Kontaktlos studieren in Freising:Als  Ausgleich Netflix und Bier

Digitales Studium

Vielen fehlt beim Online-Studium der Kontak zu Kommilitonen und Dozenten.

(Foto: picture alliance/dpa)

Junge Leute leiden auf unterschiedliche Weise darunter, dass derzeit nur Online-Lehre möglich ist. Während die einen ihre Situation als sehr belastend erleben, auch weil Verdienstmöglichkeiten weggefallen sind, genießen andere ihre persönlichen Freiheiten.

Von Maike Velden, Freising

Überfüllte Vorlesungssäle, Gedränge in den Mensen der Unis und verwirrte Gesichter von Erstsemestern, die noch keine Orientierung im Unigebäude haben - gerade in den ersten Wochen eines Semesters sind die Gänge der Universitäten und Hochschulen voller Leben. Doch wer jetzt ein Studium beginnt, kennt diese Situationen nicht. Es ist das dritte Semester in digitaler Lehre, nur ausgewählte Veranstaltungen finden unter besonderen Auflagen in Präsenz statt. Das gilt auch für die Uni und die Hochschule in Freising, wo viele Studiengänge von der Praxis leben.

Viele Studierende spüren die Auswirkungen der Online-Semester, so auch Marie Lerner (alle Namen geändert). Sie studiert im Master in Freising, fast ihren ganzen Master hat sie Online studiert. Sie kommt eigentlich gut klar mit dem Onlinestudium und ist froh, dass sie nicht mehr pendeln muss, da sie an verschiedenen Standorten der TUM studiert, sie kann sich aber Besseres vorstellen. "Der Kontakt zu Kommilitonen und Dozenten fehlt und die Möglichkeit, direkte Fragen zu stellen, ist in asynchronen Veranstaltungen nicht möglich", bemängelt sie. Solange die Dozenten gut strukturierte Konzepte haben, sei der Druck der Onlineuni auszuhalten.

"Leider sind einige Dozenten ziemlich unstrukturiert und teilweise sehr schlecht zu erreichen" sagt sie kopfschüttelnd. Viel schlimmer findet sie den fehlenden Ausgleich. "In den letzten Semestern habe ich mehrmals kleinere Zusammenbrüche gehabt und kann mich kaum noch motivieren etwas für die Uni zu tun." Nur knallharte Fristen würden sie dazu bewegen, Leistungen zu erbringen. "Meine Konzentrationsfähigkeit in puncto lernen ist komplett weg", sagt die Masterstudentin, sie sei ziemlich unausgeglichen und launisch geworden. Dozierende würden ihre Ansprüche hochschrauben mit den Gedanken, Studierende hätten jetzt viel mehr Zeit und nichts zu tun. Lerner vermisst die Bibliotheken als Lernorte, denn Zuhause fehle einfach die Konzentration, die mentale Kapazität und die Literatur.

Auch der Wegfall des Jobs belastet sie. "Da ich dank Corona meine Nebenjobs in der Gastro verloren habe, habe ich einen finanziellen Einbruch erlebt", sagt sie. Finanziell sei ihre Situation sehr kritisch. "Das belastet mich zusätzlich ungemein." Zwar hätte es im Wintersemester Präsenzveranstaltungen in Form von Praktika gegeben, aber in Weihenstephan fehle die Möglichkeiten, sich zwischen Veranstaltungen aufzuhalten. "Zum Essen und auch sonst dürfen wir uns nicht in den Räumlichkeiten aufhalten und werden sonst von der Security vertrieben."

Svenja Grünjes geht es ähnlich. Sie studiert im vierten Semester Gartenbau und hatte das Glück, das erste Semester in Präsenz zu erleben. Als die Lehre digital wurde, war das laut Grünjes sehr unorganisiert. Vieles sei entfallen oder nur sporadisch angesprochen worden, das findet Grünjes bei einem praxisorientierten Studiengang problematisch. "Ich habe mich sehr schwer getan, wieder ins Lernen reinzukommen und dann kurz vor den Prüfungen alles an Lernstoff in mich reingestopft und das Semester irgendwie überstanden", erzählt die Bachelorstudentin. Die Online-Lehre und der harte Dezemberlockdown habe ihr sehr zugesetzt. "Da ich eh schon an depressiven Phasen gelitten habe, habe ich acht Wochen gar nichts mehr gemacht und auch nicht für die Prüfungen gelernt. Ich hab mit Hängen und Würgen eine der sechs Prüfungen geschrieben und den Rest geschoben", sagt sie bedrückt. Corona habe ihre psychische Situation verschlimmert und setze sie unter Druck. Oft falle es ihr schwer, sich an den Schreibtisch zu setzen. Von Ausgleich kann Svenja Grünjes nicht sprechen. Der bestehe größtenteils aus Netflix und Bier, Sport falle seit einem halben Jahr weg. Mit der Situation fühlt sie sich allein gelassen, aber sie ist froh, dass sie wenigstens die Uni kennt. "Noch schwerer stelle ich mir das für die vor, die nie da waren", überlegt sie.

Für Lorenz Schaffner, Informatikstudent stellt das Online-Semester nicht so große Probleme dar. "Ich würde sagen, dass ich ganz gut damit klar komme, natürlich fehlen einem ab und zu die Kontakte, aber die fehlen Nicht-Studenten im Moment genauso. Ich bin da sowieso sehr privilegiert, da ich natürlich technisches Know-how habe und auch vorher schon viel mit Freunden online kommuniziert habe", erzählt der Informatikstudent. Er habe schon vor den Online Semestern mehr Zuhause gelernt, da viele Veranstaltungen online abrufbar waren. Bis auf Veranstaltungen, die Präsenz erforderten, wie Tutorien, war Lorenz Schaffner überwiegend im Homeoffice tätig. Die jetzige Lage bedeutet also kaum Umstellung für ihn.

Schaffner findet die Situation alles in allem entspannter. "Man muss halt in der Lage sein, sich nicht die ganzen Videos aufzuschieben, sondern schon ein bisschen am Ball bleiben, aber dann ist es auch nicht mehr Stress als offline zu studieren", sagt der Bachelorstudent. Er spart sich Wege, kann asynchrone Veranstaltungen kompakter und schneller anhören und findet nebenbei die Zeit, als Werkstudent zu arbeiten. "Ich denke, dass ich das ohne die durch die Online-Uni gewonnene Zeit nicht hätte so lange durchhalten können. Ich arbeite also jetzt seit über einem Jahr etwa 20 Stunden die Woche nebenbei" sagt er. Die digitale Lehre habe neben Vorteilen, wie mehr Freiheiten und zeitliche Einteilung trotzdem Nachteile. Er bemängelt, dass er nicht so gut Fragen stellen kann, wenn die Veranstaltung aufgezeichnet wird und ist nicht immer mit 100 Prozent dabei.

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