Süddeutsche Zeitung

Stück Natur am Flughafen:Mähen für den Labkraut-Schwärmer

Inmitten der Baustelle für die Erweiterung des Vorfelds Ost gehört dem Bund Naturschutz eine Wiese. Verkaufen will er sie nicht

Von Kerstin Vogel, Flughafen

Den größten Radau machen an diesem heißen Augustnachmittag die Helfer vom Bund Naturschutz. Etwas ungewöhnlich, schließlich sind Naturschützer üblicherweise eher auf Ruhe bedacht - und außerdem liegt die Wiese, die sie gerade mit ihren kreischenden Motorsensen bearbeiten, mitten in der überdimensionalen Baustelle für die Erweiterung des Vorfelds Ost am Münchner Flughafen. Von drei Seiten von einem Zaun umgeben, dahinter Betonmischer, Bagger und der übliche Baustellenlärm, darüber die Flieger - nicht mehr so viele wie "vor Corona", aber ein paar fliegen wieder, um die 27 Prozent nach jüngsten Angaben, immerhin.

Trotzdem muss heute das Kreischen der Sensen übertönen, wer mit den Naturschützern über die etwas skurrile Situation hier am Rand des jüngsten Ausbauprojekts der Flughafenbetreiber sprechen möchte. Die Wiese - etwa 1000 Quadratmeter groß - gehört dem Bund Naturschutz seit 1973, es handelt sich um eines der "Sperrgrundstücke", die sich die Naturschützer im Erdinger Moos teilweise schon vor Jahrzehnten gesichert haben, um bei allen Bau- und Weiterbauvorhaben zumindest Klagerecht zu haben. Die Gemeinde Neufahrn unter Bürgermeisterin Käthe Winkelmann habe das damals finanziert, erinnert sich Christian Magerl, der lange für die Grünen im Landtag saß und schon bei der Planung des Flughafens vor Jahrzehnten im Widerstand aktiv war.

Die Fläche entspricht 25 Fußballfeldern

Das alles ist ebenso Geschichte wie der Bau des Munich Airport Centers, des Zweiten Terminals und seines Satelliten. Aktuell wird nun das östliche Vorfeld um eine Fläche von insgesamt 180 000 Quadratmetern erweitert - das entspricht etwa 25 Fußballfeldern, wie es auf der Website des Flughafens heißt - oder eben 180 Wiesen wie die des Bundes Naturschutz.

Bis zum Baubeginn für die jüngsten Erweiterungen war die fragliche Wiese am östlichen Rand des Vorfelds Bestandteil einer größeren Fläche gewesen, die von einem Landwirt gemäht und gepflegt wurde. Diese regelmäßige Mahd ist wichtig, weil tatsächlich selbst hier, zwischen all dem Beton, dem Staub und dem Lärm noch geschützte Arten in der Wiese leben. Der seltene Bläuling sei hier zu finden, sagt BN-Kreisgeschäftsführer Manfred Drobny, ganz aktuell hat er an diesem Tag einen Labkraut-Schwärmer entdeckt. Wenn man die Wiese aber nicht mehr mähe, dann verfilze der Bewuchs, schildert Drobny, am Ende würden nur noch wenige Gräser dominieren "und die Artenvielfalt geht kaputt".

Zufahrt nach Protestbrief geschaffen

Dass das mit der Mahd durch den Landwirt nicht mehr rund läuft, war dem Bund Naturschutz zunächst gar nicht aufgefallen, bis Magerl in der Süddeutschen Zeitung zu einem Bericht über die neuesten Ausbaupläne eine aktuelle Aufnahme des Areals sah und "sich plötzlich gar nicht mehr auskannte". Statt von Wiesen sei das Stück Land der Naturschützer nun von einer grauen Fläche umgeben gewesen, schilderte er: Die FMG hatte mit den Bauarbeiten zur Vorfeld-Erweiterung begonnen und einen Zaun um die Wiese des BN gezogen - komplett, ohne auch nur eine Zufahrt zu lassen, wie Magerl schildert. Nach einem Protestbrief sei der Zaun dann zur Straße hin wieder geöffnet worden, so dass man nun zur überfälligen Mahd anrücken konnte.

Das kuriose Stück Land auf der Vorfeld-Baustelle ist nicht das einzige Sperrgrundstück, dessen sich der Bund Naturschutz mittlerweile seit Jahrzehnten im Kampf gegen die Ausbaupläne der Münchner Flughafenbetreiber bedient - oder bedient hat, denn man hat an mancher Stelle schon vor Jahren verloren. So liegt das Grundstück, auf dem einst die Antonius-Kapelle stand, unter der Südbahn begraben, über einem weiteren Stück Land des BN spannt sich heute das mächtige Dach des Munich Airport Centers. Und auch wenn die FMG inzwischen um die BN-Wiese auf dem östlichen Vorfeld herum geplant habe, unterbreite sie den Naturschützern in regelmäßigen Abständen Kaufangebote, die ebenso regelmäßig abgelehnt würden - sagt Drobny. Ein Sprecher der FMG mag das tags darauf nicht bestätigen. Wenn sich allerdings der BN mit Verkaufsabsichten an die Flughafenbetreiber wenden würde, dann könne man darüber sicher verhandeln, sagt er.

Kleine "Lästigkeit"

"Wir sind schon eine kleine Lästigkeit für die", denkt wiederum Magerl und grinst ein bisschen - der ernste Hintergrund aber ist, dass die Pläne der FMG ja mit der Erweiterung des Vorfelds hier im Osten nicht enden. Eine Absichtserklärung zur Erweiterung des Satelliten ist bereits unterzeichnet - und die Gedankenspiele, hier langfristig auch noch ein viertes Terminal zu bauen, sind wohl allenfalls durch die Corona-Krise ein wenig in den Hintergrund geraten.

Die kleine Wiese mit ihren Bewohnern könnte also für den BN noch einmal wichtig werden: Betroffene Grundeigner haben im Streit um eine Planung mehr Rechte. Genau deshalb halten die Naturschützer auch an einem weiteren Grundstück fest, das genau am Kopf der geplanten dritten Start- und Landebahn liegt und den Naturschützern auch hier juristisch eine bessere Position verschafft: "Das ist das viel wichtigere Grundstück", sagt Magerl.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4999335
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.08.2020/psc
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.