Die sehr alte Weinrebe steht auf dem Freisinger Domberg an einem Mauerspalier in einer Reihe mit Obstbäumen, Stauden und verschiedenen Duft- und Gewürzpflanzen. Ein bisschen zerzaust sieht sie aus. Nicht so, dass man sich Sorgen machen müsste, aber auch nicht ganz so proper wie die kraftstrotzenden Nachbarpflanzen an dem neu angelegten Weg hier oben. Der Domberg wird gerade generalüberholt: Das Diözesanmuseum glänzt bereits neu, am Kardinal-Döpfner-Haus wird gearbeitet, der Dom-Innenhof strahlt förmlich in seiner neuen Pracht – die sehr, sehr alte Rebe aber hätte das alles fast das Leben gekostet.
Dabei war der Edelreis der Sorte Blauer Kölner im April 2017 in Freising so stolz in Empfang genommen worden. Schließlich handelte es sich um ein Geschenk aus dem slowenischen Maribor, einen Ableger der mutmaßlich ältesten noch Trauben tragenden Weinrebe der Welt. Um die 400 Jahre soll sie gesichert alt sein, so steht es im Guinessbuch der Rekorde. Sogar eine Hymne wurde ihr gewidmet: „Wir singen der alten Rebe, um ihr viele Jahre zu wünschen: Nun lasst uns den Kelch erheben, um respektvoll auf sie anzustoßen“, heißt es da. Vermittelt hatte den Transfer des Edelreises die Freisinger Partnerstadt Škofja Loka – kein Wunder also, dass sogar der Freisinger Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher damals half, den Ableger in die Erde zu setzen.
Dass es in einer Bierstadt wie Freising, in der bis heute zwei große Brauereien eher den Hopfen feiern, überhaupt auch um Weinanbau geht, ist dem Verein für Stadtheimatpflege zu verdanken und dessen früherem Vorsitzenden Florian Notter, der auch Stadtarchivar ist. Notter hatte in seiner Magisterarbeit zur Nahrungsmittelversorgung am fürstbischöflichen Hof in Freising belegt, dass es am Südhang des Freisinger Dombergs einst nicht nur mehr als 400 Obstbäume gab, sondern dort bis ins 18. Jahrhundert auch in größerem Umfang Wein angebaut worden war. Der schmeckte zwar wohl eher wie Sauerampfer, weshalb der Bischof für sich die besseren Produkte aus der Wachau bevorzugte. Den Dienern aber soll der „Pergwein“ willkommen gewesen sein.
Mit dem sich wandelnden Klima war der Weinanbau in Freising dann zwar eingestellt worden, der Stadtheimatpflegeverein aber ließ die Tradition wieder aufleben und pflanzte 2009 zunächst 99 Weinstöcke in den Hang. Der erwies sich als gut geeignet für den Anbau und schon im Dezember 2011 konnte der Verein seinen ersten selbst gekelterten Wein vorstellen.

Freisinger Diözesanmuseum:Ganz neu, ganz oben
Nach fast einem Jahrzehnt und einer 73 Millionen Euro teuren Rundumsanierung kann das kirchliche Museum auf dem Freisinger Domberg wieder öffnen und wird zu einem touristischen Anziehungspunkt für die Stadt.
Um kein Gift verspritzen zu müssen, hatte man mit dem „Johanniter“, einer Riesling-Kreuzung, eine Pilz-resistente Rebsorte gewählt, die auch relativ unempfindlich gegen Spätfröste ist. Zehn Liter hatte der Jungfernwein ergeben, im Juni 2013 hatte man die Menge schon auf 20 Liter gesteigert. Verkaufen allerdings durfte und darf man die Tropfen nicht – EU-Recht verbietet das außerhalb der klassischen Weinbaugebiete. Was der Verein keltert, muss deshalb auch von den Mitgliedern getrunken werden. Wie gut der Wein ist, ist dabei umstritten, eine der netteren Beschreibungen nennt ihn „eher fruchtig, mit einem Hauch von grünem Apfel“.
Die strittige Qualität ist dem Johanniter dann auch wieder gemein mit der sehr alten Rebe, die sich 2017 als Geschenk aus Maribor in den Freisinger Weinberg gesellte. Joachim Eder nennt das Erzeugnis daraus einen „eher mittelmäßigen Rotwein“. Er kennt sich als pensionierter Mitarbeiter der Landesanstalt für Landwirtschaft nicht nur generell gut mit Pflanzen aus. Der Weinbau ist auch sein erklärtes Hobby – und dass der Ableger der sehr, sehr alten Rebe noch lebt, ist unter anderem ihm zu verdanken.
Zwei Jahre musste die Rebe in einem Topf überstehen
Um 2018 herum nämlich war es zunächst ein wenig still geworden um den Freisinger Weinberg. Es wurde befürchtet, dass er den Baustellen auf dem Domberg weichen müsste – die Kräne, die Baustelleneinrichtung, die notwendige Hangsanierung. „Ja, das waberte so ein bisschen durch die Gegend“, bestätigt Stadtarchivar Notter. Am Ende aber habe man den Weinberg retten können, vor zwei oder drei Jahren sei er sogar erweitert worden – nur die sehr, sehr alte Rebe, die ungünstig an der Stützmauer gepflanzt worden sei, die habe tatsächlich weichen müssen.
Das sei „blöd gelaufen“, räumt Joachim Eder ein. So hocherfreut wie die Stadt damals über das Geschenk gewesen sei, habe man die Rebe aber auch nicht opfern können. Also habe man sie ausgegraben – „und dann stand sie zwei Jahre bei mir in Kranzberg in einem Topf“. Als der zu klein geworden sei, habe man die Rebe noch einmal für ein Jahr in den Freisinger Amtsgerichtsgarten umgesiedelt, bevor sie kürzlich nun an ihren endgültigen Platz am Domberg gepflanzt wurde.

Sogar einen Jourdienst zum Gießen hat der Verein eingerichtet. Aber ein bisschen kümmerlich sehe die Rebe schon noch aus, findet Eder, vor allem im Vergleich zu gleichaltrigen Edelreisen der sehr alten Weinrebe in Maribor. Die hat im Übrigen sehr viel Schlimmeres durchgemacht als einen Topfaufenthalt in Kranzberg: die Belagerung durch die Osmanen gegen Ende des Mittelalters, Brände, eine verheerende Reblaus-Plage und sogar die Bombardierung durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg.
Was die Qualität der Weine aus Freising angeht, wird man in Zukunft eher auf die normale Ernte aus dem Weinberg setzen, über dem die slowenische Rebe nun thront. Zu den Johanniter-Reben wurde Eder zufolge Muskateller gepflanzt und man erwarte jetzt wirklich einen sehr guten Wein. Ob dafür jemals eine Hymne geschrieben wird, ist zwar offen – aber man kann ganz sicher mit dem einen oder anderen Gläschen respektvoll auf die sehr, sehr alte Rebe anstoßen.