Süddeutsche Zeitung

Das Jahr 2020 für  die Kultur:Wer nur Klavier spielen kann, hat verloren

Drei Jahre lang lief es für den Schauspieler Alexander Nadler perfekt. Dann kam die Pandemie und die Aufträge brachen weg. Wer als Künstler in diesen Zeiten nicht variabel sei, bleibe auf der Strecke, sagt der Freisinger.

Interview von Gabriel Wonn, Freising

Seit dem letzten Gespräch mit der SZ im Jahr 2016 Alexander Nadler einiges erlebt. Für Freisings bekanntesten Schauspieler, der gerne geduzt wird, stand in diesem Jahr seine ohnehin oft mit Komplikationen behaftete Profession besonders im Zeichen des Corona-Virus. Nadler spricht über die Schwierigkeiten - und sieht einige der politischen Maßnahmen äußerst kritisch.

Alexander, das Wichtigste zuerst: Wie geht es Dir?

Mir geht es tatsächlich gut. Als das Corona-Virus kam, war die erste Zeit schwierig. Denn wenn das erste Mal am 12. März dein Terminkalender gelöscht wird bis März 2021, da hatte ich ein komisches Gefühl. Drei Jahre lang lief es jetzt perfekt, so wie ich es mir gewünscht habe. Und dann ist das plötzlich weg, ohne dass ich etwas dafür kann. Da habe ich mir eine kleine Depression zugelegt. Ich habe Gott sei Dank einen guten Freundeskreis. Jetzt hatte ich gerade vier Drehtage und zwei Vorträge an Schulen. Also, mir geht es gut.

Seit dem letzten Gespräch mit der SZ sind vier Jahre vergangen. Was waren die beruflichen Highlights seitdem?

In den vier Jahren? (lacht) Viel Theater. Theaterspielen ist ein totales Highlight. Ich habe in den vier Jahren nicht wirklich viel gedreht. Bergretter, der Alte, die Rosenheim-Cops. Es waren viele schöne Zeiten am Theater in Landshut. Ich bin oft als Gast am Landestheater in Niederbayern. Das ist klasse. Normalerweise mache ich auch an der Mittelschule in Neustift die Theater AG. Und ich halte Vorträge über nonverbales Verhalten vom Lehrer zum Schüler.

Du hast 2016 schon davon gesprochen, dass es generell für freiberufliche Schauspieler und Künstler immer eine schwierige Lage sein kann. Jetzt kommt das Corona-Virus dazu. Wir hören viel Allgemeines über die großen Probleme der Branche, vor allem für Freiberufler. Wie ist das für Betroffene ganz konkret?

Das ist bestimmt unterschiedlich. Grundsätzlich ist es für jeden Kollegen erst einmal schwierig, nicht arbeiten zu dürfen. Das Landestheater Niederbayern - und das ist ein Festensemble, noch nicht einmal Freiberufler - die arbeiten und proben. Nur sie wissen nicht, wann sie das, was sie proben, jemandem zeigen dürfen. Der freie Schauspieler hat vielleicht eine Chance, zu drehen. Denn da gibt es Hygienekonzepte. Der Kollege, der draußen Theater spielt, der Kabarett, Musik, Lesungen veranstaltet, der hat gar nichts. Und wenn der Kollege möglicherweise super gut Klavier spielen kann und sonst nichts, dann hat er tatsächlich verloren. Die meisten, die ich kenne, sind auf alle Fälle variabel. Würden sie etwas Handwerkliches können, würden sie das bestimmt tun. Und das ist das Harte. Das Land, in dem wir leben, sagt ganz klar: "Wir wollen keine Diskriminierung". Und dann werden Leute diskriminiert, indem gesagt wird: "Das, was du tust, ist nicht systemrelevant."

Wenn wir schon von "Systemrelevanz" sprechen: Gerade in der Politik wird über Hilfen gesprochen. Freie Künstler gelten als "Soloselbstständige", die Unterstützung erhalten sollen. Überbrückungs- oder Novemberhilfen klingen gut. Kommt das tatsächlich schnell an? Und reicht es?

"Soloselbstständig" ist für den Handwerker gedacht, der selbständig ist. Der kriegt nur das, was der Soloselbstständige für seine Tätigkeit ausgibt. Also die angedachten 5000 Euro sind bei vielen Künstlern dann ganz schnell nur noch 500 Euro. Weil das ist bei einem Fotografen zum Beispiel das, was das Büro oder das Zimmer kostet, in dem er sein Studio hat. Und dann hat das die Politik kapiert und dann gab es für die Schauspieler 1000 Euro pro Monat. Drei Monate lang. Da rede ich noch von Juni, Juli. Jetzt überlege ich, dass ein Kollege, der in München wohnt, 1000 Euro im Monat kriegt, die möglicherweise nicht einmal für die Miete reichen und dann hat der Kerl noch nirgendwo abgebissen. Die Novemberhilfen sind wieder das Gleiche, da geht es um Gastronomie. Der Lockdown wird bis Januar gehen und viele Politiker fordern, dass er bis März geht. Und Frau Merkel sagt: "Diese Hilfen können ja nicht ewig gehen".

Es sind wieder Ausgangssperren da, die Theater bleiben geschlossen, die Gaststätten... Wie schätzt Du solche Maßnahmen aus der Politik ein?

In erster Linie ist es erst einmal wichtig, Leute zu schützen. Da gehe ich mit jedem konform. Die Frage ist Wie. Die Virologen schreiben seit Jahrzehnten Pandemiepläne und die Politiker haben sie nie gelesen, weil es sie nicht interessiert hat. Weil andere Dinge wichtiger waren. Ich war eine Woche vor dem Lockdown noch im Theater, da saß 15 Meter links einer, 15 Meter rechts einer und vor mir gar keiner, weil zwei Reihen freigelassen wurden. Da steckt sich keiner an, denn wir saßen da auch schon anderthalb Stunden mit Maske im Theater. Und dann mache ich das zu. Und in der U-Bahn stehen die Leute beim Anderen auf dem Fuß.

Du bist bekannt und beliebt in Freising. Fühlst Du Dich auch als Schauspieler von der Gesellschaft wertgeschätzt?

In Freising bin ich einfach der Alexander Nadler, da hat das nichts zu tun mit Schauspiel oder so. Wenn ich die Leute treffe, die ich treffe, unterhalten sie sich mit mir. Ich bin ein bunter Hund, bin einer, der viele Dinge macht, die andere nicht machen. Das ist ja auch das, was ich sein möchte. Die, die mich mögen, würden das so auch wertschätzen.

Also im direkten Umfeld ja, aber in der Gesamtgesellschaft dann eher weniger?

Die Leute, die vor Corona ins Theater gingen, schätzen das wert. Definitiv. Und die Leute, die vorher ins Kino gingen, schätzen das ebenfalls wert. Die Leute, die vorher nicht ins Theater gingen, haben keine Ahnung, denn sie haben und hatten kein Interesse daran. Und für die ist es natürlich möglich, dass der Schauspieler nicht systemrelevant ist.

Du hast vor vier Jahren gesagt, den Traum des Schauspielers verfolgst Du weiter, egal wie schwer es manchmal ist und egal, wie viel Nebenjobs du dafür brauchst. Immer noch so motiviert?

Ja. Da wird nichts daran wackeln. Klar, zu Anfang des Jahres, als die Depression kam, war da natürlich kurz der Gedanke, dass ich vielleicht etwas Anderes machen sollte. Und da war eben die Hilfe meiner Freunde, meiner Familie. Hätte ich die nicht, hätte ich mir möglicherweise professionelle Hilfe suchen müssen. Was ja dann auch vollkommen in Ordnung ist.

Was erhoffst du für die Zukunft?

Ich fange mal an mit meiner eigenen Zukunft. Ich will gesund bleiben. Ich will weiter in meinem Job arbeiten können und dürfen. Ich will dabei viele Erlebnisse haben. Denn die machen es aus, dann kann ich etwas erzählen. Und für unser Land wünsche ich mir eine Normalität, die wieder kommt. Eine Normalität, die soziale Kontakte wiederbringt. Wir sind nicht für allein gemacht, wir sind Herdentiere. Und für diese Herde wünsche ich mir einen gesunden Menschenverstand von allen.

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Quelle:
SZ vom 31.12.2020
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