Bulimie, Binge-Eating, Magersucht: Drei bis fünf Prozent der Menschen in Deutschland leiden laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter einer Essstörung. Bei den Kindern und Jugendlichen zeigen sogar 20 Prozent Symptome. Noch immer sind es überwiegend Frauen und Mädchen, die davon betroffen sind. Die Zahlen nehmen zu. Im Landkreis finden Menschen mit einer Essstörung zwar beim Suchtpräventionsverein Prop, der Jugendsprechstunde oder auch in der Familienberatung der Caritas eine Anlaufstelle und werden beraten - eine Fachstelle, die auf Essstörungen spezialisiert ist, gibt es bisher aber nicht. Doch das könnte sich bald ändern.
Bärbel Würdinger, Leiterin von Prop, hofft, dass der Bezirk noch im November grünes Licht für eine niedrigschwellige Beratungsstelle im Landkreis geben wird. "Der Bedarf ist definitiv da", betont sie. Doch derzeit gebe es keine ortsnahe Versorgung.
Durch die Corona-Krise dürfte die Zahl der Betroffenen noch einmal steigen
Bei Prop waren es 2017 und 2018 jeweils etwa 20 Hilfesuchende, die wegen einer Essstörung kamen, 2019 dann nur noch sechs und im Coronajahr 2020 nur fünf. Diese Zahlen irritieren Würdinger, sie ist sich sicher, dass es im Landkreis viel mehr Betroffene gibt. "Wir erreichen die Zielgruppe offensichtlich nicht", sagt sie. Wahrscheinlich würden sich viele der Mädchen und Frauen in München, wo es verschiedene Angebote gibt, Hilfe suchen.
"Die Notwendigkeit einer Fachstelle mit Expertenwissen vor Ort ist da", sagt sie. Durch die Corona-Krise werde die Zahl der Betroffenen vermutlich noch einmal ansteigen, glaubt Würdinger. "Spannend werden nun die Jahre 2021 und 2022 sein, da eine Störung oft erst zeitverzögert auftritt - beziehungsweise die Beratungsanfrage erst verzögert kommt."
Bedarf für Fachberatungsstelle schon vor zwei Jahren geäußert
Schon vor zwei Jahren hatte die Vollversammlung der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft (PSAG) Freising die Notwendigkeit geäußert, eine solche Fachberatungsstelle im Landkreis zu etablieren. Kontakt zu dem "Therapienetz Essstörung (Tness)", eine auf Essstörungen spezialisierte, überregionale Einrichtung, gab es bereits damals. Das Therapienetz bietet seit einiger Zeit ein einzelbetreutes Wohnen für Betroffene im Landkreis an.
"Das sind die schweren Fälle", erklärt Carolin Martinovic, Tness-Geschäftsleiterin des ambulanten Bereichs. Eine Sozialpädagogin betreut die Klientinnen engmaschig, "sie bietet eine lebenspraktische Unterstützung, geht beispielsweise mit ihnen einkaufen oder begleitet sie zu Ämtern", erklärt Martinovic. Derzeit wird eine junge Frau im Landkreis so betreut.
Eine Vorsorgung muss wohnortnah sichergestellt sein
"Wir möchten daneben in Freising aber auch mit einer Beratung aktiv werden", sagt sie. Denn eigentlich müsse die Versorgung nahe am Wohnort sichergestellt sein. Schon vor Längerem wurde beim Bezirk eine halbe Stelle mit insgesamt 20 Wochenstunden beantragt. In den Beratungen werde zunächst geklärt, ob überhaupt eine Essstörung vorliegt und wenn ja, welche Hintergründe diese hat.
Gemeinsam mit der Klientin gehe es dann darum herauszufinden, welche Therapieform - ambulant oder in der Klinik - die geeignete sei. "Wir kooperieren mit vielen Fachkliniken, niedergelassenen Therapeuten und anderen Fachstellen. Deshalb läuft die Weitervermittlung in den meisten Fällen schneller", sagt Martinovic. Offen ist die Beratung aber nicht nur für Betroffene, sondern auch für deren Angehörige.
"Wir warten jeden Tag auf einen Bescheid des Bezirks - in dem hoffentlich stehen wird, dass die Finanzierung der Fachstelle übernommen wird", sagt sie. Starten wolle man dann möglichst bald. "Im Frühjahr 2022 könnte es losgehen."