Süddeutsche Zeitung

Europawahl 2019:Jungen Menschen eine Stimme geben

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Die Mitglieder des Arbeitskreises Politik im Kreisjugendring sind sich sicher, dass Jugendliche mündig genug sind, um in wichtigen Fragen mitzureden. Deshalb schaffen sie die passenden Foren.

Von Nadja Tausche, Freising

Freising - Zahlreiche Veranstaltungen veranstaltet der Arbeitskreis Politik des Kreisjugendrings Freising (KJR) vor der Europawahl. Mit dabei ist etwa eine Diskussionsrunde, bei der sich Kandidaten zur Europawahl den Fragen von Jugendlichen aus der Region stellen. Was treibt junge Leute an, sich für die Europawahl zu engagieren? Was wünschen sie sich für die Europa und wie würden sie mit extremen Meinungen im Arbeitskreis umgehen? Lennart Bagert, Luisa Huesmann und Tobias Weiskopf erzählen.

Der Arbeitskreis Jugendpolitik des KJR engagiert sich mit Aktionen zur Europawahl und hat auch schon vor der Landtagswahl eine Diskussionsrunde für Jugendliche organisiert. Habt ihr das Gefühl, ihr habt sie damit erreicht?

Lennart: Ja, das hat man alleine an den Besucherzahlen gesehen: Es waren etwa 80 Jugendliche da. Die jungen Leute machen sich ein Bild, obwohl sie noch nicht wählen dürfen. Es haben auch viele Minderjährige Fragen gestellt. Damit steigt unsere Hoffnung, dass das Wahlalter in Bayern auf 16 Jahre herabgesetzt wird: So kann der Politik gezeigt werden, dass bei jungen Menschen durchaus politisches Interesse und eine differenzierte Auseinandersetzung mit politischen Themen vorhanden ist.

Könnte man sagen, das ist euer Ziel: Der Politik zu zeigen, dass junge Menschen etwas zu sagen haben?

Luisa: Einerseits schon. Andererseits wollen wir Jugendlichen zeigen, dass Politik cool ist und dass man mitreden kann. Dass man die Politiker hautnah erleben und ihnen direkt eine Frage stellen kann, die einem auf der Zunge brennt.

Tobi: Uns ist es wichtig, ihnen das Abstrakte der Politik näherzubringen. Wir sind überzeugt, dass Jugendliche, egal welchen Alters, mündig sind mitzureden. Ihre Meinung muss gleichberechtigt wertgeschätzt werden. Bei der Fishbowl-Diskussion zur Bundestagswahl hat ein 13-Jähriger den AfD-Abgeordneten nur durch kluge Fragen komplett auseinandergenommen. Da braucht es keine Moderation und keinen Erwachsenen als Unterstützung: Die Jugendlichen sind interessiert, sie haben ihre Sichtweisen und Fragen. Das sehen wir auch, wenn sie freitags auf die Straße gehen für mehr Klimaschutz, das haben wir gesehen, als im März Zehntausende für freies Internet demonstriert haben. Wir wollen den jungen Menschen eine Stimme geben und diese Stimme unterstützen.

Mit den Veranstaltungen erreicht ihr hauptsächlich junge Leute, die sowieso engagiert sind. Wie kann man Jugendliche erreichen, denen Wahlen egal sind?

Luisa: Leute mit einer hundertprozentigen Keine-Lust-Einstellung können wir glaube ich nicht erreichen. Wir machen ein offenes Angebot und sind kein Zwangskontext, wie man etwa Schule sehen könnte.

Tobi: Wir versuchen, Politik für junge Menschen attraktiv und greifbar zu machen und die Einstiegshürde so möglichst niedrig zu halten. Aber die jungen Menschen brauchen schon die Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Lennart: Die Kooperation mit Schulen ist der Punkt, mit dem man die meisten erreichen kann. Da sind alle, und da kann man das vielleicht ein bisschen fördern.

Arbeitet ihr zur Europawahl mit Schulen zusammen?

Lennart: Vor der Landtagswahl haben wir eine U18-Wahl veranstaltet, dieses Mal halten wir uns heraus - aus Protest. Denn gleichzeitig zur U18-Wahl gibt es die Juniorwahl, beide werden aus staatlichen Mitteln finanziert. Dadurch fehlt die Vergleichbarkeit. Die Juniorwahl ist für Schulen attraktiver, ist aber auch den Schulen vorbehalten: Der KJR kann sie nicht anbieten. Wir wünschen uns ein U18-Wahlsystem, an dem sowohl Träger der Jugendhilfe als auch Schulen teilnehmen können.

Bringt ihr eure persönliche politische Meinung in den Arbeitskreis ein?

Luisa: Wir haben im AK Politik sehr unterschiedliche politische Meinungen. Gleichzeitig sind wenig extreme Meinungen dabei. Die persönliche politische Meinung fließt zwar immer wieder ein, aber grundsätzlich wollen wir im AK neutral und gerecht gegenüber allen Parteien sein.

Tobi: Wir schätzen das Spektrum an politischen Meinungen bei uns - im Fokus steht aber die Arbeit, gute Veranstaltungen, gute Aktionen zu erarbeiten. Natürlich diskutieren wir gerne, aber eher am Abend, wenn wir als AK auf Klausuren fahren.

Engagieren sich bei euch auch Leute, die AfD wählen?

Tobi: Nein. Wir haben uns aber Gedanken gemacht, was wäre, wenn jemand mit einer extremen rechten oder linken Meinung in den AK käme . . .

Luisa: . . . ich denke, wir würden es probieren. Solange die inhaltliche Arbeit funktioniert - was immer Voraussetzung ist. Wir sind durch den Bayerischen Jugendring an Werte wie Toleranz oder Demokratie gebunden. Aber wenn das gegeben ist, können wir mit allen zusammenarbeiten.

Lennart: Eine prodemokratische Arbeit ist grundlegend für den AK. Und eine gute Zusammenarbeit auch.

Wo zeigt sich Europa in Freising, beziehungsweise in eurem Alltag?

Tobi: Ich bin zum Beispiel genau an dem Tag nach Frankreich gefahren, an dem die Roaming-Gebühren im Ausland abgeschafft wurden. Ich hatte das im Vorfeld nicht verfolgt und war begeistert, dass ich meinen Mobilfunktarif zu Inlandskonditionen auch im europäischen Ausland nutzen konnte. Da war ich richtig stolz auf die Europäische Union. Momentan merkt man die EU auch am Schengen-Raum: Normalerweise können wir ohne Grenzkontrollen durch die EU fahren. Ich finde es schade, dass das gerade nicht gewährleistet ist. Ich würde mir wünschen, dass wir wieder offene Grenzen in Europa haben und die Außengrenzen schützen.

Luisa: Letzten Herbst sind wir mit der Freiwilligen Feuerwehr zum Hochwassereinsatz nach Innichen gefahren, eine Partnerstadt von Freising in Südtirol. Das war für mich ein Stück weit Europa, weil wir dort unsere Partnerfeuerwehr unterstützt haben und das wie selbstverständlich war, obwohl eine Grenze dazwischen ist.

Lennart: Ich merke die EU nicht im Alltag. Ich finde, man sollte sie auch nicht merken: Ich bin in den 90ern geboren, für unsere Generation ist die EU im Grunde genommen eine Selbstverständlichkeit. Wir müssen sie schätzen, aber dürfen sie als selbstverständlich ansehen. Obwohl, an einer Sache merke ich die EU: Ich bestelle mir öfter Sachen im Ausland, unter anderem in der Schweiz. Innerhalb der EU ist das sehr günstig. In der Schweiz muss ich ab einem bestimmten Preis zum Zoll, muss irgendwelche Steuern zahlen, das ist deutlich teurer - obwohl es ein Nachbarland ist.

Was wünscht ihr euch für Europa?

Tobi: Ich wünsche mir ein klares proeuropäisches Zeichen. Mir ist wichtig, dass wir das Thema Klimaschutz endlich angehen. Das können wir nur europäisch lösen, im Optimalfall weltweit. Wichtig ist mir auch die Bildung: Schüleraustausch ausbauen, Erasmus fördern - und das nicht nur im Studienkontext, sondern auch für Auszubildende. Der Bäckerlehrling kann genauso in Frankreich Baguette machen lernen.

Aber jungen Leuten ist doch oft sowieso klar, wie toll und wichtig Europa ist. Sollte man nicht eher ältere Menschen davon überzeugen?

Tobi: Die jungen Leute stehen im Dialog mit den Älteren. Wenn sie erzählen, welche Erfahrungen sie gemacht haben, überträgt sich die Begeisterung meiner Meinung nach auf die älteren Menschen. Und ich denke, dass ältere Menschen durch den geschichtlichen Kontext ganz andere Sorgen haben, sie sind anders sozialisiert.

Luisa: Ich finde es wahnsinnig wichtig für Europa, dass wir uns jetzt um den Klimaschutz kümmern, weil es die letzte Möglichkeit ist. Wir müssen Kraft investieren, damit wir bei einer Erwärmung von 1,5 Grad im Vergleich zum Beginn des Industriezeitalters bleiben. Mir ist außerdem noch wichtig, dass bei der Politik immer die Menschlichkeit im Mittelpunkt steht. Es kann nicht sein, dass vor Italien ein Schiff mit Flüchtlingen liegt und kein europäisches Land die aufnehmen will oder erst nach Wochen.

Lennart: Ich finde wichtig, dass jedes Land seine Kultur und Bräuche beibehält, dass aber insgesamt die Sozialsysteme und die Löhne angeglichen werden. Konzerne sollten nicht von einem EU-Land ins andere gehen, weil sie dort billiger produzieren können. Ich finde, das sollte der Sinn der EU sein: dass man nicht gegeneinander arbeitet, sondern füreinander da ist.

Die Fishbowl-Diskussion im Freisinger Jugendzentrum Vis-á-Vis (Kölblstraße 2) beginnt an diesem Donnerstag, 9. Mai, um 18.30 Uhr. Ein Live-Stream ist auf der Facebook-Seite der Freisinger SZ zu sehen (www.facebook.com/szfreising).

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Quelle:
SZ vom 09.05.2019
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