Freising ohne Corona-Sperrstunde:Die Kneipen bekommen ihre Seele zurück

Freising ohne Corona-Sperrstunde: Seit dem 9. Februar gibt es in Bayern keine Sperrstunde mehr. Bars und Kneipen dürfen demnach wieder länger als bis 22 Uhr geöffnet sein - wie hier das Furtnerbräu.

Seit dem 9. Februar gibt es in Bayern keine Sperrstunde mehr. Bars und Kneipen dürfen demnach wieder länger als bis 22 Uhr geöffnet sein - wie hier das Furtnerbräu.

(Foto: Marco Einfeldt)

Nach dem Wegfall der Sperrstunde sind die Lokale in Freising gut gefüllt - alle genießen, dass sie nicht gleich wieder nach Hause gehen müssen.

Von Klara Mayer und Kristina Remmert, Freising

Donnerstagabend im Furtnerbräu, 19 Uhr. Begrüßt wird man von einem schnuppernden Hund. "He is the welcome dog", sagt eine Frauenstimme. Von der Decke der Kneipe baumeln metallisch glänzende Faschingsgirlanden. Noch ist die Musik lauter als die Gespräche, jeder dritte Tisch ist besetzt. Auf jedem zweiten Tisch steht ein Schild, das die Plätze als reserviert kennzeichnet. Auf einem weiteren steht in geschwungener Holzschrift: "Stammtisch". Nach ein paar Minuten und einem Bier fällt die Faschingsdeko schon gar nicht mehr auf und gehört zum Inventar. Auch die Musik wird von den immer lauter werdenden Gesprächen in den Hintergrund gedrängt. Die Worte "Radler", "eine rauchen" und "in der DDR"legen sich über sie.

Seit 9. Februar gibt es in Bayern keine Sperrstunde mehr. Bars und Kneipen dürfen demnach wieder länger als bis 22 Uhr geöffnet sein; Freisingerinnen, Freisinger und Gäste von außerhalb können mit einem 2-G-Status die städtische Gastronomie wieder länger beseelen.

Offenbar heißt das nicht, dass die Ausgehfreudigen nun einfach später losziehen, denn gegen 19.30 Uhr füllt sich die Kulturkneipe Furtner schnell. Verschiedenste gesellschaftliche Gruppen nutzen Kneipen wieder als das, was sie sind: Orte der Zusammenkunft und des Diskurses für das gesellschaftliche Neben- und Miteinander.

Die Studentin Arushi Gupta erklärt: "Wenn man um 10 Uhr wieder nach Hause muss, fehlt einem etwas." Ihr Kommilitone Fabio Sweet meint, was fehle, sei vor allem "the crazy one a.m. stuff." Also die Erinnerungen, die mitten in der Nacht entstehen. Gerade wegen des Wegfalls der Sperrstunde haben die Studierenden sich entschlossen auszugehen. "22 Uhr fühlt sich sehr begrenzt an", sagt Arushi Gupta, "ich möchte nicht um 10 Uhr gehen, wenn ich um 9 Uhr gekommen bin." Studierende brauchen Zeit, die sie gemeinsam verbringen können. Zeit, in der sie sich treffen können. Allein an der TUM School of Life Sciences in Weihenstephan sind im Wintersemester 2021/2022 Hunderte neue Studierende eingeschrieben. Viele davon haben wegen der Pandemie deutlich weniger soziale Kontakte. Arushi Gupta meint: "Neue Studierende haben das normale Studierendenleben bisher noch nicht erleben können." Fabio Sweet fügt hinzu: "Wegen Corona sind wir Teil sehr begrenzter sozialer Gruppen, die sehr schwer zu erweitern sind."

Inzwischen ist der Raum voller Gäste. Einer von ihnen fühlt sich gleich so wohl, dass er die Füße auf die Holzbank legt. Seine Begleitung kommt herein und bringt ihm eine Pizza. Geht man auf die Toilette der Kneipe, werden die bunten Girlanden am Waschbecken-Spiegel weitergeführt. Die Kabinentür ist geschmückt mit Herzchen-Stickern, die in Regenbogenfarben strahlen.

Die Aufhebung der Sperrstunde erweitert nicht nur die Räume und Möglichkeiten der Studierenden. Im Nebenraum des Furtners trifft sich zum vierten Mal Freisings Queer-Stammtisch, der gleichzeitig auch der bisher einzige Queer-Space der Stadt ist. Zum ersten Mal ist es der Gruppe möglich, sich bis tief in die Nacht auszutauschen. "Der Bedarf war auf jeden Fall da", sagt Maximilian Bildhauer, "was man auch daran sieht, wie viele Menschen hier sind." Dass die Queer-Community hier nun wieder ausgelassen feiern kann, ist auch deshalb so besonders, weil es in Freising sonst keine Anlaufstellen für sie gibt. Und damit auch keine Umgebung mit Menschen, die genau wissen, wie es sich anfühlt, hier zu leben und von der Hetero-Norm abzuweichen.

Zu dem Schluss, dass man noch so manches verändern kann und sollte, kommt auch der Stammtisch von "Die Partei". "Wir kommen hier zusammen und beraten, wie wir die Welt verbessern wollen", verkündet Daniel Weigelt, Direktkandidat der Partei bei der zurückliegenden Bundestagswahl in Freising. Im Winter waren die Mitglieder wegen der Pandemie auf virtuelle Räume ausgewichen. Ironie und Sarkasmus funktionieren offline besser, und so ist schnell entschieden, ob man in der Ukraine einfallen solle.

Verlässt man den Furtner, erspäht man schräg gegenüber die Q-Bar. Es ist 22 Uhr. Vor der Bar unterhalten sich die Gäste, obwohl Sturmtief Ylenia schon anfängt, durch die Straßen zu wüten. Der lange, eher schmale Raum der Q- Bar ist überwiegend mit Stehtischen bestückt, an denen sich Gruppen von Menschen sammeln. Ab und zu schlängelt sich jemand mit einer FFP2-Maske durch die Menge. Aufgrund der Lautstärke der Gespräche und des Gelächters, des Klirrens der Gläser und des Krachens des Cocktail-Shakers ist die Musik kaum noch zu hören.

Freising ohne Corona-Sperrstunde: In der Q-Bar freuen sich alle darüber, entspannt bei einem Bier zu sitzen, ohne auf die Uhr zu sehen.

In der Q-Bar freuen sich alle darüber, entspannt bei einem Bier zu sitzen, ohne auf die Uhr zu sehen.

(Foto: Marco Einfeldt)

"Es war vorher immer schade, weil man meistens dann gehen musste, wenn man gerade den richtigen Pegel hat", seufzt Gast Leonie Wesseler. Um 22 Uhr sei man schon mal etwas angeheitert. So sei es leicht, neue Leute kennenzulernen. Falls man sich an die Sperrstunde gewöhnt hatte und nach 22 Uhr müde wird, kann man mit den neuen Bekanntschaften dann gleich einen Tarifa-Shot trinken. Kaffee trifft 43er Likör. So ist man schnell wieder wach, und erlebt eins: Wirklich heiter, nicht nur angeheitert, ist man erst nach 22 Uhr. Der Barkeeper hat sich inzwischen an einen der Tische zu den Gästen gestellt. Die Stimmung ist sehr familiär.

Victoria Wimmer, die an diesem Abend mit Freunden da ist und sonst auch hinter der Bar beschäftigt ist, erzählt, was die Aufhebung der Sperrstunde ausmacht. "Allein an einem Sonntag war so viel los wie noch nie." "Wenn mehr los ist, macht es viel mehr Spaß zu arbeiten und man bekommt mehr Trinkgeld", fügt sie lächelnd hinzu. Kurz bevor der nächste Tag anfängt, beschließt die Gruppe um Victoria Wimmer, noch einmal in den Furtner zu gehen. Vielleicht treffen sie dort noch Fabio Sweet. Er hatte zuvor noch gesagt, "the great thing about going out in Freising is that you can go to five bars within five minutes". An diesen Donnerstagabend sind Menschen zusammengekommen, wo man zuletzt noch auf Distanz bleiben musste.

Zur SZ-Startseite

Solidarität mit der Ukraine
:"Wir machen uns große Sorgen"

Das Katholische Hilfswerk Renovabis in Freising ist vom russischen Vorgehen in Osteuropa alarmiert. Im Falle eines Krieges rechnet Hauptgeschäftsführer Thomas Schwartz mit großen Flüchtlingsströmen. Auf diese gilt es, vorbereitet zu sein.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: