In diesem Jahr feiert Freising nicht nur die Ankunft Korbinians vor 1300 Jahren, sondern auch 1300 Jahre einer männerdominierten Geschichte. Auf dem Domberg dreht sich gerade viel um Männer und ihr Handeln: Die Sonderausstellung des Diözesanmuseums und der Domkirchenstiftung heißt „724. Männer. Macht. Geschichten“ und widmet sich Zwei Dutzend Herren, die in Freising besonders gewirkt haben; die „Bayerische Landesausstellung“ trägt den Titel „Tassilo, Korbinian und der Bär – Bayern im frühen Mittelalter“.
Nun, nach fast 250 Jahren Feminismus, nach der Verankerung der Gleichberechtigung im Grundgesetz und nachdem die erste Bundeskanzlerin schon wieder Geschichte ist, kann man durchaus fragen: Was ist mit den Frauen?
Das Diözesanmuseum hat am vergangenen Sonntag eine Führung angeboten, die genau dieses Thema in den Mittelpunkt stellt und sich auf die weiblichen Spuren auf dem Freisinger Domberg begibt. Für diejenigen, die sich weniger für die Mächtigen und mehr für die vergessenen Seiten der Geschichte interessieren (und Frauen gehören definitiv dazu), klingt die Veranstaltung durchaus spannend und vielversprechend.
Dass man die Erwartungen allerdings nicht zu hoch setzen sollte, das erklärt die Diözesanmuseum-Kuratorin und Führungsreferentin Anna-Laura de la Iglesia y Nikolaus gleich zu Beginn. Denn während der Domberg zur Bühne für Männer mit großem Ego wurde, muss man lange suchen, um auch nur Spuren einer weiblichen Präsenz zu finden. „Frauen kommen eher in den Fußnoten vor“, sagt die Kuratorin. Man möchte fast sagen: Wenn überhaupt.
Zum Beispiel direkt auf dem Dombergplatz, wo sich einst ein Friedhof befand. Während der neuesten Umbauarbeiten wurden bei archäologischen Grabungen menschliche Überreste von Bestattungen entdeckt, die noch genau untersucht werden müssen. Die ältesten Knochenfunde stammten vermutlich aus dem 12. oder 13. Jahrhundert, unter ihnen waren Frauen, Männer und Kinder. „Als tote Frau ist man auf den Domberg gekommen, als lebende eher nicht“, schlussfolgert mit etwas Ironie die Kuratorin de la Iglesia y Nikolaus. Aber auch im Dom selbst sind Frauen bestattet, zum Beispiel Anna Lösch von Hilgertshausen und ihre Töchter Barbara und Maria, jeweils Mutter und Schwester des Bischofs von Freising, Leo Lösch.
Denn Frauen bekamen meistens nur als Mutter, Schwester und Ehefrau Anerkennung. Auch die erste Frau, der man im Dom überhaupt begegnet, ist vor allem als Ehefrau bekannt, obwohl sie oft selbst als gebildet und unabhängig präsentiert wird. Die Rede ist von Beatrix von Burgund, die als thronende Königin am romanischen Portal des Mariendoms dargestellt wird. Beatrix war die zweite Gemahlin von Friedrich I. Barbarossa, sie soll eine wichtige Beraterin für Barbarossa gewesen sein und ihre burgundische Heimat eigenständig regiert haben. „Beatrix ist unabhängig aufgetreten“, erklärt die Führungsreferentin.
Ob es sich bei der Figur im Dom tatsächlich um Beatrix handelt, bleibt jedoch offen, denn die Inschrift, mit der sie identifiziert wurde, ist viele Jahrzehnte nach dem Portal entstanden ist. Und überhaupt: Unter ihrer Darstellung ist eine Kröte zu sehen, ein uraltes Symbol für Fruchtbarkeit, das daran erinnert, was jahrhundertelang die Hauptaufgabe der Frau war.
Während der Führung erwähnte die Kuratorin viele weibliche Figuren, die in irgendeiner Weise mit der Geschichte des Dombergs oder mit seinen Protagonisten verbunden sind und die aber nie in Freising waren, weil sie woanders gelebt hatten oder von der Theologie vereinnahmt wurden. Die wichtigste ist sicherlich Maria, die im Dom auf dem Hochaltarbild von Peter Paul Rubens, dem wichtigsten Maler der Zeit, als Apokalyptische Frau im Kampf mit den Drachen dargestellt wird. In der katholischen Theologie wird die Marienverehrung mit einem bestimmten Frauenbild verbunden: Maria wird als Vorbild schlechthin für Frauen präsentiert, als Mutter, Beschützerin und Trösterin, ihre Eigenschaften sind Frömmigkeit, Gehorsam und die Demut.
Die fast anderthalbstündige Führung endete nach vielen Anekdoten vor dem Hochaltar und vor der Gottesmutter, die, auch wenn von Drachen umgeben, immer ein beruhigendes Bild ist. Wie sehr Frauen, die sich nicht unterwarfen, mit Verachtung behandelt wurden, das sieht man nur ein paar Schritte weiter vom Altar entfernen.
In der Mitte des Kirchenschiffs, auf einem Fresko des Malers Cosmas Damian Asam, ist zu sehen, wie der in Weiß und Purpur gekleidete Korbinian eine alte, am Boden liegende Frau mit der Peitsche schlägt. Die Frau, wie ihr Aussehen selbst suggeriert, galt als Dämonin, unter der Szene ist der Spruch zu lesen: „Veneficam depalmat“, Latein für: „er schlägt die Zauberin“.
Diese wenig wundertätige Episode aus dem Leben des Heiligen Korbinian, die auch in der Landesausstellung erwähnt wird, wirft ein durchaus schlechtes Licht auf den sympathischen Missionar aus Frankreich, der lieber mit dem Bären als mit der gewalttätigen Unterdrückung von Frauen und Andersgläubigen assoziiert wird. Schade nur, dass das Thema bei den Feierlichkeiten rund um das Korbinians-Jubiläum so wenig Beachtung findet.
Die Führung wird am 15. und am 29. September noch einmal angeboten. Infos unter https://www.dimu-freising.de/