FDP im Landkreis Freising:Kritik an „fataler Orientierungslosigkeit“

Lesezeit: 3 Min.

FDP-Kreisrat Tobias Weiskopf hadert mit der Parteispitze. (Foto: Marco Einfeldt)

In einer Erklärung zur Wahl adressiert FDP-Kreisrat Tobias Weiskopf überraschend deutliche Worte an die Parteispitze – und er ist nicht allein.

Von Kerstin Vogel, Freising

Das Ausscheiden der FDP aus dem Deutschen Bundestag stellt auch die Liberalen im Landkreis Freising vor einen Neuanfang. Ungewöhnlich deutlich hat sich dazu am Montagmorgen der Freisinger FDP-Kreisrat Tobias Weiskopf mit Kritik an der Parteispitze zu Wort gemeldet. „Ich habe mich über Fehler geärgert und war von Äußerungen und der Schwerpunktsetzung der Parteispitze irritiert“, heißt es unter anderem in seiner Mitteilung.

Er habe seine Kritik jedoch zurückgestellt und bis zuletzt für den Wiedereinzug der FDP gekämpft. „Dass uns dies nicht gelungen ist, macht mich tief traurig. Die Stimme des Liberalismus wird im 21. Deutschen Bundestag bitterlich fehlen – in einem Parlament, das von erschreckend starken politischen Rändern mit einer Sperrminorität geprägt sein wird“, schreibt Weiskopf – und weiter: „Der Absturz der FDP kommt nicht überraschend. In den vergangenen Monaten offenbarte sich eine fatale Orientierungslosigkeit mit strategischen Fehlentscheidungen und teils unseriösem Verhalten der Parteiführung.“

Aus sämtlichen internen Gremien seien vertrauliche Informationen, Screenshots und Dokumente durchgestochen worden, ärgert sich Weiskopf. Interne Strategiepapiere seien „zunächst geleugnet und später schmallippig als Praktikantenpapierchen abgetan“ worden: „Meine Ansprüche an Integrität und staatspolitische Verantwortung sehen anders aus.“

„Interne Skeptiker wurden diffamiert“

Noch während der Koalition hätten einige FDP-Abgeordnete liberale Verhandlungserfolge infrage gestellt sowie lange im Wahlprogramm geforderte und in der Ampel beschlossene Gesetze in der Presse attackiert. Im Zuge der Migrationsabstimmungen seien interne Skeptiker diffamiert und die Partei gespalten worden, so Weiskopf in seiner Generalabrechnung: „Und mit Milei und Musk als Symbol für Reformbereitschaft und Unternehmergeist überzeugt man vielleicht ein paar Libertäre auf X – gewiss aber nicht die pflichtbewussten Akademiker, optimistischen Weltbürger, aufstrebenden Fachkräfte und traditionellen Selbstständigen“, für Weiskopf die Zielgruppen der FDP.

Vermisst habe er im Wahlkampf zudem Themen mit einem Alleinstellungsmerkmal der FDP wie Bürgerrechte, Digitalisierung, Bildung. Selbst die Aktienrente sei hinter Migrationsdebatten und Attacken auf Robert Habeck verschwunden. Bei den Erstwählern sei man regelrecht abgestürzt, bedauert Weiskopf – von 23 auf sechs Prozent. Bei den Jungwählern stünden statt FDP und Grünen nun die Linken, gefolgt von der AfD, ganz oben. Weiskopfs Fazit: „Nach dieser Wahlniederlage – dem schlechtesten Gesamtergebnis in der Geschichte der Partei – müssen wir viel aufarbeiten. Zeit für einen Neuanfang.“

Vittorino Monti, Direktkandidat der FDP im Wahlkreis 213, pflichtet der Kritik bei. (Foto: Marco Einfeldt)

Allein steht Weiskopf mit seiner Kritik offenbar nicht. Er müsse dem Freisinger Parteikollegen in Vielem beipflichten, sagte Vittorino Monti, der aus Pfaffenhofen stammende Direktkandidat der FDP am Montag nach der Wahlniederlage. Viele Entscheidungen der Bundespartei seien bei der FDP-Basis nicht gut angekommen, so Monti: „Auch ich hätte mir mehr FDP-Politik gewünscht.“ Das sei vielen Mitgliedern so gegangen, jetzt gelte es, den Weg zu finden, „damit die Partei wieder für das steht, wofür sie einmal gegründet worden ist“.  Die vergangenen zwölf Jahre seien medial sehr stark „Lindner-geprägt“ gewesen, man sei als  „One-man-army“ wahrgenommen worden. Monti: „Die Partei hat aber viele gute Kandidaten.“

Für sich selber hätte er sich „natürlich mehr gewünscht“ als die 2,8 Prozent, die am Ende für ihn notiert wurden, räumt Monti ein. „Ich bin aber trotzdem relativ zufrieden, weil ich noch nicht lang dabei und entsprechend auch nicht sehr bekannt bin.“ Er sehe es als seine Pflicht, jetzt daran anzuknüpfen, sich weiter für liberale Ziele einzusetzen und die Weichen für die Zukunft, konkret: für die nächsten Kommunalwahlen zu stellen: „Wir müssen frischen Wind in die Partei bringen und zeigen, dass wir das können.“

„Die liberale Fahne hochhalten“

Etwas andere Schlüsse als Weiskopf zieht der Freisinger FDP-Stadtrat Jens Barschdorf aus „der großen Uneinigkeit“, die er in der Partei ebenfalls wahrgenommen hat. Die FDP habe sehr lange einen verwaschenen Wahlkampf geführt, kritisiert Barschdorf. Erst zum Schluss hin sei man wieder pointierter aufgetreten, parallel dazu seien auch die Umfragewerte nach oben gegangen. Man hätte den Wiedereinzug in den Bundestag also schaffen können, so die These des Stadtrats. Das belege auch die große Diskrepanz in den Ergebnissen bei der Briefwahl und aus den Wahllokalen in Freising.

Aus dem Vergleich der Ergebnisse von Urnen- und Briefwahl leitet der Freisinger Stadtrat Jens Barschdorf einen Aufwärtstrend der FDP kurz vor der Wahl ab. (Foto: Landratsamt)

Nun müsse sich die Partei auf allen Ebenen neu aufstellen, neu sammeln und auf ihre Kernthemen wie Wirtschaftspolitik, Rechtsstaatlichkeit und Liberalismus besinnen, fordert auch Barschdorf. Er werde aus jetziger Sicht auf jeden Fall dabei bleiben und in der Kommunalpolitik die liberale Fahne hochhalten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Sucht und Obdachlosigkeit
:„Ich wusste, jetzt ist genug – entweder ich höre auf, oder das war es“

Walter Bulfon war ganz unten, alkoholabhängig und obdachlos. Erst nach einem schweren körperlichen Zusammenbruch hört er auf zu trinken und kämpft. Das Jobcenter vermittelt ihn an ein Integrationsprojekt für Langzeitarbeitslose, heute arbeitet der 63-Jährige wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt.  Eine Erfolgsgeschichte.

SZ PlusVon Gudrun Regelein

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: