Man muss zugeben, dass Eric Pfeil mit seinem Format eines musikalischen Reiseführers eine gute Intuition hatte. Das Konzept ist schnell erklärt: Anhand von hundert Liedern wird ein Land, genauer gesagt Italien, mit vielen Anekdoten und Einblicken in die Musikgeschichte sowie in gesellschaftliche, politische und popkulturelle Themen erzählt. Das Ganze nicht bitterernst, aber auch nicht zu oberflächlich erzählt, also genau das, was viele Italien-Liebhaber erwarten.
Sein erstes Buch dieser Art „Azzurro“ war erfolgreich gewesen, nun wird der in Bergisch Gladbach geborene Musiker und Autor Eric Pfeil das Folgebuch „Ciao Amore, ciao. Mit 100 neuen und alten Songs durch Italien“ auch in Freising präsentieren (am 22. Mai bei Bücher Pustet). Angekündigt ist mehr eine Show mit viel Musik und Bildmaterial als eine klassische Lesung.
Die große Liebe für Italien des Eric Pfeil begann - und hier muss man sagen: wenig überraschend - mit einem Urlaub. 1981 in Alassio war das, einem beliebten Ort an der ligurischen Riviera. Die Mutter suchte das ersehnte Urlaubsglück und fand es womöglich auch, der damals zwölfjährige Pfeil tat das, war alle Zwölfjährigen tun, also mitfahren, und der Vater besuchte bis zu zehnmal am Tag die Hotelbar. Es war dieser Vater, nicht sonderlich reisefreudig aber durchaus musikbegeistert, der dort plötzlich „seine Seele in Schwingung versetzt“ fühlte, wie Pfeil in seinem Buch schreibt. Ihm gefiel das Spielerische, das er im Land vorfand, der Sinn fürs Eskapistische, den man dort zu pflegen schien. Und, ganz wichtig: er erstand nach jeder weiteren Reise die jüngste „Italo Top 20“-Platte und beeinflusste somit die musikalische Erziehung des Sohnes.
Aber zunächst eine kleine Einordnung: Die Siebzigerjahre waren im Land südlich der Alpen keineswegs eine gelassene Zeit, sondern von Terroranschlägen, politischen Krisen und sozialen Spannungen geprägt. Ein Jahr vor dem von Pfeil beschriebenen Urlaub, im August 1980, hatte der rechtsextremistische Anschlag am Bahnhof von Bologna 85 Menschen das Leben gekostet. Anfang der Achtzigerjahre beruhigte sich die Lage allmählich, aber immer noch war die Instabilität und die Angst, wieder in das Chaos zu versinken, groß. Die Neunzigerjahre öffneten sich mit großen Korruptionsskandalen und Silvio Berlusconi, der Rest ist auch in Deutschland mehr oder weniger bekannt.
Der Bogen spannt sich von den Fünfzigern bis zur Gegenwart
Der ausländische Urlauber unter dem Sonnenschirm bekommt sowas selbstverständlich nicht oder nur in abgeschwächter Form mit, außerdem ist der Strand per se nicht der Ort, an dem vernünftige politische Debatten stattfinden. Hinzu kommt, dass es in vielen italienischen Songs mehr um Liebe und große Gefühle als um finanzielle Ängste und politische Krisen geht, sodass man am Ende fast den Eindruck gewinnen könnte, dass die Italiener in einer Art Dauer-Sommermodus leben. In Wirklichkeit, und obwohl sie immer noch besungen wird, ist die erträumte Dolce Vita schon immer mehr Konstrukt als Realität.
Nicht, dass Eric Pfeil das Gegenteil behaupten würde. Abgesehen von der Vespa auf dem Buchcover, die als klischeehaftes Symbolbild für Italien langsam verbannt werden sollte, geht es in seinem Buch und in seiner Lesung – außer natürlich um Musik – auch um politische Abgründe, weibliche Emanzipation, deutsch-italienische Missverständnisse und die geballte Widersprüchlichkeit des Landes. Selbst der Titel des Buches, der zugleich der Titel eines Liedes ist, erzählt indirekt von dieser Widersprüchlichkeit: der Satz „Ciao Amore, ciao“ klingt einerseits schön und lässt sich von jedermann übersetzen, andererseits ist er als letzter Song des Musikers Luigi Tenco in Erinnerung geblieben, der sich nach einer Aufführung beim Musikfestival von Sanremo im Hotelzimmer das Leben nahm.
Tenco ist nicht der einzige Liedermacher aus den Sechzigerjahren, dem im Buch ein Kapitel gewidmet ist. Der Bogen spannt sich nämlich von den Fünfzigern (Tony Dallara), bis zur Gegenwart (unter anderem Marco Mengoni, Thegiornalisti, Colapesce Dimartino), dazwischen selbstverständlich Künstlerinnen und Künstler wie Fabrizio De André, Franco Battiato, Mina, Raffaella Carrà, Lucio Battisti und Adriano Celentano, deren Lieder Generationen von Menschen noch auswendig kennen. Am Ende erhält der Leser eine Kostprobe der italienischen Musikgeschichte der letzten sechzig Jahre. Und eine Playlist für den nächsten Stau am Brenner gleich mit.
Eric Pfeil, „Ciao Amore, ciao“: Lesung mit musikalischer Untermalung. Am 22. Mai, um 19.30, bei Bücher Pustet (Obere Hauptstraße 45, Freising)