Ernüchterndes Fazit:"Wir machen viel mehr kaputt, als uns bewusst ist"

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Der Weihenstephaner Wissenschaftler Wolfgang Weisser erforscht mit Kollegen die Folgen des Artenschwundes

Von Katharina Aurich, Freising

Immer mehr Pflanzen- und Tierarten verschwinden aus unserer Umwelt, so dass die Vielfalt kontinuierlich abnimmt. Wie sich dieser Verlust auf Ökosysteme auswirkt, darüber gibt das "Jena-Experiment" Aufschluss, das die Friedrich-Schiller-Universität gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena gründete. 15 Jahre lang analysierten Wissenschaftler Prozesse, Stoffzusammensetzungen und Tierarten in und auf 500 Wiesenparzellen mit unterschiedlicher Artendichte. Dabei kam heraus, dass artenreiche Flächen stabiler sind und langfristig sogar höhere Erträge liefern als Monokulturen. Der Biologe Wolfgang Weisser, der am Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TU München den Lehrstuhl für "Terrestrische Ökologie" inne hat, war bis 2015 Sprecher des internationalen Forscherteams und hat nun die Ergebnisse gemeinsam mit seinen Kollegen in einer Fachzeitschrift veröffentlicht.

Die Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden kamen zu dem Ergebnis, dass Parzellen, auf denen bis zu 60 verschiedene Pflanzenarten wuchsen, Kohlenstoff besser speicherten; dort lebten zudem deutlich mehr Insekten als auf artenärmeren Parzellen. Darüber hinaus nahmen sie Regenwasser viel besser auf als Monokulturen und artenarme Flächen. Und sie kamen auch besser mit Überschwemmungen und Dürre-Perioden zurecht.

Fast die Hälfte aller Prozesse im Boden hänge von der Diversität der Arten ab, die darauf wachsen, schildert Weisser. Darüber sei immer noch viel zu wenig bekannt. Fest stehe, dass Menschen kontinuierlich Lebensräume von Tieren und Pflanzen veränderten oder zerstörten, die negativen Effekte des Artenverlustes seien aber erst Jahre später spürbar, berichtet der Biologe über eines der Ergebnisse der Langzeitstudie. "Wir machen viel mehr kaputt, als uns bewusst ist", lautet sein ernüchterndes Fazit.

80 000 Messungen haben die Wissenschaftler im "Jena-Experiment" ausgeführt, um zu erfahren, was passiert, wenn die Zahl der Arten auf einer Wiesenparzelle von Jahr zu Jahr weniger wird. Das Experiment, das bisher von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert wurde, sei konservativ angelegt,in einer Tiefe von zehn und dreißig Zentimeter seien sehr viele Proben genommen worden, schildert der Biologe. Das Grünland sei dabei ein Modellorganismus, die Ergebnisse seien auf andere Systeme wie Äcker oder Wälder übertragbar, erläutert Weisser.

Die Forscher haben aber nicht nur die negativen Effekte erfasst, die einen Rückgang der Vielfalt auslösten, sondern auch die positiven Wirkungen der Artenvielfalt belegt. Unter artenreichen Flächen werde beispielsweise weniger Nitrat ausgewaschen und mehr Kohlenstoff als Stickstoff in den Böden gespeichert. Die Praxis in der Landwirtschaft sei aber eine andere, sagt Weisser. Es gebe viele Monokulturen und oftmals werde zu viel gedüngt. Langfristig sei dies nicht der einzige Weg, um gute Erträge zu ernten, betont Weisser. Denn eine Wiese, auf der viele Arten wachsen, sei leistungsfähiger als eine gedüngte mit weniger unterschiedlichen Pflanzen.

"Artenreichtum hat unglaublich viele positive Effekte", sagt der Weihenstephaner Wissenschaftler. Die Forschung sei natürlich kein Selbstzweck, die gewonnenen Erkenntnisse müssten aber auch umgesetzt werden. Leider seien Landwirte bisher "extrem schlecht beraten", sagt Weisser, sie sollten mit Wissenschaftlern gemeinsam Möglichkeiten entwickeln, nachhaltiger zu wirtschaften. Allerdings gebe es für artenreiches Grünland kaum noch Verwendungsmöglichkeiten.

Hochleistungskühe geben inzwischen so viel Milch, dass sie fast nur noch hoch konzentriertes Energie- und Eiweißfutter erhielten, da ihr Magenvolumen begrenzt sei. Gras und Heu seien zwar ein wiederkäuergerechtes und gesundes Futter, aber aus den Mengen, die eine Kuh am Tag davon fresse, könne sie keine 25 Liter Milch geben. Grünland werde heutzutage oftmals in der Nähe von Städten als Pferdefutter verwendet oder lande in der Biogasanlage.

Trotzdem ist der Wissenschaftler optimistisch. "Wir wissen noch viel zu wenig darüber, wie wir mit unserer Wirtschaftsweise die Natur verändern", so Weisser. Aber im "Jena-Experiment" seien 15 Jahre lang am Modell zahlreiche Erkenntnisse gewonnen worden, die nun auch umgesetzt werden müssten. Der Nachfolger Weissers als Sprecher ist Nico Eisenhauer vom Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig. Er hat gerade bei der DFG einen Antrag auf eine weitere Finanzierung des "Jena-Experiments" gestellt.

© SZ vom 23.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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