Süddeutsche Zeitung

Große Sorge bei der Caritas in Freising:Erfolgsmodell wackelt

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Bei möglichen Änderungen im Sozialgesetzbuch II droht dem Kaufhaus Rentabel das Aus. Dies gelte es zu vermeiden, lautet der Tenor einer Podiumsdiskussion mit Bundestagskandidaten. Doch versprechen können sie nichts.

Von Peter Becker, Freising

Berlin ist weit weg. Wie kann sich eine Bundestagswahl schon großartig auf einen Landkreis oder eine Stadt auswirken?, mag gar mancher denken, der sich überlegt, ob er Ende September überhaupt zum Wählen gehen soll. Dass der Einfluss des Bundes auf die Geschicke der Menschen auch im Landkreis einen beachtlichen Einfluss hat, darauf gab eine Podiumsdiskussion zu sozialpolitischen Fragen mit den Bundestagskandidaten Andreas Mehltretter (SPD), Eva-Maria Schmidt (FDP), Erich Irlstorfer (CSU), Leon Eckert (Grüne) und Gabriele Stark-Angermeier (Vorsitzende der Caritas in der Erzdiözese München-Freising) Aufschluss. Werden nämlich entsprechende Beschlüsse gefasst, könnten diese das Aus für das Caritas-Kaufhaus Rentabel bedeuten.

Konkret ginge es da um Änderungen im Sozialgesetzbuch II (SGB II). Dazu gehört das Feld der Arbeitsgelegenheiten (AGH). Nun fordern zwar die Wohlfahrtsverbände eine Änderung des SGB II, doch fehlen dann entsprechende Zuschüsse aus dem Bund, würde das womöglich das Ende von Rentabel bedeuten. Dies vermeiden zu wollen, darin waren sich all diejenigen, die gerne ein Bundestagsmandat erringen möchten, einig. "Rentabel wackelt", hatte Moderatorin Bettina Bäumlisberger von der Pressestelle des Caritas-Verbandes in der Erzdiözese gesagt. AGH-Maßnahmen könnten gestrichen, freiwillige Leistungen als Folge daraus gekappt werden.

"Es gibt ein Strukturproblem"

"Sozial ist, was Arbeit schafft", sagte Irlstorfer. Und Rentabel bringe die Menschen in Arbeitsverhältnisse. Ob die Einrichtung tatsächlich erhalten bleibe, könne er nicht sagen. Dazu müsse er über hellseherische Fähigkeiten verfügen. Einfach Ja zu sagen, das wäre nicht ehrlich. "Wir müssen Rentabel erhalten", betonte Irlstorfer. Der Laden funktioniere und sei ein Erfolgsmodell.

Stark-Angermeier sagte, dass die Caritas ebenfalls viel Geld in den Betrieb von Rentabel stecke, weil dieser eben nicht auskömmlich sei. Fallen die Zuschüsse vom Staat weg, dann werden die Beträge, welche der Verband zahlt, und auch die freiwilligen Zuschüsse seitens des Landkreises Freising wohl nicht mehr ausreichen, um diesen aufrecht zu erhalten. "Es gibt ein Strukturproblem", sagte Stark-Angermeier. Die Menschen, die in Betrieben wie Rentabel arbeiten, könnten nicht beliebig viele Stunden am Tag arbeiten. Sie könnten am Tag oft nur eine arbeiten. "Die Leute können nur einen begrenzten Beitrag leisten." Die Arbeitsagenturen sähen dagegen nur die Zahlen derjenigen, die sie an den Arbeitsmarkt vermittelten.

Pflegeberufe müssen attraktiver werden

Anja Bungartz-Pippig, eine der beiden Geschäftsführerinnen der Freisinger Caritas, stellte fest, das während der Coronapandemie die Bedarfe an den Angeboten gestiegen seien. Es meldeten sich nicht nur die Kernklientel der Armen, sondern auch viele Mittelstandsfamilien, die Probleme durch Jobverlust oder Homeschooling bekommen hätten. Für die Caritas gehe es darum, dass weiterhin ein gutes soziales Netz vorhanden bleibe. "Die kommunale Daseinsfürsorge darf nicht hinten runter fallen", forderte sie.

Jetzt wieder aus der Krise herauszukommen, das sei eine große Herausforderung, sagte Stark-Angermeier. Bestimmte Personengruppen kämen auch beim "Rausholen" aus der Krise ins Hintertreffen. Einig waren sich die Bewerber um eine Bundestagsmandat, dass Pflegeberufe an Attraktivität gewinnen müssten.

Nicht "auf Teufel komm raus sparen"

Eckert sieht aufgrund des Lockdowns die psychische Gesundheit vieler Menschen gefährdet. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit seien durch das Homeoffice verschwommen. Für ihn hat die Pandemie auch mit Klimaschutz zu tun, etwa weil Menschen immer mehr in die Lebensräume von Tieren eindringen. Ein Fehler wäre es jetzt, "auf Teufel komm raus zu sparen". Es müsse in Bildung und Gesellschaft investiert werden.

Schmidt hatte das Gefühl, in der Krise in einer Parallelwelt zu leben, zu sehen, wie Einsamkeit entstehe. Gestört habe sie die "Überhöhung der Pflegeberufe". Die gehörten nicht auf einen Sockel, sondern seien in der Gesellschaft gut besetzt. Es dürfe aber nicht auf ihrem Rücken gespart werden. Was sich die Kandidatin der FDP wünschen würde, wäre etwa weniger Bürokratismus bei der Beantragung von Hilfen.

Defizite in der Bildung

Mehltretter sagte, während der Krise seien besonders Defizite in der Bildung offenbar geworden. "Jedes Kind muss ein digitales Endgerät haben", zieht er einen Schluss daraus. Ein wichtiges Thema ist für den SPD-Kandidaten die Grundsicherung, die Menschen ein Leben auch nach Schicksalsschlägen ermögliche. Seiner Meinung nach sei die Krise bislang besser bewältigt worden, als das viele vielleicht gedacht hätten. Der Staat sei handlungsfähig gewesen. Die sozialen Sicherungssysteme hätten geholfen, in Not geratene Personen aufzufangen.

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SZ vom 22.07.2021
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