Süddeutsche Zeitung

Eine Freisingerin in Dunkerque (8)::Ein bisschen wie "Jugend musiziert"

Katharina Horban besucht einen Musikwettbewerb in Lille und die Stadt Gent

Von Katharina Horban

Die Möwen krähen und fliegen wachsam über den Jachthafen. Boote schaukeln auf dem Wasser, es weht ein leichter Wind. Es ist Samstagvormittag und an diesem Tag findet der Fischmarkt statt. "Wer die besten und frischesten Fische haben will, muss ganz früh kommen. Wir sind eigentlich schon ein bisschen spät", sagt Gastmutter Odile. Es ist zehn Uhr. Neben dem normalen Supermarktsortiment gibt es eine Vielzahl an für mich exotischen Fischen und zig verschiedene Muscheln. Meine Gastmutter kauft Jakobsmuscheln zum Mittagessen. Zuhause werden sie unter der Anleitung meines Gastvaters zubereitet.

Am ersten Wochenende der Osterferien fahre ich nach Lille, dort findet im Konservatorium das Finale eines von Rotary organisierten Musikwettbewerbs statt. Das Konservatorium liegt im Vieux Lille, das ist ein wunderschönes historisches Viertel. Bei dem Wettbewerb spielen Kinder und Jugendliche im Alter von zehn bis 18 Jahren vor einer Jury. Diese wird von Jean-Claude Casadesus geleitet, er gründete das Orchestre National de Lille, dessen Chefdirigent er ist. Das Konzert ist beeindruckend, die Veranstaltung lässt sich in etwa mit "Jugend musiziert" vergleichen. Am Ende ist der Applaus groß, Erinnerungsfotos mit dem Stardirigenten werden geschossen und dann sind die fünf Austauschschüler an der Reihe.

Ende der ersten Ferienwoche besichtige ich mit einer Rotarierin das Kriegsmuseum "Memorial du Souvenir" in Dunkerque. Am Wasser gelegen, befindet sich das Museum in einer Bastion aus dem 18. Jahrhundert. Drinnen wird man freundlich von ein paar älteren Herren begrüßt, die das Museum ehrenamtlich betreuen. Sie fragen nach unserer Nationalität. Ich sage, dass ich aus Deutschland komme. Einen kurzen Moment herrscht angespannte Stille im Raum. Dann sagen die Rentner, was München für eine schöne Stadt und Bayern eine bezaubernde Gegend sei.

Der Museumsbesuch beginnt mit einem Film, der die wichtigsten Informationen zur Schlacht von Dünkirchen im Mai und Juni 1940 liefert. Fotos zeigen, dass von der Stadt fast nichts übrig blieb. Häuser, Straßenzüge, Plätze - alles weg. Daneben werden Waffen, Fotos, Originalgegenstände von britischen wie deutschen Soldaten und deren Uniformen ausgestellt. Am Ausgang hängt der Brief eines britischen Soldaten: "Jugend! Erinnert euch an eure Väter, die schreckliche Schlachten gekämpft haben, damit ihr heute in Freiheit leben könnt. Sagt eure Meinung und geht demonstrieren, eure Väter gaben ihre Intelligenz und ihr Blut dafür..."

Mit einer französischen Freundin mache ich einen Tagesausflug nach Gent in Belgien, eine wunderbare flämische Stadt. Das historische Zentrum ist riesig, es gibt unzählige alte Gebäude, Denkmäler und Kirchen. Immer stößt man auf Wasser, die Stadt ist von Kanälen durchzogen. Unglaublich viele junge Menschen sind unterwegs, Gent ist bei Studenten sehr beliebt. Überall gibt es Pommes Frites, Waffeln und Schokolade. Es scheint, als ernährten sich die Belgier nur davon. Gleich nach unserer Ankunft besichtigen wir die Burg Gravensteen. Wir durchqueren den Empfangssaal, betreten das Haus des Burggrafen, finden die Folterkammer und kommen schließlich auf der Aussichtsplattform an. Von dort hat man eine tolle Sicht auf Gent.

Wieder unten im Burghof angekommen, ist es inzwischen Mittag geworden. Am mittelalterlichen Hafen picknicken wir, neben einem Sandwich gibt es die typisch belgischen Pommes frites. Boote mit Touristen fahren an uns vorbei, das Wasser platscht unter unseren Füßen an den Kai. Es erstreckt sich ein wunderschönes Panorama vor uns, flämische Architektur vom feinsten: die alten Häuser reihen sich aneinander, bunt und aufwendig verziert.

Graslei und Korenlei nennt sich dieser Ort, welcher der Treffpunkt der Stadt ist. Es geht weiter, wir besteigen den Belfried von Gent. Oben angekommen, haben wir wieder ganz Gent vor unseren Augen. Ein Haus fällt mir besonders auf - oben auf dem Treppengiebel drehen sich sechs Tänzer, es ist das Zunfthaus der Steinmetze aus dem 16. Jahrhundert.

Allmählich wird es Abend in Gent und wir kehren zum mittelalterlichen Hafen mit seinen einzigartigen historischen Gebäuden zurück, die sich im Wasser des Flusses spiegeln. Studenten, Einheimische und Touristen kommen hier in den vielen Cafés und am Ufer zusammen. Die Abendsonne strahlt die Häuserfassaden an.

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Quelle:
SZ vom 30.04.2016
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