Süddeutsche Zeitung

"Europawahl 2019":Politik über den Geldbeutel

Mit ihren Agrarsubventionen steuert die Europäische Union zu einem großen Teil, was und wie angebaut wird. Im Jahr 2017 haben im Landkreis Freising 1546 landwirtschaftliche Betriebe 16,5 Millionen Euro erhalten.

Von Gudrun Regelein

Die Agrarpolitik ist die einzig gemeinsame der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU), sonst gibt es das in keinem anderen Bereich. "Und nur so kann eine Landwirtschaft mit hoher Qualität funktionieren", sagt Gerhard Stock, Kreisgeschäftsführer des Bayerischen Bauernverbands, mit Überzeugung.

Das lässt sich die EU einiges kosten: Etwa 58 Milliarden Euro Agrarsubventionen werden jährlich in den Ländern der Europäischen Union verteilt, rund sechs Milliarden davon gehen nach Deutschland, rund 1,2 Milliarden nach Bayern. Knapp eine Milliarde davon sind Direktzahlungen, knapp 200 Millionen Euro fließen in die Entwicklung des ländlichen Raums - dazu ist vor allem der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) gedacht. In den Landkreis Freising gingen im vergangenen Jahr etwa 16,5 Millionen Euro, berichtet Christina Köstler, Pressereferentin des Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

2017 haben im Landkreis Freising 1546 landwirtschaftliche Betriebe einen Mehrfachantrag gestellt und damit EU-Gelder bekommen. Insgesamt wird im Landkreis auf 47 848 Hektar Fläche Landwirtschaft betrieben, die durchschnittliche Betriebsgröße liegt bei etwa 31 Hektar. Die meisten, nämlich 333 Betriebe, haben aber nur eine durchschnittliche Größe von 2,66 Hektar. Nur relativ wenige, nämlich 16, besitzen über 200 Hektar Land. "Im Landkreis finden sich vor allem die klassischen bäuerlichen Familienbetriebe", sagt Gerhard Stock. Um einen Antrag auf EU-Gelder stellen zu können, müsse der Betrieb mindestens einen Hektar umfassen. Das bedeute aber nicht automatisch, dass ein Betrieb, je größer er sei, auch mehr Fördergelder bekäme, sagt Stock. Denn für die ersten 30 Hektar bekomme man mehr Geld, als für die dann folgenden: Für diese gibt es 50 Euro pro Hektar, danach dann 30 Euro bis 46 Hektar. Damit will man die kleineren und mittleren Betriebe stärken. Die Gelder aus dem EU-Topf seien zum einen Ausgleichszahlungen für die hohen Umwelt-, Sozial- und Tierstandards, berichtet Stock. "Die es in anderen Ländern, wie beispielsweise in Brasilien, ja nicht gibt." Die Ausgleichszahlungen seien notwendig, um die Landwirtschaft flächendeckend halten zu können, erklärt Stock. Bei den Direktzahlungen gehe es aber grundsätzlich nicht um eine reine Flächenförderung. Zwar erhalte jeder Landwirt eine Grundprämie pro Hektar, aber für diesen Hektar dann noch einmal mehr Gelder, wenn er zusätzliche Kriterien erfülle, also beispielsweise im Winter eine Zwischenfrucht anbaue. Ab 2020 solle bei der gemeinsamen Agrarpolitik dabei eine noch stärkere Fokussierung auf den Natur-, Umwelt- und Klimaschutz stattfinden.

Neben diesen Direktzahlungen gibt es Geld aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER). Diese Förderung sei für besondere Umweltmaßnahmen gedacht, erklärt Stock. Die bekomme ein Landwirt, wenn er auf Ertrag verzichte oder deshalb Mehraufwand habe - beispielsweise die Wiese erst nach dem 15. Juni mäht. Auch können Landwirte Zahlungen aus dem Fonds erhalten, wenn sie steile Hanglagen bewirtschaften. Solche Lagen bringen zwar vergleichsweise wenig Erträge, dadurch wird aber ländlicher Lebensraum erhalten. Betriebe, die ELER-Zahlungen erhalten, liegen oft in Randlagen, die schwierig zu bewirtschaften sind. Dieses Kulturlandschaftsprogramm wird aber nur zum Teil aus EU-Geld finanziert, der andere kommt vom Freistaat. Die EU-Mittel seien für viele Landwirte sehr wichtig, betont Stock. Zum einen, da sie für jeweils sieben Jahre verlässlich Geld bedeuten. "Bei beispielsweise extremer Trockenheit und Ernteausfall sind sie sogar zum Überleben notwendig." Zum anderen federten sie den Strukturwandel ab. Sonst würden die kleineren Betriebe verschwinden und nur die großen übrig bleiben.

Lebensnotwendige Ausgleichszahlungen

Georg Ball ist seit vielen Jahren Landwirt in Marzling. Er hat den Familienbetrieb vor 40 Jahren vom Vater übernommen. Auf knapp 140 Hektar werden dort unter anderem Weizen, Roggen, Dinkel und Ackerbohnen angebaut - seit 28 Jahren alles nach Bio-Richtlinien. Ball hat 2017 knapp 80 000 Euro aus dem EU-Topf erhalten, davon knapp 37 000 Euro als Zuwendungen für seinen Betrieb des ökologischen Landbaus. Bei der Frage, ob er um diese Gelder froh sei, sagt Ball nur: "Was heißt froh? Die Gelder sind für uns Landwirte unbedingt notwendig. Sonst würde es uns nicht mehr geben." Für ihn seien diese reine Ausgleichszahlungen.

Mitte der 70er-Jahre habe er für einen Doppelzentner Weizen noch 55 Deutsche Mark bekommen, heute seien es zwischen 14 und 15 Euro, so Ball. Die Preise seien also gleich geblieben oder sogar gefallen. "Ohne die EU-Gelder könnten wir Landwirte doch gar nicht mehr produzieren." Die festgelegten Marktpreise seien nicht fair, sagt er. "Aber das Essen in Deutschland muss eben billig sein." regu

Es sind aber nicht nur Landwirte, die EU-Geld bekommen. Auch Behörden und staatliche Stellen, die Umweltschutzaufgaben erfüllen oder sich um die Infrastruktur im ländlichen Raum kümmern, sind Empfänger. Zuschüsse gibt es beispielsweise für Flurbereinigungs- und Dorferneuerungsmaßnahmen, für Hochwasserschutzmaßnahmen oder für Leader-Projekte. Und sogar Unternehmen, die hauptsächlich in der Landwirtschaft tätig sind, können Agrarsubventionen beantragen.

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Quelle:
SZ vom 04.05.2019
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