„Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist faul. Sie wird niemals so sein, wie die Jugend vorher.“ Die Diskussion um den Auszubildenden-Mangel im Handwerk ist aufgeheizt. Vorangegangenes Zitat reiht sich da passend in die Vorurteile ein, die so manch einer gegenüber der Jugend hegt. Das Zitat ist indes nicht tagesaktuell, sondern stammt von einer babylonischen Tontafel und entstand etwa 1000 vor Christus. Kritik an der „faulen Jugend“ ist also nichts Neues. Aber wie sehen es die Betroffenen in der Region?
Bis zum offiziellen Ausbildungsstart im September sind es nur noch wenige Wochen, Schulabgänger ohne festen Platz müssen sich aber wenig Sorgen machen. Laut der Arbeitsagentur in Freising kämen rein rechnerisch auf einen unversorgten Bewerber mehr als drei unbesetzte Lehrstellen im Landkreis. Das gilt aber nicht für jede Branche.
Laut einer Pressemitteilung der IHK konnte in Oberbayern ein Plus bei abgeschlossenen Ausbildungsverträgen von 3,5 Prozent verzeichnet werden. Auch wenn die konkreten Zahlen bei der Kreishandwerkerschaft Freising erst im September verfügbar sind, so zeichnet sich laut Freisings Kreishandwerksmeister Martin Reiter bereits ab, dass die Zahlen der vergangenen zwei bis drei Jahre gehalten werden können. Besonders die Heizungsbaubranche vor Ort sei sehr gestärkt, andere Bereiche wie das Bausegment blieben ebenfalls stabil.
Bei den Ausbildungsberufen Maurer, Bäcker und Metzger herrsche aber eine große Not, so der stellvertretende Erdinger Kreishandwerksmeister Georg Lippacher. Von dem Vorwurf, dass der Grund für den Azubi-Mangel die Faulheit der Jugendlichen sei, halten die beiden Kreishandwerksmeister allerdings nichts. Martin Reiter drückt es so aus: Es sei wie in der Schule damals. Wenn zwei in der Klasse laut und faul seien, dann sei das für alle in der Klasse nicht gut, man könne aber daraus nicht auf alle schließen. „Ich bin zufrieden – das war früher genauso. Das Vorurteil möchte und kann ich nicht bestätigen“, so Reiter. Man müsse viel eher auf die jungen Menschen eingehen und neue Angebote schaffen.

Arbeitsmarktbilanz:Noch viele offene Ausbildungsplätze
Die Agentur für Arbeit rät Jugendlichen, die noch nichts gefunden haben, sich bei der Berufsberatung zu melden. Der Arbeitsmarkt in den Landkreisen Freising und Erding ist insgesamt sehr stabil.
Die Betriebe und auch die Kreishandwerkerschaft seien bereits viel in Schulen unterwegs und würden für sich werben. Das helfe, auch wenn die Aufklärungsarbeit aufwendig sei. Ebenso aufwendig seien neue Angebote, dafür würden diese aber wahrgenommen, so etwa die Option eines dualen Studiums: „Es ist zwar ein Abi nötig, aber dafür sind das am Ende hervorragende Leute, weil sie eben während des Studiums schon Erfahrung sammeln konnten“, so Reiter. Aktuell sind im Landkreis Freising über 60 junge Menschen in so einem Verhältnis in Handwerksbetrieben angestellt.
„Die Azubis sind die Zukunft des Handwerks“
Dennoch sei die Situation nicht einfach. Gute Azubis würden laut Kreishandwerksmeister Reiter die Region verlassen, um zu größeren Betrieben wie etwa Audi in Ingolstadt und Eichstätt oder zu BMW wechseln. Dies sei verständlich, aber gefährlich, denn „die Azubis sind die Zukunft des Handwerks!“, so Reiter. Für die Zukunft sei man in Freising erst mal froh, wenn es bleibe, wie es aktuell sei. Im Kreis Erding hört sich Georg Lippacher schon besorgter an. Es kämen, so der stellvertretende Kreishandwerksmeister, immer kleinere Jahrgänge aus den Schulen und davon würden noch mal weniger eine Ausbildung im Handwerksbetrieb beginnen.
Grundsätzlich empfiehlt Martin Reiter Schülerinnen und Schülern, ein Praktikum in dem Berufsfeld zu machen, das sie interessiert. Das sei nötig, um den Beruf kennenzulernen. Und es zahlt sich aus: Über die Hälfte der neuen Azubis hätten, so Reiter, vorher ein Praktikum in genau dem Beruf gemacht. Dennoch werden in diesem Jahr in Freising wahrscheinlich aber wieder 40 bis 50 Azubi-Stellen im Handwerksbereich unbesetzt bleiben. Wenn es aber nicht an der „Faulheit“ der Jugend liegt, was ist dann der Grund für den Mangel?
Auf der Suche nach einer Antwort landet man bei dem Malerbetrieb von Jürgen und Claudia Beil. Jürgen Beil ist Inhaber des Malerbetriebs Beil und Obermeister der Maler-Lackierer-Innung Freising-Erding. Claudia Beil ist Betriebswirtin in diesem Betrieb sowie Landesvorsitzende der Unternehmerfrauen im Handwerk. Anders als in anderen Betrieben in der Region musste sich Jürgen Beil dieses Jahr keine Sorgen um fehlende Bewerber machen.

Auszeichnung:„Ein paar Tränchen habe ich schon verdrückt“
Claudia Beil, Landesvorsitzende der Unternehmerfrauen im Handwerk, erhält den Bayerischen Verdienstorden. Ein Gespräch über starke Gefühle und starke Frauen.
Laut Jürgen Beil bewerben sich auch immer mehr Mädchen für den Malerberuf. Dieses Jahr waren es sogar mehr als Jungen. Für Claudia Beil bedeutet das, dass damit auch das Handwerk immer geschlechtsneutraler werde. In den meisten Handwerksbetrieben herrsche auch keine Gender-Pay-Gap zwischen Männern und Frauen, sagt sie.
„Die Karriereleiter hört nie auf“
Für die beiden Landkreise Erding und Freising werden es in diesem Ausbildungsjahr wieder bis zu 20 Maler-Lehrlinge sein, die ihren Gesellenbrief erhalten. Vor zwei bis drei Jahren waren es laut Jürgen Beil nur drei aus Freising und kein einziger aus Erding. Dabei biete das Handwerk viele Möglichkeiten, so Claudia Beil. Es gebe über 150 verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten im Handwerk und nahezu unendlich viele Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Man beginne mit einer Ausbildung und könne dann vom Gesellen über den Meister bis zum Techniker gelangen: „Die Karriereleiter hört nie auf.“
Claudia Beil sieht die Verantwortung auch bei den Eltern, die ihre Kinder dazu drängen würden, eine höhere Schule zu besuchen. Auch Georg Lippacher weist die Schuld den Eltern zu. Durch Stereotypisierung der Handwerksberufe entstehe ein völlig falsches Bild von geringem Einkommen und fehlenden Weiterbildungsmöglichkeiten. Aber auch die Lehrer würden die Kinder beeinflussen, so Lippacher: „Ich fordere die Lehrer auf, dass sie aktiv dabei mithelfen, die Vorurteile abzubauen und den Handwerksberuf in der Schule nicht schlechtzureden.“