Diözesanmuseum Freising:Heilige im Lockdown

Seit fast acht Jahren wird das Diözesanmuseum saniert, erst an Pfingsten 2022 soll die kirchliche Sammlung, die als eine der größten der Welt gilt, wieder zu sehen sein. Ein Osterbesuch in Depots mit 40 000 Schätzen.

Von Petra Schnirch, Freising

Fast acht Jahre dauert der "Lockdown" auf dem Freisinger Domberg nun schon. Anfang Juli 2013 musste das Diözesanmuseum wegen Brandschutzmängeln von einem Tag auf den anderen schließen. Doch inzwischen gibt es Licht am Ende des Tunnels. Im kommenden Jahr, an Pfingsten 2022, soll das Haus nach der Generalsanierung mit einer ganz neu konzipierten Ausstellung wieder öffnen. Die Besucher erwarten dann viele bekannte, aber auch einige neu erworbene Werke. Eines davon ist die Engelspietà von Erasmus Grasser, eine ausdrucksstarke Holzskulptur aus der Zeit um 1500.

FREISING: Diözesan-Museum

Dieser Engel ist Teil der Engels-Pieta von Erasmus Grasser.

(Foto: Johannes Simon)

Derzeit fristet sie, neben vielen anderen, im Depot ihr Dasein. Kunsthistorikerin Carmen Roll, 52, versteht es aber bei einem Rundgang, lebendig zu erzählen, ihre eigene Begeisterung weiterzugeben und Vorfreude auf die Eröffnung zu wecken. Denn neben ihrer künstlerischen Qualität und dem typisch mittelalterlichen Motiv steht die Skulptur auch für ein Stück Zeitgeschichte. Der tote Christus ist gezeichnet durch seine Wunden, er sitzt auf einem Sarkophag, neben ihm zwei Engel, die ihn stützen.

FREISING: Diözesan-Museum

Noch wartet der Christus von Erasmus Grasser im Regal des Depots auf eine angemessene Präsentation.

(Foto: Johannes Simon)

Die Bewegung des Körpers erinnert an die berühmten Moriskentänzer Grassers. Das ausdrucksstarke Gesicht ist detailliert ausgearbeitet, Augen und Mund sind leicht geöffnet, das ist kein wirklicher Toter, die Skulptur macht die Eucharistie, die Verkündigung des Sterbens und der Auferstehung, deutlich. Aus heutiger Sicht fast ebenso interessant ist die Odyssee der Gruppe im 20. Jahrhundert. "Das ist eine irre Geschichte", sagt Carmen Roll.

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Kunsthistorikerin Carmen Roll mit einer Rokoko-Skulptur Madonna von Ignaz Günther gegen 1770.

(Foto: Johannes Simon)

2016 tauchte die Engelspietà in einem New Yorker Auktionshaus auf. Die Kunsthistorikerin kannte bis zu diesem Zeitpunkt nur eine Schwarz-Weiß-Aufnahme davon aus dem Jahr 1912 und sie begab sich auf Spurensuche, um die Herkunft des Werks zu klären. Vorbesitzerin war eine deutsche Jüdin, deren Familie die Engelspietà Anfang der Dreißigerjahre in Wien gekauft hatte. 1933 verließ die Frau Deutschland und emigrierte mitsamt der Grasser-Skulptur in die Schweiz. Später hatte sie diese auch bei einem Umzug nach Kanada im Gepäck.

Nachdem die Frau im Alter von 108 Jahren gestorben war, kam der Schmerzensmann zur Versteigerung. Die Ernst-von-Siemens-Kunststiftung unterstützte das Museum beim Kauf, den Zuschlag erhielten die Freisinger schließlich für 112 000 Euro. Wert sei sie deutlich mehr, sagt die Kunsthistorikerin. Vermutlich im 19. Jahrhundert wäre die Skulptur fast verbrannt, darauf weisen verkohlte Stellen auf der Rückseite hin, die farbige Fassung ist den Flammen damals zum Opfer gefallen. Bereits im Besitz des Museums war eine fast identische Gruppe, vermutlich aus der Grasser-Werkstatt, sie ist sehr viel weniger fein gearbeitet.

FREISING: Diözesan-Museum

Warten auf Erneuerung: Eine Impression aus der Restaurierungswerkstatt des Freisinger Diözesanmuseums.

(Foto: Johannes Simon)

Die promovierte Kunsthistorikerin Carmen Roll ist im Museum für wissenschaftliche Themen zuständig. Das bereits fertige Konzept für die neue Dauerausstellung hat das Team gemeinsam mit Museumsdirektor Christoph Kürzeder entworfen. Während des Umbaus lagern die wertvollsten Kunstwerke bei zwei Speditionen, die übrigen in mehreren Depots auch auf dem Freisinger Domberg. Die Figuren, die dort dicht an dicht in den Regalen stehen, ermöglichen einen beeindruckenden Schnellrundgang durch die Kunstgeschichte.

FREISING: Diözesan-Museum

Viele Schätze hat Peter Steiner als Leiter des Freisinger Diözesanmuseums oft effektvoll in Szene. Derzeit wird der kostbare Bestand in Depots verwahrt, das Haus wird saniert und soll erst 2023 wieder eröffnet werden.

(Foto: Johannes Simon)

Zu fast jeder kann Carmen Roll eine Geschichte erzählen. Seit 2007 ist sie im Museum fest angestellt, sie kennt so gut wie jedes Kunstwerk hier und kann sich nach vor für alle begeistern: die Skulpturen mit ihren feinen oder eher bäuerlichen Gesichtern, die religiösen Botschaften, die in den Gemälden transportiert werden oder die Zeugnisse der Volksfrömmigkeit, die von den Nöten und der Hoffnung der Menschen berichten.

Etwa 40 000 Werke gehören mittlerweile zum Bestand des Museums, es ist eine der größten kirchlichen Sammlungen weltweit. Auch während der Jahre der Schließung durch Ankäufe und Schenkungen erheblich gewachsen. Etwa durch 3000 zum Teil sehr kostbare Rosenkränze und Andachtsbilder. Wie viele Stücke die Depots genau beherbergen, wisse niemand so genau, sagt Carmen Roll, weil zwar alle Werke erfasst seien, das Computer-Programm sie bisher aber in der Summe nicht gezählt habe.

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Das Ersatzteillager.

(Foto: Johannes Simon)

Auch Restauratorin Sabine Kroiß erwartet "sehnsüchtig die Eröffnung des Museums". Sie arbeitet in der Werkstatt, die in den Achtzigerjahren in einem Nebengebäude eingerichtet worden ist. Noch ist das Museumsgebäude selbst komplett mit Planen verhüllt. Die Fenster sind nach Auskunft der Erzdiözese München und Freising inzwischen eingesetzt, die Innenarbeiten "in vollem Gange". Gerade wird verputzt.

FREISING: Diözesanmuseum eingerüstet; Blick von der Altstsadt

Als ob Christo zu Werke gegangen wäre. Noch versteckt sich das Diözesanmuseum hinter Planen.

(Foto: Johannes Simon)

Die Behebung der Brandschutzmängel hat die Erzdiözese München und Freising mit einer grundlegenden Sanierung des Bauwerks aus dem Jahr 1870 und dem Umbau in eine moderne Kunstsammlung verbunden. Seit 1974 werden die Räume des ehemaligen Knabenseminars auf dem Domberg als Museum genutzt.

Mit der Neueröffnung will das Museumsteam von einem rein chronologisch geordneten Rundgang durch die Kunst- und Kirchengeschichte abrücken. Stärker in den Fokus stellen wollen die Ausstellungsmacher, wie die Menschen mit grundlegenden Themen wie dem Wissen um die eigene Vergänglichkeit umgehen und welche Bedeutung der Religion dabei zukommt. Nicht immer wurde der Gedanke an den Tod so weit weggedrängt wie in der modernen Gesellschaft.

Diözesanmuseum Freising: Licht und luftig soll das Diözesanmuseum einmal wirken. Visualisierung: Brückner & Brückner Architekten

Licht und luftig soll das Diözesanmuseum einmal wirken. Visualisierung: Brückner & Brückner Architekten

Im Museum sollen deshalb auch kleine, skurrile Objekte ihren Platz bekommen wie eine Tabakdose in Sargform aus der Zeit um 1750, die mit Memento-Mori-Motiven spielt und trotzdem für Lebensfreude und einen gewissen Luxus steht. Das Diözesanmuseum hat die Tabatière 2020 erworben.

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Die barocke Schnupftabak-Dose mit Memento-Mori-Motiven.

(Foto: Johannes Simon)

Darauf abgebildet sind beispielsweise eine umgedrehte Sanduhr, eine verlöschende Kerze oder auf der Innenseite ein Kind, das flüchtige Seifenblasen produziert. In informativen Podcasts informiert das Diözesanmuseum regelmäßig auf unterhaltsame Weise über besondere Exponate wie diese Tabakdose, solange es noch geschlossen ist.

Die neueste Folge zu Ostern stellt die "Sendlinger Tafel" vor, eine Kostbarkeit, die um das Jahr 1407 herum entstanden ist und laut Carmen Roll den "Startpunkt der Münchner Malerei" markiert. Ins Auge sticht zuerst der glänzende Hintergrund. "Das Gold erstrahlt, als ob es neu wäre", schwärmt Roll. Mehrere Monate lang ist das Gemälde restauriert worden, eine extreme Geduldsprobe. Eine Lasur, die irgendwann aufgetragen worden war, musste in Millimeterarbeit mit einem extra angefertigten Porzellanskalpell abgekratzt werden.

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Das älteste Retabel der Sammlung ist die Sendlinger Tafel aus der Zeit der Gotik - hier ein Ausschnitt, die trauernde Maria.

(Foto: Johannes Simon)

"Ich wäre da total verzweifelt", sagt Roll und lacht. Ein Aufwand, der sich gelohnt hat. Eine große Holztafel aus Bayern aus dieser Zeit ist sehr selten, wie die Kunsthistorikerin erklärt. Gestiftet wurde sie von mehreren, sehr wohlhabenden Brüdern der Familie Sendlinger für eine Kapelle in der Münchner Frauenkirche. Auch einen Priester stellten sie ein, der für ihr Seelenheil beten sollte, das ließen sie sich viel Geld kosten. Die Stifter erhofften sich eine Verkürzung der Zeit im Fegefeuer, wenn möglichst viel für sie gebetet würde, eine typisch mittelalterliche Vorstellung - ein interessantes Zeitdokument also, nicht nur aus kunsthistorischer Sicht.

Der Christus am Kreuz ist nackt dargestellt und - ungewöhnlich - nur mit einem durchsichtigen Lendentuch abgebildet, sodass auch seine Scham angedeutet ist. Die dadurch transportierte Botschaft: "Das ist ein wahrer Mensch, der dort hängt", erklärt Carmen Roll. Auf der Rückseite hat sich neben dem Schmerzensmann auch einer der Stifter verewigen lassen - und war somit immer präsent während der Messen.

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Ein Mensch, der hier am Kreuz hängt. Das symbolisiert der fast durchsichtige Schurz.

(Foto: Johannes Simon)

Wenn Carmen Roll einzelne Kunstwerke vorstellt, verzettelt sie sich nicht in komplexen kunsthistorischen Abhandlungen, sie erzählt pointiert und mit viel Leidenschaft. Man glaubt es ihr sofort, wenn sie sagt, dass ihr die Führungen, der Dialog mit dem Publikum, fehlen. Die Besucher sollen gern ins neue Museum kommen, auch ohne Vorkenntnisse. Nicht nur Bedeutung und Qualität der Exponate spielten eine wichtige Rolle, betont sie, sondern auch die "Aura", die Wirkung auf den Betrachter.

Es gehe nicht mehr nur um das "hehre Bildungsideal" früherer Museumskonzepte. Die Ausstellung solle den Besuchern eine Auszeit ermöglichen, eine "Verknüpfung von Kunst und Genuss". Deshalb ist Christoph Kürzeder und seinem Team auch die geplante Gastronomie mit der dann erstmals öffentlich zugänglichen Westterrasse so wichtig.

Die Sammlung des Diözesanmuseums vermittelt, wie wichtig die Religion für die Menschen von der Geburt an war und ist - zum Beispiel durch schützende Symbole auf einer bemalten Wiege aus dem 19. Jahrhundert. Sie wirft auch ein Schlaglicht auf gesellschaftliche Entwicklungen, die bis in die Gegenwart hinein wirken, zum Beispiel was das Frauenbild angeht. Roll thematisiert dies anhand von zwei Marien-Skulpturen.

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Volkskunst: Eine bemalte Kinderwiege aus dem 19. Jahrhundert.

(Foto: Johannes Simon)

Die eine aus der Zeit um 1240/50 wirkt sehr streng. Maria ist weniger Mutter als vielmehr Thronsitz für ihren Sohn, der nichts Kindliches an sich hat. Auch zu dieser Figur weiß Carmen Roll eine Geschichte zu erzählen. Die Muttergottes war mit drei weiteren Figuren in der Kirche in Piedendorf bei Au in der Hallertau eingemauert worden und danach offenkundig lange Zeit in Vergessenheit geraten. Eine Theorie besagt, dass sie den Piedendorfern zu altmodisch geworden waren, aber nicht einfach weggeworfen werden sollten.

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Majestätisch thront hier die Madonna mit Kind.

(Foto: Johannes Simon)

Roll dagegen vermutet, dass eher ein politisches Problem dahinter stand. Dass die Skulpturen vielmehr geschützt werden sollten vor plündernden Horden während des Dreißigjährigen Krieges. Aus dem gleichen Grund waren damals Kunstwerke aus dem Freisinger Dom nach Innichen in Südtirol gebracht worden. "Sonst hätten wir den Rubens heute wahrscheinlich nicht mehr."

Gegenstück zur Piedendorfer Muttergottes ist eine entrückt wirkende Maria Immaculata von Ignaz Günther aus der Zeit um 1760 aus Attel am Inn, sie wird im Museum künftig Leitbild im Barockraum sein. Sie steht auf einer Mondsichel, ist von Sternen umkränzt, eine idealisierte Schönheit, empfangen ohne den Makel der Erbsünde. Auf ihre Reinheit verweist auch die Lilie in der Hand. Diese Figur sei ein Meisterwerk, sie vermittele aber auch eine problematische Vorstellung, sagt Roll, ein Idealbild, das eine normale Frau niemals erreichen könne. Diese könne nur ähnlich perfekt sein - oder aber eine Sünderin. Über eben solche Fragen will sie mit Besuchern bald wieder diskutieren.

Zu tun hatte das Museumsteam in den vergangenen Jahren genug, trotz der Schließung. Neben einer Inventarisierung gab es mehrere Ausstellungen in Kloster Beuerberg oder mit Kooperationspartnern. Das alles sei ein "großes Experimentierfeld" für die Vermittlung von Kunst im neu gestalteten Diözesanmuseum, sagt Carmen Roll. Die Vorfreude auf ein Haus voller Kunst und Geschichten ist riesengroß, Anfang 2022 soll mit dem Aufbau der Ausstellung begonnen werden.

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Baustelle Diözesanmuseum

Diözesanmuseum
:Auferstehen aus der Schuttwüste

Im Freisinger Diözesanmuseum haben die Sanierungsarbeiten begonnen. Wände werden herausgerissen, Decken entfernt, Kabel hängen bis auf den Boden herab. Museumsdirektor Christoph Kürzeder hat jedoch jetzt schon vor Augen, wie alles einmal werden soll.

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