Süddeutsche Zeitung

Kampf gegen Fluglärm:Wie bei David gegen Goliath

Die Lärmbelastung für Anwohner des Münchner Flughafens ist hoch. Seit Jahren kämpfen die Betroffenen darum, sich Gehör zu verschaffen. In Attenkirchen und Thalham werden die Bürger nun ungeduldig und verlangen, dass Maßnahmen ergriffen werden.

Von Charline Schreiber, Freising

Es ist das bekannte Leid der Flughafenanwohner: Es ist ein sonniger Frühlingstag, die Grillen zirpen, und dann rauscht über den Köpfen ein 60-Tonnen schwerer Stahlvogel hinweg und stört die Ruhe. Und das mehrmals am Tag. Der Flugverkehr ist über die vergangenen Jahre immens angestiegen. 2018 und 2019 ist dies es den Anwohnern von Attenkirchen und Thalham besonders aufgefallen. Dann legte die Pandemie den globalen Flugverehr lahm und es wurde still am Himmel. Seit einigen Monaten hat der Flugverkehr aber wieder zugenommen und somit auch die Lärmbelastung der Flughafenanwohner. Das führt zu Frust, besonders weil sich die Anwohner nicht ernst genommen fühlen.

In E-Mails und Briefen an die zuständigen Behörden versuchten sich die Anwohner von Attenkirchen und Thalham immer wieder Gehör zu verschaffen. Wenn überhaupt eine Antwort kam, dann sei der kreuzende Überflug geleugnet, eine optische Verzerrung als Argument geliefert oder darauf hingewiesen worden, dass der Wohnort durch die Nähe zum Flughafen nun mal Lärmbelastung mit sich bringe, sagt der Thalhamer Stefan Neumann. "Das war wie so ein schwarzes Loch, du kippst da was rein, es verschwindet einfach und man hört nichts mehr." Anlaufstellen für Fluglärmbeschwerden gibt es viele - das Luftamt Südbayern, die Deutsche Flugsicherung (DFS), ein Fluglärm Portal, der Flughafen München selbst, Bürgermeister und Landrat... So wirklich helfen, kann aber niemand.

Die Anwohner kontrollieren die Flugrouten und den Fluglärm auch eigenständig

Neumann kritisiert, dass die Linienflugzeuge bei einer Ost-Wetterlage Richtung Landshut fliegen, kurz vor Langenbach drehen und dann über Attenkirchen und Thalham zurückkehren. Kontrolliert wird das von den Anwohnern über die Apps "Travis" und "Flight Radar".

Die Flughafen München GmbH (FMG) führt kontinuierlich Fluglärmmessungen durch. 16 stationäre und zwei mobile Messstationen können über eine grafische "Travis"-Darstellung der Webseite des Flughafens live verfolgt werden. Zudem stehen auch Informationen wie Flugverlauf, Flughöhe und Flugzeugtyp zur Einsicht. Eine offizielle Messung für Thalham habe das letzte Mal vor 14 Jahren stattgefunden, sagt Sprecher Edgar Engert. Dabei habe der Dauerschallpegel im Messzeitraum tagsüber bei 48 Dezibel gelegen, nachts bei 35 Dezibel. Heute messen die Anwohner nach eigenen Angaben zeitweise 80 Dezibel am Tag. Laut Engert gelte ein Wert von 60 Dezibel für den Tag und 50 Dezibel für die Nacht als zumutbar.

"Obwohl Thalham vergleichsweise weit vom Flughafen entfernt ist, hat die FMG einer Messung zugestimmt"

Die Gemeinde Attenkirchen sei mit dem Wunsch einer mobilen Fluglärmmessung auf die FMG zugekommen. "Obwohl Thalham vergleichsweise weit vom Flughafen entfernt ist, hat die FMG einer Messung zugestimmt", so Engert. Weil die Messergebnisse durch die Pandemie noch nicht aussagekräftig seien, sei die aktuelle Lärmbelastung aber noch nicht gemessen worden. Nach weiteren Abstimmungen mit der Gemeinde sei die FMG aber weiterhin bereit, die Messungen durchzuführen.

Sven te Brake, zuständig beim Luftamt der Region Oberbayern erklärt, dass das Luftamt zwar Beschwerden entgegennehme, an den Routen der Linienflugzeuge eines Großflughafens wie München aber keine Änderungen vornehmen könne. "Die Anwohner müssen leider mit einem gewissen Grad an Fluglärm leben. Das ist das Wesen eines Flughafens." Vielmehr kann das Luftamt Südbayern dann aktiv werden, wenn kleinere Privatflugzeuge oft und zu tief über ein Wohngebiet fliegen. Dann aber auch nur, wenn gegen Fluglärmgesetze verstoßen wird, also eine Mindestsicherheitshöhe unterschritten wurde. "Wie nehmen jede Beschwerde ernst. Es ist aber manchmal auch ein bisschen wie David gegen Goliath." Oft verweist das Luftamt weiter an die Deutsche Flugsicherung (DFS), um Betroffenen zu erklären, wie die An- und Abflugstrecken reguliert sind.

Für einen sicheren Flugverkehr können Fluglotsen von der offiziellen Flugroute ableiten

Denn die DFS wickelt den Luftverkehr ab. Das heißt, dass der Pilot vom Fluglotsen eine sogenannte Flugverkehrskontrollfreigabe erhält, erklärt Sprecherin Sandra Teleki. Diese beinhalte unter anderem, welche Route der Pilot zu seinem Ziel nimmt. Die Flugverfahren stellt dabei die DFS zur Verfügung, dieses ist per Gesetz einzuhalten. Im "Stanly-Track" der DFS können Nutzer einsehen, in welche Richtung die Flugzeuge starten und welche Höhe diese über ihrer Stadt haben. Im Fall Attenkirchen und Thalham bündelt sich westlich der Orte der Flugverkehr in der offiziellen Flugroute. Es gibt aber auch Flugspuren über Thalham und Attenkirchen, obwohl das offizielle Flugverfahren westlich verläuft.

Die Routenbündelung ist zulässig

Um den Flugverkehr sicher abzuwickeln, kann der Fluglotse per Gesetzgebung den Piloten mit einer Einzelfreigabe abseits der offiziellen Flugroute leiten, sagt Teleki. So werde auch erzielt, dass sich der Flugverkehr über die Wohngebiete streut. Das sei auch im Sinne der Anwohner. "Für die Anwohner von Thalham und Attenkirchen ist das vielleicht von Nachteil. Für andere Ortschaften, die direkt unter dieser dicken Bündelung liegen, ist das durchaus von Vorteil." Teleki merkt an, dass die Routen zulässig sind und auch von Seiten der DFS nur im Rahmen der Gesetze gehandelt werden kann.

Sollte sich bei der Messung des Fluglärms über die FMG eine Dauerschallbelastung von über 60 Dezibel am Tag herausstellen, überprüfe die DFS mögliche Schallschutzmaßnahmen. Man sei bemüht, durch bessere Technik die Lärmbelastung zu minimieren. Aufgrund der hohen Sicherheitsvorkehrungen sei die Luftfahrt in der Umsetzung hier aber deutlich langsamer, gibt Sandra Teleki zu bedenken.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5578435
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/bt
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.