Süddeutsche Zeitung

Europawahl 2019:Populisten die Stirn bieten

Beim Kulturtag im Schafhof treten Künstler für ein offenes Europa ein und sagen dem Nationalismus den Kampf an.

Von Birgit Goormann-Prugger, Freising

Mit ein paar wenigen Sätzen ist es am Sonntag beim Europatag im Schafhof Professor Antonio Delgado gelungen, allen Nationalisten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es gebe überhaupt keinen Grund, irgendwelche Vorurteile gegenüber Migranten zu haben, "denn wir sind doch alle nur zufällig da, wo wir von Geburt an gelandet sind. Unsere eigene Leistung dafür ist gleich null", sagte er und bekam dafür Applaus vom Publikum auf dem Schafhofgelände. Dort hatten die Vereine "Kulturgut!" und Modern Studio einen Kulturtag zu Europa organisiert, in Zusammenarbeit mit dem Kreisjugendring Freising, der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf und der SZ Freising.

Antonio Delgado, früher in Weihenstephan tätig und heute Professor für Strömungsmechanik an der Universität Erlangen-Nürnberg, ist gebürtiger Spanier und kam als Kind nach Deutschland. Von Europa und wie es sich seitdem entwickelt habe, sei er "euphorisiert", sagte er. Antonio Delgado musste erst einmal Deutsch lernen. "Aber ich bin hier so gefördert worden und habe eine Super-Ausbildung bekommen, ich bin dankbar dafür und fühle mich wirklich als echter Europäer", antwortet er auf die Fragen von Theresa Rudolph und Tim Roelands in der kleinen Reihe "Jung und Alt im Dialog" an diesem Tag.

Delgado, der in seiner Jugend noch die letzten Jahre der Franko-Diktatur in Spanien miterlebt hatte, hob wie so viele andere an diesem Tag auch die Bedeutung der Freiheit des Reisens hervor, die Europa biete. Vor allem die reisefreudige Jugend sehe er als Botschafter ihres jeweiligen Landes. Beim Reisen in ein fremdes Land lerne man zudem die andere Kultur kennen und bringe auch immer wieder einen Teil davon zurück nach Hause, sagte Delgado. Angst davor, dass die Identität und Kultur eines Landes sich im geeinten Europa einmal verlieren könnte, müsse man ganz und gar nicht haben, sagt Delgado auch noch. "Wir können uns doch alle nicht vorstellen, dass die bayerische Kultur jemals verloren gehen könnte, oder?"

Zuvor hat der Freisinger Schauspieler Alexander Nadler die schwierige Aufgabe, das Publikum eine halbe Stunde lang mit einem philosophischen Text zu Thema Europa bei der Stange zu halten. Die Abhandlung "Das Paradox des europäischen Nationalstaates" stammt von der ungarischen Philosophin Ágnes Heller (Jahrgang 1929), die jüdischer Herkunft ist. Im Holocaust gelang es ihr gemeinsam mit ihrer Mutter immer wieder, teils durch geistesgegenwärtiges Handeln, teils aber auch nur durch schieres Glück, einer Deportation und Ermordung zu entgehen. Ihr Vater und zahlreiche Verwandte wurden Opfer der Judenverfolgung während der Zeit der NS-Diktatur.

Ein schwieriges Thema und ein schwieriger, aber fesselnder Text, den Nadler auch fesselnd vorzutragen weiß.

"Nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs zogen einige europäische Staaten die Konsequenzen aus der dunklen Seite der Nationalstaatlichkeit und gründeten die Europäische Union. Die Bedeutung dieses großen Entwurfs sollte man nicht kleinreden. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, niemals einen Krieg untereinander auch nur auszulösen."

So lautet nur ein Satz aus diesem neunseitigen Manuskript, der gut zu dem Text passt, den später am Nachmittag der Freisinger Poetry-Slammer und aktuelle Jugendkulturpreisträger des Landkreises, Philipp Potthast, auf Einladung der SZ bei diesem Europa-Kulturtag vorträgt.

Er befasst sich mit der Freundschaft der einstigen Erbfeinde, Frankreich und Deutschland, heute gemeinsam Motor für Europa.

Dort, wo wahrlich große Geister Gedanken hervorbrachten; Wo Briand und Stresemann den Weg in die richtige Richtung bereiteten; De Gaulle und Adenauer den Elysée-Vertrag unterzeichneten, Mitterrand und Kohl versuchten, historische Schuld so weit wie möglich zu bereinigen; In Europa; Da liegen zwei Länder, die gezeigt haben, wie es gehen kann;

So heißt es zum Schluss dieses Textes. Mit all dem, was an diesem Tag zu hören ist, wollen die Veranstalter deutlich machen, dass es gerade bei dieser Europawahl um viel mehr geht als um die Qualitätsnormen für Salatgurken. Dass es nämlich darum geht, den Populisten die Stirn zu bieten, die zurück wollen zum engstirnigen Nationalismus mit Abgrenzung und Fremdenfeindlichkeit. "Darum müssen wir wählen gehen, wählen gehen, wählen gehen", fordert Stefanie Gölz vom Verein "Kulturgut" die Anwesenden immer wieder auf. Der Nachmittag im Schafhof geht heiter zu Ende, etwa mit politischen Gesängen der "Frei-Sänger" mit Anton Setzwein, die auch Hoffmann von Fallerslebens "Spießbürger-Tugend"aus dem sozialdemokratischen Liederbuch von 1896 zu Besten geben. Der Freisinger "Abseits"-Chor, Vorkämpfer für die Subkultur von heute, präsentiert sich mit neuen Arrangements, und seine Chorleiterin Julia Schröter ist dann zum Schluss noch zusammen mit Uli Wunner und dem Ensemble Beleza zu hören.

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Quelle:
SZ vom 21.05.2019
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