Süddeutsche Zeitung

Flughafen München:Münchner Rollkommando

Alle vier Stunden kontrollieren Mitarbeiter der Verkehrsleitung die Start- und Landebahnen des Flughafens auf mögliche Gefahren.

Marco Völklein

Es knarzt kurz aus dem Funkgerät. Für ungeübte Ohren irgendetwas Unverständliches und dann dieser eine Halbsatz: "Airport 1 at A15, request runway-check 26 R." Der Tower funkt kurz zurück: "Cleared for runway-inspection." Das ist der Startschuss. Peter Goderis-Bayer biegt mit seinem schwarzen Saab ein auf die nördliche Startbahn des Münchner Flughafens. Und tritt aufs Gaspedal. Aber richtig.

Die Tachonadel geht nach rechts. 100, 150, 190. Mit knapp 200 Stundenkilometern braust er die vier Kilometer lange Startbahn entlang. Vor ihm hebt gerade ein Airbus A 320 der Lufthansa ab; hinter ihm, noch in der Luft, drängeln schon die nächsten Maschinen. Die Jets sitzen ihm quasi im Nacken.

Der gebürtige Belgier, seit einigen Jahren schon am Flughafen im Erdinger Moos beschäftigt, rauscht über die Bahn und biegt am Ende wieder rechts ab auf den Rollweg, der zum Flughafenterminal führt. Kurzer Griff zum Funkgerät. "Runway vacated. Runway is damp. Breaking-action is good." Arbeit erledigt. Die Bahn ist trocken, die Bremswirkung gut. Und vor allem: Sie ist frei.

Alle vier Stunden müssen die Mitarbeiter der Verkehrsleitung des Münchner Flughafens die beiden Start- und Landebahnen kontrollieren. Seit dem Concorde-Unglück am Pariser Flughafen Charles de Gaulle im Jahr 2000 gelten strengere Vorschriften. Damals hatten herumliegende Metallteile einen Reifen zerfetzt; diese lösten eine Explosion aus. 113 Menschen starben. Dass so etwas nicht noch einmal passiert - auch dafür sorgt Peter Goderis-Bayer.

"Wir haben hier schon alles Mögliche von der Bahn geholt", sagt der 48-Jährige. Reifenteile, tote Tiere, einmal hatte ein Arbeiter einen Hammer vergessen. Bei den regelmäßigen Kontrollfahrten spüren Goderis-Bayer und seine Kollegen solche Teile auf. Und sperren dann, je nach Lage, auch schon mal eine der beiden Start- und Landebahnen.

Per Funk bekommt der Tower eine Mitteilung; in seinem Saab hat Goderis-Bayer aber auch noch einen Tablet-PC mit Touchscreen. Und über diesen gibt er die Sperrung und andere Statusmeldungen ebenfalls ein. Und hat er zum Beispiel einen Schwarm Krähen oder Möwen erspäht, tippt er auch dies in seinen Rechner ein. Andere Stellen am Flughafen, die einzelnen Fluggesellschaften zum Beispiel, die Flugsicherung, die Bodenkontrolle oder die Disposition von Be- und Entladung können ebenfalls darauf zugreifen.

Das System erfasst nahezu alles, was am Münchner Flughafen passiert. "Wir wollten ein Programm haben, das alle Informationen bündelt", sagt Jörg Simon von der Verkehrsleitung. Die Flughafenchefs fragten bei vielen Anbietern nach; keiner hatte ein System zu bieten, das all das kann, was die Münchner wollten. Also entwickelten sie es selbst.

Heraus kam "Airside", das steht für "Airport Status Indication Equipment" (die Luftfahrt, auch die in Deutschland, hat ein Faible für englische Fachbegriffe). Airside erfasst zum Beispiel, wenn die Verkehrsleitung eine Bahn sperren lässt. Airside zeigt aber auch, welchen Rollweg übers Vorfeld ein Flugzeug von der Landung bis zur endgültigen Abstellposition absolviert hat. Wozu das? "Wenn zum Beispiel ein Techniker feststellt, dass das Flugzeug eine Schraube oder ein Bauteil verloren hat, kann man gezielt den Rollweg absuchen", erklärt Simon.

Richtig intensiv genutzt wird Airside insbesondere im Winter. Sobald Schnee fällt, lassen die Verkehrsleiter die Räumkolonne ausrücken. Schneeschieber, Schneefräsen und Kehrmaschinen räumen dann den Schnee von den Bahnen, Rollwegen und vom Vorfeld. Dann ist mal die nördliche Landebahn dicht, danach die südliche - stets im Wechsel. Angezeigt wird auch dies im Airside-System, die anderen Abteilungen des Flughafens greifen die Informationen ab.

Draußen auf der Bahn ist dann wieder Goderis-Bayer unterwegs. Er treibt die Arbeiter an, sorgt dafür, dass die Kolonne die Bahnen räumt. Und er prüft die Bremswirkung des Belags. Dazu klappt er an seinem Saab ein fünftes Rad heraus und fährt damit die Vier-Kilometer-Bahn ab. Das Rad misst die Griffigkeit und überträgt die Werte in eine Kurve. Auch die ist (zusammen mit dem Status der Bahn) im Computersystem markiert - und beispielsweise für Fluglotsen und die Airlines einsehbar.

Mit dem Zusatzrad am Heck braucht Goderis-Bayer allerdings nicht ganz so flott über die Bahn zu zischen. Denn erstens funktioniert die Messung nur, wenn er exakt 100 Stundenkilometer fährt. Und zweitens ist die Bahn für den Flugverkehr in der Zeit gesperrt. So sitzt ihm nicht der nächste Jet im Nacken, während er mit seinem Saab auf den Start- und Landebahnen unterwegs ist.

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Quelle:
SZ vom 15.02.2011/bica
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