Verzögerung bei zweiter S-Bahn-Stammstrecke:"Nicht zumutbar"

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Unpünktlich und unzuverlässig: Die S-Bahn kostet Fahrgäste oft ihre Nerven. Und jetzt verzögert sich die zweite S-Bahnstammstrecke um weitere neun Jahre. (Foto: Johannes Simon)

Die neue S-Bahn-Strecke soll ganze neun Jahre später fertig sein als ursprünglich geplant. Die Landräte der Verbundlandkreise finden das nicht vermittelbar und formulieren einen Brandbrief an Ministerpräsident Markus Söder.

Von Charline Schreiber, Freising/Erding

Freisings Landrat Helmut Petz (Freie Wähler) nimmt täglich die S-Bahn nach Freising und er weiß: pünktlich ist sie nie. Mal sind es zehn Minuten Verspätung, manchmal 20, ein anderes Mal fällt die Bahn ganz aus. Hinzu kommt die mangelhafte Anbindung an den Münchner Flughafen. Einer seiner Vorgänger, Manfred Pointer, habe mal gesagt, dass der Flughafen nur aus der Luft gut zu erreichen sei. Die zweite S-Bahn-Stammstrecke sollte die Lösung sein und eigentlich 2028 in Betrieb genommen werden. Jetzt soll sie aber erst neun Jahre später eröffnet werden und nach Angaben des bayerischen Verkehrsministers Christian Bernreiter (CSU) statt ursprünglich 3,8 Milliarden 7,2 Milliarden Euro kosten.

Die Landräte der Landkreise rund um München kämpften seit mehr als 30 Jahren für ein funktionierendes S-Bahn-Netz, sagt Helmut Petz. Gemeinsam mit den Verbundlandkreisen im Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) richteten die jeweiligen Landräte einen Brandbrief an Ministerpräsident Markus Söder (CSU), in dem sie klare Worte für die angekündigte Verzögerung finden: Diese sei "angesichts des nahezu täglichen Verkehrskollaps' innerhalb und um die Landeshauptstadt herum eine schiere Katastrophe", der unzuverlässige Schienenverkehr im Großraum München für "weitere fünfzehn Jahre sicherlich schlicht niemandem mehr vermittel-, geschweige denn zumutbar." Fahrgäste wendeten sich von der S-Bahn ab, heißt es.

Der Freistaat schreckt wegen der hohen Kosten zurück

Die Landräte fordern Markus Söder in ihrem Brief, der Mitte dieses Monats datiert wurde, zur Unterstützung auf. In den Schienenverkehr soll "angesichts des Stammstreckendesasters" bevorzugt investiert werden, das soll vorzeitig geschehen, unabhängig vom Bau der zweiten Stammstrecke. "Das Problem ist, dass die hohen Kosten dazu führen, dass der Freistaat zurückzuckt. Und das darf nicht sein", sagt Petz. Preissteigerungen gebe es in öffentlichen Bauvorhaben immer. Bei der zweiten Stammstrecke komme hinzu, dass die geplante Entlastungstrecke für die U-9-Spange ebenfalls ein Auslöser für die exorbitant steigenden Kosten sei. Das könne aber nicht zum Grund dafür werden, noch bis zum Jahr 2037 auf einen intakten Schienenverkehr zu warten.

Die anhaltenden Verspätungen und die schwierige Erreichbarkeit des Flughafens müssten gelöst werden, findet Petz. Eine Verzögerung um neun Jahre bedeute, dass ein schon jetzt "unzumutbarer Zustand" weitere neun Jahre bestünde. "Das passt nicht zusammen. Die Fahrgaststeigerung ist nicht im Ansatz durch eine konsequente Ausbaumaßnahme des Schienenverkehrs abgefedert worden." Deswegen sollen die Planungen, die bereits bestehen, eingehalten werden.

Gespräche mit der Deutschen Bahn sind vom Vorstand verweigert worden

Gespräche mit der Deutschen Bahn seien verweigert worden, sagt Robert Niedergesäß (CSU), Sprecher der MVV-Verbundlandkreise und Ebersberger Landrat. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), Staatsministerin Kerstin Schreyer (CSU) und die Landräte in den MVV-Verbundlandkreisen haben den DB-Vorstand eingeladen, sich die Lage vor Ort anzuschauen. Das habe der Vorstand abgelehnt und auf die Fachebene geleitet. "Wir hoffen aber weiterhin, dass es hier noch zu einem Gespräch kommt", sagt Niedergesäß. Die Deutsche Bahn müsse die Probleme in München und der Region anerkennen und sich eingestehen, dass sie "eine Entwicklungen verschlafen hat".

Dabei gibt es bereits einen Maßnahmenkatalog, der insgesamt 43 Vorschläge listet, die den regionalen Bahnverkehr verbessern können. Seit 2019 werden diese untersucht, welche davon umgesetzt werden, sei aber noch unklar, sagt der Sprecher der MVV-Verbundlandkreise. Im kommenden Dezember werde es wieder ein Dialogforum geben, in dem jedem Landkreis Projekte und deren Realisierung vorgestellt werden. Im Paket "Bahnknoten München" wird auch weiter über den Erdinger Ringschluss gesprochen, der die Schienenanbindung des Flughafens München aus Ost- und Südbayern ergänzen soll.

Erdings Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) erreichen regelmäßig Beschwerden von Bürgern im Landkreis. Am Telefon klingt er verärgert über die Neuigkeiten aus dem Staatsministerium. Erding wachse weiter, der Bahnhof in Dorfen als Verkehrsknotenpunkt habe aber keine Möglichkeiten, die steigende Zahl der Fahrgäste zu transportieren. Auf den Brandbrief hin sei Erding versprochen worden, dass die S2 nach Erding von Dezember an den gesamten Tag über im 20-Minuten-Takt fährt. Auch für Freisings S1 steht das für Ende des Jahres weiter im Plan. An der Notwendigkeit einer zeitnahen S-Bahn-Strecke ändere das aber nichts. "20 Jahre für die Lösung eines so gewaltigen Problems zu brauchen, das kann man niemandem erklären."

"Es soll alles unternommen werden, dass die Stammstrecke grundsätzlich kommt"

Die Landräte plädieren in ihrem Schreiben an Söder dafür, die Pläne unbeirrt weiterzuverfolgen und schnellstmöglich zu realisieren. Kommende Woche lädt Söder alle Parteien zu einem Gespräch ein. Die Landräte hoffen, so Robert Niedergesäß, dass der Freistaat Druck auf den Bund und die Deutsche Bahn ausübt. "Es soll alles unternommen werden, dass die Stammstrecke grundsätzlich kommt. Aber ich glaube, da gibt es keinen, der die Maßnahmen an sich in Frage stellt. Das wäre ein Milliardengrab."

In den Pressemitteilungen des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr wird vielmals ein klares Konzept beteuert. Kommen die Unsicherheiten deswegen überraschend? Niedergesäß sagt: ja. Es sei absehbar gewesen, dass sich die Inbetriebnahme der zweiten S-Bahn-Stammstrecke um das Jahr 2030 bewege, der Sprung auf 2037 war aber "für alle eine große Überraschung".

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