalt. Die Plätze sind zumeist belegt, wenn eine Frau ausziehen kann, dauert es nur sehr kurz, bis die nächste wieder einzieht, schildert Frauenhausleiterin Veronika Kimmelmann. Im vergangenen Jahr wohnten dort insgesamt 19 Frauen und elf Kinder. 196 Frauen, die anfragten, mussten aber abgewiesen werden, 2022 waren es noch 110 gewesen.

Ein Grund dafür sei, dass die Frauen oft länger bleiben müssen, als eigentlich vorgesehen, denn: „Der Wohnungsmarkt im Landkreis ist so leer gefegt, dass die Suche nach einer bezahlbaren Wohnung oft extrem lange dauert und die Frauen nicht ausziehen können, selbst wenn sie sich stabilisiert haben“, sagt Kimmelmann. Das bedeute aber auch, dass andere Frauen in Notlagen keinen Platz bekommen.

Aber nicht nur Plätze fehlen, die Wohnsituation im Frauenhaus sei viel zu eng, sich über lange Zeit ein Zimmer mit mehreren Kindern teilen zu müssen, sehr belastend. Manche Frauen resignierten nach einer langen, aber erfolglosen Wohnungssuche und kehrten zu ihrem gewalttätigen Partner zurück. „Sie sehen keinen anderen Ausweg“, sagt Kimmelman. Schon seit langer Zeit wünsche sich die Diakonie deshalb eine Erweiterung. Grünes Licht dafür gab es bereits im Frühjahr 2021 vom Kreisausschuss des Kreistags. Bewilligt wurde damals sogar ein Neubau mit acht Plätzen. „Zehn wären eigentlich wünschenswert“, sagt Kimmelmann.

Nur ein neues Frauenhaus bietet eine wirkliche Lösung

Ein geeignetes Grundstück wurde auch gefunden, nur sprach sich dessen Lage in Freising schnell herum – und der Standort war damit ungeeignet. Als Übergangslösung will die Diakonie nun wieder mit dem „Second Stage“-Projekt, das vom Freistaat gefördert wird, eine Entlastung schaffen. Frauen, die sich stabilisiert haben, sollen in angemieteten Wohnungen übergangsweise leben, bis sie etwas Eigenes gefunden haben. „Unsere Aufgabe dabei ist, die Frauen bei der Wohnungssuche und dem Umzug zu unterstützen“, erklärt Kimmelmann. Zudem werden sie in dieser Phase weiterhin psychosozial betreut. Die Diakonie habe bereits einen Antrag auf Bewilligung der Förderung gestellt.

Aber auch das sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein, sagt Kimmelmann. Eine wirkliche Lösung biete nur ein neues und größeres Frauenhaus. Nach den Empfehlungen der Istanbul-Konvention, die Deutschland unterzeichnet hat, müsste es eigentlich pro 10 000 Einwohner 2,5 Frauenhausplätze für Frauen und Kinder geben, im Landkreis seien es derzeit gerade einer.

Die Diakonie muss zehn Prozent Eigenanteil tragen

Auch das versprochene Gewalthilfegesetz müsste möglichst bald kommen, sagt Kimmelmann. Dieses verspricht einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung, mehr Plätze in Frauenhäusern, mehr Hilfsangebote und ein verpflichtendes Anti-Gewalttraining für potenzielle Täter. Kimmelmann erhofft sich dadurch eine kostendeckende Finanzierung des gesamten Hilfesystems, derzeit sei man stark unterfinanziert. Die Betriebsausgaben zumindest werden nicht kostendeckend refinanziert. Gut zehn Prozent beträgt der Eigenanteil des Trägers, also der Diakonie.

Eigentlich würde die Diakonie den Opfern häuslicher Gewalt im Landkreis aber nicht nur die Fachberatungsstelle, das Frauenhaus und das Second-Stage-Projekt bieten, sondern zukünftig auch wieder eine Interventionsstelle.

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