Die Europäische Union? "Für den Naturschutz ist sie ein Segen. Europaweit - und auch bei uns in der Region", sagt Christine Margraf, Artenschutzreferentin beim Bund Naturschutz, überzeugt. Es sei der EU zu verdanken, dass es allein im Landkreis Freising sechs Flora-Fauna-Habitat (FFH)-Gebiete und drei europäische Vogelschutzgebiete gibt. Im Landkreis Erding sind es sieben FFH- und zwei Vogelschutzgebiete.
Diese Gebiete seien zwar teilweise auch schon unter Schutz gestanden, bevor das Europäische Parlament 1992 beschlossen habe, das Schutzgebietsnetz namens "Natura 2000" aufzubauen, berichtet Margraf. "Das wurde aber nur dort eingehalten, wo niemand etwas dagegen hatte." Abgesehen von dem Stück zwischen Hangenham und Moosburg aber waren nicht einmal die Isarauen geschützt, "heute ist es glücklicherweise anders". Auch das Isental im Landkreis Erding stand früher nicht unter Naturschutz.

Nun gebe es ein nach fachlichen Kriterien vorgegebenes Konzept mit Managementplänen, einem Monitoring und dem Ziel, einen guten Erhaltungszustand für alle durch "Natura 2000" geschützten Arten und Lebensräume zu erreichen. Eingriffe in diesen Gebieten dürften nur in absoluten Ausnahmefällen erfolgen, erklärt Margraf. Zudem sollen die Schutzgebiete ein funktionierendes Netz bilden - und nicht nur kleine isolierte Inseln in einer sonst intensiv genutzten Landschaft darstellen.
Dank Schutzstatus wurde ein Wasserkraftwerk verhindert
"Natura 2000" sei wegweisend gewesen, sagt Margraf: "Aus ökologischer und naturschutzfachlicher Sicht zählt es zu den bedeutendsten länderübergreifenden Schutzinstrumenten, die wir in Europa haben." Damit könne man seit Anfang der 90er-Jahre dem dramatischen Verlust von Arten und Lebensräumen entgegenwirken. Das Netz bestehe aus Gebieten der Fauna-Flora-Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie. Im Landkreis Freising gibt es beispielsweise das Vogelschutzgebiet "Freisinger Moos". Es wurde wegen seiner Bedeutung als Lebensraum für Wiesenbrüter - vor allem dem Großen Brachvogel, Wachtelkönig und Kiebitz - zu einem sogenannten SPA ("special protected area")-Gebiet ausgewiesen. Das FFH-Gebiet "Moorreste im Freisinger und Erdinger Moos" gilt wegen seiner wertvollen Lebensräume und seltenen Tier- und Pflanzenarten im Kernbereich als besonders schützenswert - hier findet sich eines der stärksten Vorkommen der beiden Ameisenbläulinge.

Dank des Schutzstatus konnte aber auch ein geplantes Wasserkraftwerk bei Moosburg verhindert werden, wie Margraf berichtet. Am Amperdurchbruch bei Volkmannsdorf wollten die Münchner Stadtwerke 2019 ein kleines Wasserkraftwerk bauen. Dabei wäre ein Naturareal an der Ampermündung in die Isar zerstört worden. Umweltschützer drohten mit einer Klage bei der EU, weil diese Stelle in gleich zwei FFH-Gebieten liegt: den Amper- und den Isarauen. Letztendlich habe das Landratsamt dann nur den Einbau der Turbine an dem schon bestehenden Wehr genehmigt, den Verbau der Mündung aber nicht, schildert Margraf.
Der Klimawandel macht mehr Wasser, mehr Grün notwendig
Doch trotz "Natura 2000" seien etwa 80 Prozent der europäischen Lebensräume noch immer in einem schlechten Zustand, sagt die Artenschutzreferentin. "Und das wird hier, in den beiden Landkreisen, ähnlich sein." Das von der EU nun geplante Renaturierungsgesetz, das den Fokus auf die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme legt, soll einen neuen Anstoß geben. Es verpflichtet alle EU-Mitgliedsstaaten, zerstörte Natur wieder in einen guten ökologischen Zustand zu bringen. So sollen künftig mehr Bäume gepflanzt und alte Wälder erhalten bleiben, Moore vernässt und Flüsse in ihren natürlichen Zustand zurückversetzt werden. "Das hat das EU-Parlament 2024 glücklicherweise mit einer nur sehr knappen Mehrheit beschlossen - trotz einer Fake-News-Kampagne von konservativen und rechten EU-Abgeordneten", berichtet Margraf.
Kommt das Gesetz - das ist noch von der Zustimmung im EU-Ministerrates abhängig -, habe das auch hier Konsequenzen: "Es ist ein Anschub für die Renaturierung der Moore und Flüsse, für die Verbesserung der Stadtnatur und für die Insektenvielfalt in der Agrarlandschaft", zählt Margraf auf. Der Klimawandel und dessen Folgen machten mehr Grün, mehr Wasser auch in den Städten notwendig. Die Moosach-Öffnung in der Freisinger Innenstadt beispielsweise sei zwar schon ein guter Beitrag zum Klimaschutz, aber es müsse noch deutlich mehr passieren. "Nicht alles läuft optimal", sagt Margraf.
Öffentliches Interesse überwiegt den Schutzstatus
So sei auch der FFH-Status kein hundertprozentiger Schutz gegen Großprojekte: Die dritte Startbahn für den Flughafen sei genehmigt worden, obwohl das Areal im europäischen Vogelschutzgebiet "Nördliches Erdinger Moos" liegt, kritisiert Margraf. Begründet wurde das damals mit dem öffentlichen Interesse, das so hoch sei, dass es sogar eine teilweise Zerstörung des Schutzgebietes rechtfertige. Der Bund Naturschutz scheiterte 2015 mit einer Klage beim Bundesverwaltungsgericht, in der er eine intensivere Klärung des tatsächlichen Bedarfs forderte. "Für uns ist das Thema aber noch immer nicht vom Tisch, bis endlich die Genehmigung aufgehoben ist", betont Margraf.

Der Landkreis Freising hinke bei der Aufstellung der Management-Pläne hinterher: Für das Vogelschutzgebiet "Freisinger Moos" fehle dieser Plan noch immer, kritisiert Margraf. Die Management-Pläne zum Erhalt der Lebensräume aber seien wichtig, dort stehe verbindlich, was konkret passieren müsste. "Das wird dann auch kontrolliert - und das ist im Vergleich zu früher ein enormer Fortschritt", sagt Margraf. Alle sechs Jahre müssen in ganz Europa Berichte erstellt werden, wie es um die Pflanzen und Tiere in den Gebieten steht.
Insgesamt ist Christine Margraf mit der Umsetzung der EU-Naturschutzverordnungen und -gesetze in den beiden Landkreisen Freising und Erding zufrieden: Die Isar-Renaturierung laufe beispielhaft und auch die des Freisinger Mooses sei auf einem guten Weg. "Aber viele Arten, wie zum Beispiel der Kammmolch, sind noch immer gefährdet und brauchen noch sehr viel mehr geeignete Lebensräume." Von den notwendigen Maßnahmen, um diese zu schaffen, profitiere nicht nur der Kammmolch, betont die Artenschutzreferentin. "Wir alle profitieren davon - durch eine intaktere Natur und einen besseren Klima- und Hochwasserschutz. Die Landwirtschaft hat dadurch stabilere Böden und eine Vielfalt von Bestäubern."