Mit dem Tod von Benedikt XVI.:Die Ehrenbürgerwürde ist erloschen

Mit dem Tod von Benedikt XVI.: Mit einem feierlichen Requiem im Dom haben die Freisinger von "ihrem" emeritierten Papst Abschied genommen.

Mit einem feierlichen Requiem im Dom haben die Freisinger von "ihrem" emeritierten Papst Abschied genommen.

(Foto: Johannes Simon)

Das Ableben des emeritierten Papstes Ende vergangenen Jahres enthebt den Freisinger Stadtrat einer schwierigen Entscheidung. Darüber und über den Umgang mit Kardinal Wetter wird nur hinter verschlossenen Türen diskutiert.

Von Kerstin Vogel, Freising

Unten an der schweren Rathaustür klebt der Hinweis auf das Kondolenzbuch für "Freisings verstorbenen Ehrenbürger" Papst Benedikt, in das man sich hier noch bis zum 20. Januar eintragen kann. Oben, im Sitzungssaal, geht es hinter verschlossenen Türen ebenfalls um den Tod des emeritierten Kirchenoberhaupts, eigentlich um dessen Ehrenbürgerwürde, doch das hängt tatsächlich zusammen. Denn der Antrag der Freisinger Linken, Joseph Ratzinger diese Ehrenbürgerwürde wegen seiner Rolle im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche abzuerkennen, ist mit dessen Ableben Ende vergangenen Jahres obsolet. Nach allgemeiner Rechtsauffassung erlischt eine Ehrenbürgerschaft mit dem Tod des Ausgezeichneten.

Mit dem Tod von Benedikt XVI.: An der Rathaustür hängt noch ein Zettel mit dem Hinweis auf das Kondolenzbuch für den verstorbenen Kirchenmann.

An der Rathaustür hängt noch ein Zettel mit dem Hinweis auf das Kondolenzbuch für den verstorbenen Kirchenmann.

(Foto: Marco Einfeldt)

Von den Ausschussmitgliedern erfährt man das am nächsten Tag nicht und auch sonst keine Ergebnisse der Debatte, weil niemand etwas aus diesem Teil der Sitzung erzählen darf. Der Schutz der Persönlichkeit habe hier Vorrang vor dem öffentlichen Interesse, so die Begründung; schon weil der Antrag der Linken nicht nur auf den emeritierten Papst abzielte, sondern auch auf dessen Nachfolger als Erzbischof von München und Freising, Kardinal Friedrich Wetter, und der weilt noch unter den Lebenden. Linken-Stadtrat Nicolas Pano-Graßy hatte zwar beantragt, über das Thema öffentlich zu beraten, schon die Diskussion darüber musste aber hinter verschlossenen Türen geführt werden. Zehn Minuten lang argumentierte Pano-Graßy offenbar vergeblich mit dem von ihm postulierten großen öffentlichen Interesse, die Türen blieben zu.

Beiden Klerikern ist die Auszeichnung 2010 verliehen worden

Beiden Kirchenmännern war die Ehrenbürgerwürde im Jahr 2010 für ihre Verdienste um die Stadt Freising verliehen worden: Papst Benedikt XVI. im Januar bei einer Sonderaudienz in Rom, Kardinal Wetter dann im November bei einem Festakt in Freising. Wetter war von 1982 bis 2007 Erzbischof von München und Freising und blieb der Domstadt auch über seine Emeritierung hinaus eng verbunden. Joseph Ratzinger war Student und Priesteramtskandidat in Freising und wirkte als Professor und später als Erzbischof "in vielfältiger Weise in und für Freising", wie es auf der Homepage der Stadt heißt. Als Papst behielt Benedikt XVI. die Motive seines erzbischöflichen Wappens bei, darunter das Bild des Mohren und des bepackten Bären - ein direkter Bezug zur alten Bischofsstadt Freising, die er bekanntlich am 14. September 2006 auch noch einmal besuchte.

Einen tiefen Riss erhielt das Bild von den verdienstvollen Klerikern jedoch, als am 20. Januar 2022 das vom Bistum selbst in Auftrag gegebene Gutachten der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) zum Thema "Sexueller Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker sowie hauptamtliche Bedienstete im Bereich der Erzdiözese München und Freising von 1945 bis 2019" veröffentlicht wurde. Diese Studie geht von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern zwischen 1945 und 2019 aus. Den früheren Erzbischöfen Wetter und Ratzinger wurde in dem Gutachten im Umgang mit Tätern und Opfern Fehlverhalten in mehreren Fällen vorgeworfen - für die Linken-Stadtratsfraktion so gravierend, dass sie im März 2022 den Antrag stellte, die Betreffenden zu bitten, ihre Ehrenbürgerwürde zurückzugeben.

Auch in anderen bayerischen Städten ist die Diskussion geführt worden

Mit dieser Forderung war die Freisinger Linke nicht allein. Kardinal Wetter hat die Ehrenbürgerwürde seiner Heimatstadt Landau zurückgegeben. In Traunstein und Regensburg debattierten die Kommunalparlamente über ihren Ehrenbürger Papst Benedikt, entschieden am Ende jedoch, ihm die Auszeichnung zu lassen. Und in Freising, wo ein Relief mit dem Konterfei von Joseph Ratzinger den Torbogen zum Domhof ziert und seit Jahren die Idee herumgeistert, die letzte freie Nische auf der Korbiniansbrücke mit einer Statue des früheren Papstes zu besetzen, nahm die Diskussion nach Bekanntwerden des Gutachtens zunächst ebenfalls Fahrt auf.

Mit dem Tod von Benedikt XVI.: Ein Relief mit einer Darstellung des Papstes und der Inschrift "Papst Benedikt XVI. - Ehrenbürger der Stadt Freising" erinnert im Torbogen zum Domhof an Papst Benedikt und Freising. Enthüllt wurde es im November 2010.

Ein Relief mit einer Darstellung des Papstes und der Inschrift "Papst Benedikt XVI. - Ehrenbürger der Stadt Freising" erinnert im Torbogen zum Domhof an Papst Benedikt und Freising. Enthüllt wurde es im November 2010.

(Foto: Marco Einfeldt)
Mit dem Tod von Benedikt XVI.: Für die leere Nische auf der Korbiniansbrücke wird man sich wohl einen neuen Kandidaten oder eine neue Kandidatin suchen.

Für die leere Nische auf der Korbiniansbrücke wird man sich wohl einen neuen Kandidaten oder eine neue Kandidatin suchen.

(Foto: Johannes Simon)

In ersten Reaktionen quer durch die Stadtratsfraktionen herrschte Entsetzen. Natürlich müsse man das Gutachten noch genau lesen, so der Tenor damals, manch einer konnte sich aber durchaus vorstellen, dass weder Ratzinger noch Wetter unter diesen Umständen weiter als Ehrenbürger geführt werden können. Ob und wieweit diese Einschätzung sich seither geändert hat, wurde nun - fast exakt ein Jahr nach Veröffentlichung des Gutachtens - wieder diskutiert, hinter verschlossenen Türen, "weil Menschen auch dann das Recht auf Schutz ihrer höchstpersönlichen Angelegenheiten haben, wenn das Thema als solches von öffentlichem Interesse ist", wie es CSU-Stadtrat Rudi Schwaiger, selber Anwalt, formuliert.

Schwaiger bestätigt auch, dass der Tod des emeritierten Papstes der Stadt eine dieser Entscheidungen abgenommen hat. Hier gehe es nicht mehr um die Ehrenbürgerwürde, höchstens noch um das Relief im Torbogen oder die Statue auf der Brücke. Er selber tue sich - auch im Fall von Kardinal Wetter - hart mit der Entscheidung, weil hier eine sehr schwere Abwägung zu treffen sei zwischen den Verdiensten, die beide Kirchenmänner sich um die Stadt erworben hätten und ihren moralischen Verfehlungen, die noch dazu zum damaligen Zeitpunkt möglicherweise gar nicht als solche gesehen worden seien.

Benedikt als Statue auf der Korbinianbrücke ist kein Thema mehr

Endgültig entscheiden muss in der Frage nun der gesamte Stadtrat in einer seiner nächsten Sitzungen, ebenfalls unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wie Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher nachdrücklich bestätigt. Ganz sicher kein Thema wird ihm zufolge dabei allerdings die Nische auf der Korbinianbrücke sein: Von der Idee hier eine Statue von Papst Benedikt aufzustellen, habe man schon lange Abstand genommen.

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