Erste Erfahrungen positiv:Weniger Papierkrieg

Das Personal in Seniorenheimen soll wieder mehr Zeit für die Bewohner haben, in Neufahrn testet man ein neues Modell

Von Alexandra Vettori, Neufahrn

Als erstes Seniorenheim im Landkreis Freising setzt das Senioren-Zentrum Neufahrn eine neue Pflegedokumentation um, das so genannte Strukturmodell. Das Ziel: weniger Zeit zum Dokumentieren, mehr Zeit für die Bewohner. Erste Erfahrungen sind positiv, auch wenn sich das Personal an die neue Freiheit erst gewöhnen muss.

Was gut gemeint war zur Qualitätssteigerung, ist zum Papiermonster geworden. Bis zu 60 DIN-A4-Seiten umfasst eine Pflegedokumentation für einen Heimbewohner, darin ist akribisch festgehalten, wie beweglich welcher Finger ist, wie selbständig der Bewohner eine Ganzkörperwäsche schafft oder wie er geschlafen hat. Immer mehr gab es in den vergangenen Jahren zu dokumentieren. Meist waren es zwar nur vorgefertigte Punkte, die das Pflegepersonal abhaken musste. Doch auch das kostet wertvolle Zeit, die bei der Betreuung fehlt. Vor zwei Jahren hat das Bundesgesundheitsministerium deshalb das Projekt "Strukturmodell" gestartet, zwecks Effizienzsteigerung der Pflegedokumentation. Alle haben in der Projektphase mitgemacht, die Kassen, die Prüfinstanzen, die Länder. Ziel war eine schlanke Dokumentation, die trotzdem praxistauglich und rechtlich unanfechtbar ist. Auf die Beschreibung der körperlichen Beweglichkeit etwa wird darin verzichtet.

Die Firmengruppe Pichlmayr, die 19 Wohn- und Pflegeheime betreibt, darunter das in Neufahrn, war eine der Ersten, die das personenbezogene Strukturmodell einführte. In Neufahrn ist ein Drittel der Bewohner bereits integriert, bei Neuzugängen ist das ohnehin der Fall. Am Anfang steht jetzt ein Gespräch, in dem Wünsche und Gewohnheiten abgeklopft werden. Markus Fischer von der Qualitätsentwicklung der Pichlmayr-Gruppe, erklärt an einem Beispiel, worauf es nun ankommt: "Viele Menschen der Generation, die jetzt alt ist, waren es nie gewohnt, sich täglich zu waschen. Wir fragen, ob das gewünscht ist und waschen sie nicht mehr automatisch täglich."

Die Mitarbeiter müssten sich zwar erst von dem Diktat der Pflege nach Vorschrift lösen, die Reaktionen seien aber sehr positiv, wie Einrichtungsleiterin Gertraud Edenhofer berichtet: "Unsere Fachlichkeit steht wieder im Vordergrund, wir füllen nicht nur Formulare aus." Eine erste Neuerung entsprang der neuen Kultur im Neufahrner Seniorenheim bereits: Weil viele Senioren gerne einkaufen, aber nicht mehr zu den Geschäften gehen können, steht jetzt einmal im Monat ein mobiler Kiosk im Speisesaal, "es ist der absolute Renner", so Edenhofer.

Das Mehr an Zeit für die Pflege macht sich außerdem bei den Ausflügen des Seniorenheims bemerkbar, da ist neuerdings auch mal eine Pflegekraft unter den Betreuern. Das, betont Markus Fischer, stärke nicht nur die Bindung zwischen Pflegern und Bewohnern, es erweitere auch den Kreis der Teilnehmer. Ist nämlich ein ausgebildeter Pfleger dabei, dürfen auch schwere Diabetiker oder Menschen mit Herzproblemen mitkommen.

Gekostet habe die Umstellung, bis auf die Personalkosten in der Projektphase und der Umstellungszeit, nichts. Wie viel Zeit wirklich gespart wird, kann man noch nicht sagen, noch ist das neue System nicht eingespielt. Zu einem, betont Markus Fischer, dürfe die gewonnene Zeit freilich nicht führen - zu einem Personalabbau; das sei im neuen Pflegestärkungsgesetz ausdrücklich so festgehalten.

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